Israels Opposition zum Nahost-Konflikt "Netanjahu will keinen Frieden"
SPIEGEL ONLINE: Die Palästinenser wollen im September die Uno-Mitgliedschaft beantragen, weil sie nicht mehr an den Erfolg von Verhandlungen glauben. Israel droht für diesen Fall mit einseitigen Schritten. Sie schlagen ein Interimsabkommen vor, um eine Konfrontation zu vermeiden. Was wäre der Vorteil?
Mofas: Die Strategie war bisher immer: Lasst uns über alles diskutieren und einen Kompromiss bei allen Themen finden, dann schließen wir einen Vertrag, den wir dann in die Realität umsetzen. Dieses Vorgehen ist ein strategischer Fehler. Seit Beginn des Friedensprozesses von Oslo, also seit fast zwanzig Jahren, funktioniert das nicht. Die Lücken zwischen beiden Seiten sind sehr groß. Zu groß. Wir werden den Punkt nicht erreichen, an dem wir in allen Bereichen Einigung erzielen können.
SPIEGEL ONLINE: Wie würde Ihr Plan da helfen?
Mofas: Es gibt zwei Gebiete, auf denen wir einer Einigung sehr nah sind: Grenzen und Sicherheit. Alle Beteiligten wissen, wo die Grenzen zwischen unseren Staaten am Ende verlaufen werden. Die Siedlungsblöcke werden zu Israel gehören. Für diese acht bis zehn Prozent Land werden wir den Palästinensern anderes Land geben. Wir haben den Palästinensern in der Vergangenheit die Gebiete gezeigt, die wir tauschen könnten, und sie haben nicht nein gesagt. Was Sicherheit angeht: Es ist allen klar, dass die Palästinenser keine Luftwaffe, keine Panzerbrigaden und keine Marine haben werden. Wenn wir uns darauf schnell einigen können, warum sollten wir dann noch mal zwanzig Jahre warten? Und der Vorteil für die Palästinenser: Sie könnten mit einem Interimvertrag einen palästinensischen Staat auf 60 Prozent des Westjordanlands ausrufen.
SPIEGEL ONLINE: Warum nur auf einem Teil des Gebiets? Und warum sollten die Palästinenser darauf vertrauen, dass sie eines Tages auch die restlichen 40 Prozent bekommen?
Mofas: Wenn wir die Grenzen in einem Vertrag festlegen und Israel öffentlich sagt: Ja, wir wollen den Palästinensern einen Staat auf hundert Prozent des Landes geben - dann kann auch ein neuer Premierminister das nicht mehr zurückdrehen. Außerdem muss es eine internationale Garantie geben, die klar festlegt, dass ein endgültiger Vertrag einen palästinensischen Staat schaffen wird, der so groß ist wie vor 1967. Nicht in den genauen Grenzen von 1967. Wir können nicht 250.000 Siedler umsiedeln.
SPIEGEL ONLINE: Und warum kann es nicht sofort einen palästinensischen Staat im ganzen Westjordanland geben?
Mofas: Weil wir Zeit brauchen, um ein Kompensationsgesetz im Parlament zu verabschieden. Dann wird es vier bis sechs Jahre dauern, bis die 60.000 bis 70.000 Menschen, die außerhalb der Siedlungsblöcke leben, umgesiedelt sind. Keine Regierung ist in der Lage, diese Siedler mit Zwang zu evakuieren. Aber wir können sie überzeugen.
SPIEGEL ONLINE: Aber diese Siedler sind ja gerade die radikalsten. Wie wollen Sie die überzeugen?
Mofas: Wir werden nicht alle überzeugen können. Aber sie werden erkennen, was wir ihnen anbieten: eine hundertprozentige Entschädigung für ihr Haus; eine Jobgarantie; zehn Prozent Steuererleichterung; ein kostenloses Studium für ihre Kinder und Enkel. Mehr als die Hälfte der Siedler würde in ersten zwei Jahren freiwillig umziehen. Wenn die Regierung der anderen Hälfte dann sagt: In zwei Jahren kriegt ihr keine Entschädigung mehr, und am Ende werdet ihr doch gehen müssen, dann glaube ich, dass noch ein Viertel gehen wird.
