Israelisch-syrische Geheimtreffen Scharon duldete Verhandlungen über Rückgabe des Golan
Hamburg - Der israelischen Zeitung "Haaretz" gelang heute zweifellos ein Coup. Jahrelang hätten Israel und Syrien Geheimverhandlungen geführt, die zu einem Friedensabkommen führen sollten, meldete das Blatt. Bei den einen nährte die Nachricht die Hoffnung auf ein bisschen mehr Frieden, bei anderen sorgte sie für Entsetzen, weil die Rückgabe der vor 40 Jahren besetzten und später annektierten Golanhöhen an Syrien inbegriffen war.
Die Regierungen in Jerusalem und Damaskus dementierten umgehend, dass es einen geheimen Fahrplan für ein Friedensabkommen zwischen den beiden Staaten gebe. Ein israelischer Regierungsvertreter, der nicht genannt werden wollte, bestätigte lediglich, dass es inoffizielle Kontakte gegeben habe.
Die Ergebnisse der acht geheimen Treffen liegen jedenfalls vor. Und sie sind brisant - zeigen sie doch die Eckdaten eines möglichen Friedensabkommens zwischen den verfeindeten Ländern:
- Zwischen Syrien und Israel soll es zu einem Grundlagenvertrag kommen. Darauf basierend solle ein Friedensvertrag unterzeichnet werden.
- Israel soll sich von den Golanhöhen zurückziehen. Die Grenze soll die vom 4. Juni 1967 sein. (Über den Zeitplan des Rückzugs gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Die syrischen Vertreter wollen ihn binnen fünf, die israelischen Gesprächspartner binnen 15 Jahren)
- Entlang des Sees Genezareth soll es eine Pufferzone in Form eines Naturparks geben, der auch einen Großteil des Golan einnehmen soll. Dieses Reservat sollen Israelis jederzeit ohne syrische Erlaubnis betreten dürfen.
- Israel soll weiterhin die Wasserreserven am See Genezareth und die Quellen des Jordan kontrollieren.
- Das Grenzgebiet soll entmilitarisiert werden. Das entmilitarisierte Gebiet auf syrischer Seite soll viermal so groß sein wie auf israelischer.
- Syrien soll sich bereit erklären, seine Unterstützung der Hamas und der Hisbollah einzustellen und sich von Iran distanzieren.
- Ein von den USA betriebenes Frühwarnsystem soll eingerichtet werden, einschließlich einer Station auf dem Berg Hermon an der äußersten Nordspitze Israels.
Die Dementis aus den Regierungslagern wiegen nicht schwer. Denn dass die Verhandlungen nicht irrelevant - und insgeheim gewünscht - waren, geht aus dem Verhalten der israelischen Regierungschefs hervor. Laut "Haaretz" wurde der damalige Ministerpräsidenten Ariel Scharon, der seit einem Jahr im Koma liegt, nach jedem Treffen informiert. Auch Nachfolger Ehud Olmert wusste davon. Möglicherweise hielten sie nicht viel von diesen Treffen - doch beide unterbanden sie nicht.
Folgt man der Darstellung in "Haaretz", entsprangen die syrisch-israelischen Geheimverhandlungen vor genau drei Jahren zunächst reinem Zufall. Beim Besuch des syrischen Präsidenten Baschar Assad in der Türkei im Januar 2004 - wofür der türkische Gastgeber Recep Tayyip Erdogan von jenen kräftig gescholten worden war, die auf eine Isolation Syriens setzten - habe sich Alon Liel, früherer leitender Angestellter beim israelischen Außenministerium und vormals Israels Botschafter in Ankara, im gleichen Hotel aufgehalten wie die syrische Delegation.
Kaum in Israel zurück, sei Liel vom türkischen Botschafter in Israel zu sich gerufen worden. Der Diplomat sagte Liel, Syriens Präsident Assad habe Erdogan gebeten, seinen Einfluss in Israel geltend zu machen und den "Rost von der Verhandlungsleitung" nach Syrien zu entfernen. Liel sollte diskret vorfühlen, ob es aus dem Umfeld Scharons einen israelischen Partner für verdeckte Gespräche mit Syrien gebe, die von der Türkei vermittelt werden sollten.
Im Büro des Premiers in Jerusalem scherte man sich nicht groß um die Vermittlungsbemühungen. Denn sie waren angesichts der amerikanischen Haltung gegenüber dem als "Schurkenstaat" qualifizierten Syrien nicht opportun. Dennoch ließ Scharon Liel und die von ihm aktivierten Verhandlungspartner gewähren.
Ab Sommer 2004 trafen sich Liel, der amerikanische Jude Geoffrey Aronson und Ibrahim Ayeb Suleiman, ein syrisch-alawitischer Geschäftsmann, insgesamt acht Mal in einer nicht genannten europäischen Hauptstadt unter Mithilfe eines ebenfalls nicht genannten europäischen Vermittlers. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE handelte es sich dabei um die Hauptstadt eines europäischen Landes, das nicht EU-Mitglied ist. Sowohl Liel als auch Suleiman unterrichteten nach jedem Treffen die höchsten Stellen ihrer jeweiligen Länder. Im August 2005 wurde das oben genannte Dokument formuliert.
Hinter der angeblichen Zufallsbegegnung in dem türkischen Hotel steckte politisches Kalkül. Syrien ist daran interessiert, aus der diplomatischen Isolation zu kommen. Anfang 2004 gab es einige Bemühungen der Annäherung zwischen Damaskus und Israel. Die Staatspräsidenten beider Länder luden sich gegenseitig ein - heraus kam nichts.
Auf einer Nahost-Konferenz in Madrid vergangene Woche - 15 Jahre nach der ersten Madrid-Konferenz - wagte Syrien erneut einen Vorstoß. Der Gesandte Riad Daoudi sagte, sein Land sei zu Verhandlungen bereit - wobei Syriens Vize Faruk al-Schara jedoch einschränkte, Daoudi spreche nicht offiziell für Syrien, sondern lediglich als Privatmann. Daoudi tadelte zudem die USA, den Friedensprozess in der Region nicht voranzutreiben.
In Europa setzte man einige Hoffnungen in die Verhandlungen hinter den Kulissen - schließlich hatte auch der Oslo-Prozess nach den gescheiterten Madrider Gesprächen mit den Palästinensern mittels geheim gehaltenen Konsultationen auf niederer diplomatischer Ebene begonnen. Außerdem nahm man zur Kenntnis, dass Syrien zunehmend unter Zugzwang steht.
Der europäische Vermittler zitierte Faruk al-Schara, der Islamismus bedrohe die Regierung in Damaskus, und nur Frieden könne diese an der Macht halten. Außerdem erkenne Syriens Herrscher, dass das Land künftig auf ausländische Investitionen angewiesen sei, weil die Ölreserven nicht ewig zur Verfügung stünden. Nur ein Friedensvertrag werde langfristig Investoren anlocken und Devisen ins Land spülen.
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wurden die Ergebnisse der acht Geheimtreffen nun von syrischer Seite an die Öffentlichkeit gebracht - um in Israel eine öffentliche Debatte über ein Abkommen mit Syrien anzustoßen. Nebenbei dürfte auch Olmert die Veröffentlichung des Materials gelegen kommen. Es könnte von seinen derzeitigen Problemen ablenken. Am Abend ging in Israel die Eilmeldung über die Ticker, gegen Olmert werde in einer Banken-Affäre ermittelt.