Israels Siedlungspolitik Manöver vor der großen Schlacht

Der Konflikt um die Räumung jüdischer Dörfer im Gaza-Streifen spitzt sich zu. Israels Sicherheitskräfte haben einen radikalen Siedler-Anführer verhaftet. Jüdische Fanatiker kündigten einen Massenansturm auf den Jerusalemer Tempelberg an. Hunderte Muslime verschanzten sich daraufhin in der al-Aksa-Moschee.
Von Alexander Schwabe

Hamburg - "Wer wirklich ins Gefängnis gehört ist Premierminister Ariel Scharon" - Naomi Ofan lässt ihrer Entrüstung im israelischen Armee-Sender freien Lauf. Wer heute so schimpft, muss längst nicht mehr der Linken angehören, den Liberalen, die auf Versöhnung mit den Palästinensern aus sind. Seit der Ministerpräsident die Auflösung israelischer Siedlungen im Gazastreifen im Sinn hat, ist er auch jenen zum Hassobjekt geworden, die früher ihre Hoffnung auf ihn setzten.

Naomi, die sich über die Regierung echauffiert, ist mit Neriya Ofan verheiratet, einem Rechtsaußen der radikalen Siedlerszene. Die Polizei nahm den 33-jährigen Vater von vier Kindern gestern Nachmittag am Kontrollpunkt Hizma fest, als er auf dem Weg vom heimischen Yitzhar, einer Siedlung südlich von Nablus in der Westbank, nach Jerusalem war. Er wurde ins Schickma-Gefängnis nach Aschkalon gebracht. Dort sitzt er im Flügel des israelischen Geheimdiensts Schin Bet ein. Nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers Schaul Mofaz soll Ofan bis zum 30. September eingesperrt bleiben. Dann soll der Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen abgeschlossen sein.

Die Vorwürfe der Regierung gegen Ofan wiegen schwer. Er gehört nicht nur zu jenen Radikalen, die den Tempelberg, den nach Medina und Mekka heiligsten Ort der Muslime, Israel einverleiben wollen. Armee, Geheimdienst und Staatsanwaltschaft sind sich einig, dass er zudem unter Terrorverdacht steht. Er soll Anschläge auf Palästinenser geplant haben. Er wird mit "jüdischen Terrorzellen", so die israelische Zeitung "Ha'aretz", in Verbindung gebracht, die für den Mord an acht Palästinensern in den Jahren 2001 bis 2002 verantwortlich gemacht werden. Nach Angaben der israelischen Armee ist Ofan auch seit Monaten damit beschäftigt, Soldaten davon zu überzeugen, sie müssten Befehle zur Räumung der Siedlungen verweigern.

Ofans Frau Naomi reagierte auf den Coup der Sicherheitsbehörden mit Zynismus: "Über diese Verhaftung kann ich nur lachen." Seit Scharon diesen "bösen Plan zur Deportation" hege, habe man unter den radikalen Siedlern mit Verhaftungen gerechnet. "Wir wussten lediglich nicht, auf wen sie es abgesehen hatten." Das ganze sei ein Witz, die Festnahme beruhe auf falschen Beschuldigungen seitens der Regierung.

Erster Gefangener unter "Diktator Scharon"

Schon kurz nach der Verhaftung Ofans formierte sich Protest. Ein Sprecher der Hardliner-Siedlung Yitzhar bezeichnete die Festnahme als einen "Akt der Feigheit". Der Knesset-Abgeordnete Aryeh Eldad von der Nationalen Union, der zum zivilen Ungehorsam gegen den geplanten Abzug aufgerufen hat, sagte gar: "Ich gratuliere dem ersten Regierungsgefangenen unter dem Diktator Scharon. Ich sage ihm: Da du inhaftiert wurdest, hast du gewonnen."

Die israelischen Behörden haben weitere Rechtsaktivisten im Visier. Offiziere der Armee empfehlen, Dutzende Siedlerführer spätestens von Anfang Juni an in Vorbeugehaft zu nehmen. Ofan hat im Aschkaloner Gefängnis bereits Gesellschaft von drei weiteren Kampfesgenossen, die angeblich geplant hatten aus Protest gegen Scharons Abzugsplan Autobahnen zu blockieren.