SPIEGEL ONLINE: Am Ende bleiben nach Ihrer Berechnung rund 15.000 Siedler übrig. Die werden gewaltsam geräumt, so wie 2005 im Gaza-Streifen?
Mofas: Ich rechne mit 5000, vielleicht 10.000 Leuten. Mit denen müssen wir fertigwerden. Es wird hart. Aber wir werden sie umsiedeln, auch mit Zwang. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen dann 5000 oder 10.000 - und den 70.000, mit denen wir es jetzt zu tun haben.
SPIEGEL ONLINE: Und die Palästinenser warten sechs Jahre still und friedlich ab, bis die Siedler mit großzügigen Angeboten weggelockt sind? Was haben sie von dem Interimsabkommen?
Mofas: Sie werden sofort eine volle territoriale Kontinuität haben, von Dschenin bis Hebron. Nicht nur auf dem Papier, sondern wirklich, dafür müssen wir Straßen bauen. Aber es würde funktionieren. Auf diesen 60 Prozent des Westjordanlands leben 99,2 Prozent der Palästinenser. Die Wirtschaft wird boomen, und das ist unser wichtigstes Instrument, um beide Seiten von weiteren Kompromissen in allen anderen Bereichen zu überzeugen und das tiefe Misstrauen zu durchbrechen.
SPIEGEL ONLINE: Der israelische Premier Benjamin Netanjahu beharrt darauf, dass es nur Verhandlungen geben kann, wenn die Palästinenser Israel als "jüdischen Staat" anerkennen. Sie auch?
Mofas: Netanjahu tut das, um dem Friedensprozess Hindernisse in den Weg zu legen. Er will keinen Frieden. Ich sage das ganz offen: Abu Mazen (der palästinensische Präsident Machmud Abbas) muss Israel jetzt nicht als jüdischen Staat anerkennen. Wir sind ein jüdischer Staat, so oder so, es gibt daran keinen Zweifel. Erst wenn wir einen endgültigen Friedensvertrag unterschreiben, müssen die Palästinenser Israel als jüdischen Staat anerkennen. Aber wir können das nicht zur Vorbedingung machen.
SPIEGEL ONLINE: Ist Netanjahu bereit für Ihren Friedensplan?
Mofas: Ich war dreimal in Amerika, seit Präsident Barack Obama regiert. Vertreter der US-Regierung sagten mir: Überzeuge Netanjahu von deinem Plan, dann werden wir ihn als amerikanischen Vorschlag präsentieren. Ich habe Netanjahu den Plan mehr als zwei Stunden erklärt. Aber er sagte nur, er müsse sehen, er müsse es überprüfen. Nichts ist passiert.
SPIEGEL ONLINE: Was wäre die Alternative?
Mofas: Es gibt keine. Wir Israelis müssen jetzt die Initiative ergreifen und einseitige Schritte der Palästinenser verhindern. Handeln wir nicht, könnte es zu einer neuen Konfrontation kommen. Angesichts der arabischen Aufstände könnte das zu einer regionalen Auseinandersetzung führen. Wir versuchen seit zwanzig Jahren, einen Kompromiss zu finden. In der Zwischenzeit hatten wir zwei Kriege mit dem Libanon und zwei große Militäroperationen, eine im Westjordanland und eine in Gaza. Wenn wir noch zwanzig Jahre warten, gibt es noch zwei Kriege, weitere Militäreinsätze, mehr Blutvergießen. Und wir werden am Ende an dem gleichen Punkt kommen, an dem wir heute sind. Nur dass dann anstatt von 300.000 vielleicht 500.000 Siedler im Westjordanland leben. Es wird der Punkt kommen, wo eine Lösung unmöglich wird.