Israel Scharon im Koma - Olmert übernimmt Regierung

Sorge um Ariel Scharon. Israels Ministerpräsident liegt nach einem schweren Schlaganfall im künstlichen Koma. In der Nacht wurde er operiert. Nach Regierungsangaben hat sein Stellvertreter Olmert die Regierungsgeschäfte übernommen.

Jerusalem - Der israelische Ministerpräsident erlitt nach Angaben des behandelnden Arztes einen "schweren" Schlaganfall. Der 77-Jährige sei in ein künstliches Koma versetzt worden und werde künstlich beatmet, sagte Schlomo Mor-Jossef. Wegen einer schweren Hirnblutung wurde er dem Arzt zufolge umgehend in einen Operationssaal gebracht. Die Vollmachten des Regierungschefs wurden nach Angaben von Kabinettssekretär Jisrael Maimon an Vizeministerpräsident Ehud Olmert übertragen. Er übernimmt das Amt entsprechend den Regeln zunächst für hundert Tage.

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Israel: Ministerpräsident Scharon erlitt Schlaganfall

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In einer stundenlangen Notoperation in der Nacht zum Donnerstag, die um 3.00 Uhr morgens noch andauerte, rangen die Ärzte um das Leben Scharons. Sie versuchten "die massiven Blutungen zu stoppen", wie Mor-Jossef sagte. Scharon Zustand sei ernst. Nach Angaben von Schmuel Schapira, einem Arzt am Jerusalemer Hadassah-Hospitals, in das Scharon eingeliefert wurde, wird dem Regierungschef bei dem Eingriff Blut aus dem Hirn ausgesaugt. Die Operation werde von zwei Hirnchirurgen vorgenommen und mehrere Stunden dauern, fügte der Arzt hinzu. Nach Einschätzung eines Experten ist die Operation äußerst gefährlich. "Das ist sehr riskant und er könnte an der Operation sterben", sagte der US-Neurologe Matthews Gwynn dem US-Nachrichtensender CNN. "Wenn er die Operation überlebt, wird er mehrere Tage im Koma bleiben", fügte er hinzu.

Der persönliche Arzt des Regierungschefs, Schlomo Segew, erklärte, er gehe davon aus, dass der 77-Jährige die Operation "sicher übersteht". Der Regierungschef werde operiert, "alles verläuft nach Plan", sagte er und fügte hinzu: "Wir müssen geduldig sein." Wie Scharons Sprecher Raanan Gissin dem US-Sender CNN sagte, gebe es bei der Operation "gute Fortschritte". Scharon befinde sich in einem stabilen Zustand.

Nach einem Bericht der israelischen Zeitung "Haaretz" beurteilten Ärzte die Chancen auf eine Genesung Scharons eher skeptisch. Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte: "Es sieht sehr schlecht aus, ich weiß nicht, ob er sich davon erholen wird." Der israelische Fernsehsender Channel 10 zitierte Berater Scharons mit den Worten: "Wir warten auf ein Wunder".

Scharon war am Mittwochabend wegen plötzlichen Unwohlseins in die Jerusalemer Klinik Hadassah gefahren worden. Wie es hieß, habe er einen Druck in der Brust verspürt. Beim Eintreffen im Krankenhaus gegen 23 Uhr Ortszeit sei er bei vollem Bewusstsein und ansprechbar gewesen. Bei der Fahrt mit dem Krankenwagen habe er noch telefoniert, berichteten israelische Medien. Einem Bericht des Senders Channel 2 zufolge verschlechterte sich die Lage auf dem letzten Streckenabschnitt dramatisch, Scharon habe mehrere Gliedmaßen nicht mehr bewegen können und sei auf einer Liege in die Notfallaufnahme gebracht worden. Sein Leben sei in Gefahr, mutmaßten mehrere Experten im Fernsehen. Seine beiden Söhne seien bei ihm.