Die Stimmung heizt sich zusehends auf, je näher der Termin rückt, an dem insgesamt 25 Siedlungen geräumt werden sollen. Dass Premier Scharon nun mitteilte, er werde den Abzug aus dem Gaza-Streifen wegen eines jüdischen Feiertags um drei Wochen bis Mitte August verschieben, fällt kaum ins Gewicht. Im Gazastreifen zerstörten israelische Bewohner am Wochenende sieben Lastwagen, Bulldozer und Dampfwalzen privater Firmen. Mit dem schweren Baugerät sollten Straßen ausgebaut werden, damit der Abzug der Siedler reibungslos verlaufen kann.

Gewalt auf dem Tempelberg

Eine treibende Kraft gegen Scharons Pläne ist die ultranationalistische Bewegung "Revava". Sie hatte in den vergangenen Tagen wieder einmal zum Sturm des Tempelberges aufgerufen, worauf sich vergangene Nacht bis zu 1000 Muslime in der al-Aksa-Moschee verbarrikadiert hatten, um die heilige Stätte vor den Fanatikern der jüdischen Gruppierung zu schützen. Auch Ofan war laut Jerusalemer Augenzeugen immer wieder unter den Anführern von Märschen Rechtsgerichteter um den Tempelberg.

Der angekündigte Massenansturm auf den Platz, auf dem auch der Felsendom steht, blieb bisher aus. Doch "Revava" erreichte mit ihrer Ankündigung immerhin, dass es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei kam. Mehrere hundert Demonstranten protestierten heute gegen die Entscheidung der israelischen Behörden, aus Furcht vor Zusammenstößen zwischen Muslimen und radikalen Siedlern nur noch Palästinenser über 40 und mit israelischen Ausweispapieren auf den Haram al-Scharif zu lassen.

Bereits vor vier Wochen hatte "Revava" die Besetzung des Tempelberges angekündigt. Doch die Gruppierung - auf Deutsch: "zehntausend" - mobilisierte damals gerade einmal ein paar Dutzend Aktivisten, von denen 16 festgenommen wurden. Immerhin gelang es den Rechtsgerichteten, ein Heer von Sicherheitskräften aus allen Teilen des Landes in Jerusalem zu binden. Mit ähnlichen Aktionen will die sich aus der verbotenen Organisation "Kahana Hai" rekrutierende Gruppe in den kommenden Monaten Soldaten und Polizisten beschäftigen und diese so von der Räumung der Siedlungen abhalten.

Fünf Soldaten auf jeden widerspenstigen Siedler

Die Evakuierung von möglicherweise 8000 Menschen in 21 Siedlungen des Gazastreifens und vier weiterer Orte im Westjordanland, die bis zum Stichtag im August nicht freiwillig ausgezogen sein werden, bedarf eines Großaufgebots der Armee. Die Streitkräfte haben jetzt eine Übung abgeschlossen, in der die Räumung durchgespielt wurde. Fünf Soldaten sind für jeden Widerstand leistenden Siedler vorgesehen. Vier von ihnen sollen die Widerspenstigen an Armen und Beinen packen, ein fünfter soll den Trägern einen Weg durch die Menge bahnen.

In den kommenden zwei Wochen will die Regierung entscheiden, ob die geräumten Gebäude im Gaza-Streifen erhalten oder zerstört werden sollen. Der stellvertretende Ministerpräsident Schimon Peres sprach sich jetzt gegen eine Zerstörung aus. Der "Jerusalem Post" sagte er, ein Abriss werde den Abzug um drei Monate verzögern und Kosten in Millionenhöhe verursachen.

Sollte sich die Regierung für einen Abriss der Häuser entscheiden, dürfte dies die Wut der Siedler noch einmal steigern. Ihr Kampf gegen die Regierung wird weitergehen, die zweite Front, der sich viele Siedler gegenüber sehen, wird zunehmend zur Nebensache. Als Neriya Ofans Frau Naomi vom Hizma-Checkpoint zurück in ihre Siedlung im Westjordanland fuhr, warfen Palästinenser einen Molotow-Cocktail gegen ihr Auto. Verletzt wurde bei dem Angriff niemand.

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