In der Klinik Hadasseh war Scharon bereits nach einem leichten Schlaganfall am 18. Dezember behandelt worden. Seit dem Zwischenfall erhielt er blutverdünnende Medikamente, die das Entstehen eines weiteren Blutgerinnsels verhindern sollten. Zudem nahm der übergewichtige Regierungschef mehrere Kilogramm ab. Von diesem leichten Schlaganfall hatte sich der 77-Jährige schnell erholt. Den Ärzten zufolge hatte er keine bleibenden Schäden zu erwarten.

Den erneuten Schlaganfall erlitt Scharons einen Tag vor einer geplanten Herzoperation. Die Ärzte wollten dabei mit einer Katheterisierung ein kleines Loch in seinem Herzen schließen. Diesen angeborenen Herzfehler hatten die Mediziner als Grund für Scharons Schlagfall im Dezember ausgemacht.

Der israelische Ministerpräsident hatte sich am Abend auf seiner Ranch im Süden der Wüste Negev gemeinsam mit seinen Ärzten auf den Eingriff am Donnerstag vorbereitet. Wegen des Unwohlseins brachte ihn dann ein Krankenwagen in die etwa eine Autostunde entfernte Klinik in Jerusalem. In Beerscheba gibt es ein Krankenhaus, das von der Ranch sehr viel schneller zu erreichen gewesen wäre.

Scharons politische Pläne stehen in Frage

Im Zuge von Scharons Gesundheitsproblemen war bereits darüber spekuliert worden, wie lange Scharon sich noch im politischen Geschäft wird behaupten können. Der erneute Schlaganfall ereignet sich zu einem heiklen Zeitpunkt. In Israel steht am 28. März die Parlamentswahl an. Der ehemalige Likud-Vorsitzende Scharon war am 21. November aus der Partei ausgetreten, weil er in ihr nicht mehr genügend Rückhalt für seine Politik hatte.

Der auch als "Bulldozer" beschriebene Politiker gründete die Partei Kadima (Vorwärts), zu der bereits mehrere Minister und Abgeordnete des Likud übertraten. Für die Wahl gilt die Kadima zurzeit als klarer Favorit. Sollte Scharon bei der Parlamentswahl nicht antreten können, würde dies die politische Situation in Israel Beobachtern zufolge völlig verändern.

Heute morgen will das israelische Kabinett unter Interims-Regierungschef Ehud Olmert zusammenkommen. Die Sitzung solle um 09.00 Uhr Ortszeit (08.00 Uhr MEZ) beginnen, berichteten israelische Medien. Israelische Politiker zeigten sich besorgt um die Gesundheit des Regierungschefs. Unter den ersten Politikern, die ihre Genesungswünsche an Scharon richteten, war sein Nachfolger an der Spitze der Likud-Partei, Benjamin Netanjahu. "Wie das gesamte israelische Volk bete ich für die Genesung von Ministerpräsident Scharon", erklärte Netanjahu, der als einer der größten Rivalen des Regierungschefs gilt. Auch Israels Staatspräsident Mosche Katzav sagte, er bete für die Gesundheit des Ministerpräsidenten und wünsche ihm eine rasche Genesung.

Bei Schlaganfällen sterben Nervenzellen ab

Ärzte hatten nach dem ersten Schlaganfall im Dezember erklärt, Scharon werde keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Bei einem Schlaganfall ist die Durchblutung des Gehirns gestört. In 80 Prozent der Fälle verstopfen nach Angaben der Deutschen Schlaganfallhilfe Blutgerinnsel oder andere Substanzen die Adern. Die restlichen 20 Prozent der Schlaganfälle würden von geplatzten Blutgefäßen ausgelöst. In jedem Fall entsteht im Gehirngewebe ein Durchblutungsmangel. Es kommt zu einer Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff - einem so genannten Infarkt.

In der Folge sterben Nervenzellen ab, die von ihnen gesteuerten Körperfunktionen werden beeinträchtigt. Häufige Symptome sind daher Gefühlsstörungen einer Körperseite, Lähmungen und Sprach- oder Sehstörungen. In manchen Fällen treten die Schlaganfall-Symptome nur vorübergehend für bis zu 24 Stunden auf. Bei länger andauernden Ausfällen sind die Gewebedefekte meist nicht mehr zu beheben.

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