Israels Siedlungspolitik Palästinenser protestieren gegen Zwangsräumungen

Sie campieren vor ihren früheren Häusern, protestieren auf der Straße: Im arabischen Osten Jerusalems machen Palästinenser mobil gegen die Verdrängung durch jüdische Siedler. Im Fall des Familienvaters Maher Hanun schaltete sich sogar Hillary Clinton ein.

Einige Schaumstoffmatratzen, ein Dutzend Plastikstühle, eine Kühlbox, ein Backgammon-Spiel: Mehr hat Maher Hanun nicht, der seit zehn Tagen unter einem alten Olivenbaum lebt - auf einem Gehweg im Ost-Jerusalemer Stadtteil Scheich Scharra. Die Aussicht von seinem Notquartier aus könnte deprimierender nicht sein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht das Haus, in dem der 51-Jährige geboren wurde, in dem er aufwuchs, in dem er seine eigene Familie gründete.

Drei in Reihe gebaute Häuschen, Jasmin rankt über die Vorgartenzaun: eine Idylle, in der Hanun und die Familien seiner beiden Brüder eng miteinander lebten, bis an jenem Sonntagmorgen vor zehn Tagen die israelische Polizei seine Tür aufbrach und die 17 Einwohner vor die Tür setzte. Zwei Stunden, nachdem die Häuser der Hanuns geräumt wurden, zogen unter Polizeischutz neue Bewohner ein: jüdische Siedler, die im arabischen Ost-Teil Jerusalems Fuß fassen wollen.

Seit Jahren führen die Hanuns und jüdische Gruppen einen verwickelten, komplizierten Rechtsstreit um die drei Häuser. Im Kern geht es um Besitzansprüche aus der Ära des Osmanischen Reichs, Papiere aus der Zeit der jordanischen Herrschaft über das Westjordanland - und Zusagen der für palästinensische Flüchtlinge zuständigen Uno-Behörde UNWRA, die Hanuns könnten in den von ihnen bewohnten Häusern bleiben. Der oberste israelische Gerichtshof hat den jüdischen Gruppen Recht gegeben, die aufgrund der hundert Jahre alten Dokumente Anspruch auf das Land und somit auf die Häuser erheben.

Ende Juni bekamen die drei Hanun-Brüder den Räumungsbefehl. Sie ignorierten ihn, weil sie die Entscheidung des Gerichts für ungerecht, für politisch motiviert halten. Damit stehen sie nicht allein: Einen Tag nach der Zwangsräumung bekamen die Hanuns Schützenhilfe - die US-Außenministerin Hillary Clinton meldete sich zu Wort und nannte den Vorfall "äußerst bedauerlich". Mit der Zwangsräumung palästinensischer Familien in Ost-Jerusalem verstoße Israel gegen seine Auflagen im Friedensprozess und das habe sie nun auch schon mehrmals gesagt, zürnte Clinton. "Ich fordere die Regierung und den Beamten der Stadt dringend auf, solche provokanten Aktionen zu unterlassen."

Hanuns Fall ist symptomatisch, deswegen beschäftigt er die hohe Politik. Seit Jahren ziehen politisch motivierte jüdische Siedler gezielt in den arabischen Teil Jerusalems, oft werden im Zuge dessen arabische Einwohner verdrängt. Die Zuzügler wollten Tatsachen schaffen, sagt Hagit Ofran, Siedlungs-Expertin der israelischen Organisation "Frieden Jetzt": je durchmischter die Nachbarschaften, desto schwieriger, den Osten Jerusalems im Falle eines Friedensschlusses und der Gründung eines Staates Palästina den Palästinensern zuzuschlagen.

"Die Dachverbände der Siedlerbewegung arbeiten seit Jahrzehnten daran, eine Zwei-Staaten-Lösung unmöglich zu machen", sagt Ofran. Die Siedlungsaktivitäten im Osten Jerusalems würden zentral gesteuert, der Staat schaue weg, vor allem, seit unter Benjamin Netanjahu diverse siedlerfreundliche Parteien Teil der Regierungskoalition seien.

Jüdischer Siedler gibt als Beruf "Rückeroberer des Landes" an

Der gesamte Osten Jerusalems sowie das Westjordanland wurde erst im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert, jeder Friedensplan sieht vor, dass Israel die seitdem besetzten Gebiete zurückgeben muss. Palästinenser wollen auf diesem Gebiet und im Gaza-Streifen ihren eigenen Staat gründen, Jerusalem soll seine Hauptstadt sein. Doch rechtsnationale Israelis sperren sich dagegen, erheben Anspruch auf das Westjordanland und Jerusalem: Dies sei das "Gelobte Land", das den Juden im Alten Testament als Heimstatt versprochen worden sei.

Einer, der dieser Überzeugung sein ganzes Leben untergeordnet hat, ist Arieh King. Der 35-Jährige gibt als Beruf "Rückeroberer des Landes" an. Vor zwölf Jahren kaufte er ein Haus auf dem Ölberg, lebt seitdem inmitten arabischer Nachbarn, mit Blick auf Jerusalems Altstadt. "Dies ist die Heilige Stadt, sie gehört der jüdischen Nation, und nicht nur in Teilen", sagt King. Die allermeisten Siedler, die heute in den Ostteil Jerusalems zögen, täten das aus politischer Überzeugung. "Wer heute hier kauft, schaut 30, 40, 50 Jahre voraus. Durch unsere Anwesenheit hier garantieren wir, dass diese Stadtteile auch in Zukunft Teil des jüdischen Staates bleiben."

Für King ist das Wachstum der jüdischen Bevölkerungszahl in arabischen Vierteln ein großer Erfolg: "Vor zwölf Jahren lebten nur in zwei arabischen Vierteln Juden, heute sind es schon sieben." Dass die Siedlungsaktivitäten einen Friedensschluss erschweren, ficht ihn nicht an. "Mit den Muslimen kann es ohnehin keinen Frieden geben", so King. Im Kampf um das Heilige Land könne es nur einen Sieger, keinen Kompromiss geben. "Entweder alles wird israelisch-jüdisch, oder die Muslime übernehmen die Macht komplett."

Dass den jüdischen Enklaven im Ostteil der Stadt in den vergangen Wochen erhöhte Aufmerksamkeit zukommt, liegt daran, dass die neue US-Regierung die jahrelang stagnierenden Friedensgespräche endlich wieder anschieben will. Als Beweis, dass es Israel ernst ist mit der Zwei-Staaten Lösung, will Washington von Regierungschef Benjamin Netanjahu Zugeständnisse: Die Siedlungsaktivitäten vor allem in Ost-Jerusalem sollen umgehend eingefroren werden, haben die USA wiederholt gefordert. Vorfälle wie der Rauswurf des Hanun-Clans zeigen jedoch, dass Israel sich nicht zum Gehorsam zwingen lassen will. Die Spannungen zwischen den USA und Jerusalem wachsen weiter, mit jeder neuen Häuserräumung.

Donnerstagabend in Scheich Scharra: Etwa 500 Nachbarn, Aktivisten, Vertreter internationaler Solidaritätsgruppen haben sich an Hanuns improvisierten Nachtlager versammelt. Kerzen brennen, Flugblätter werden verteilt. Kirchenleute singen "We shall overcome", Demonstranten halten Banner hoch: "Nein zur ethnischen Säuberung Ost-Jerusalems".

Entlang der Straße parken mehrere Kleinbusse: Die Polizei steht mit Dutzenden Männer bereit, um Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Siedlern im Keim zu ersticken. Auch der Stabschef des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas ist hier. "Wenn bewiesen ist, dass diese Häuser nach Papieren von 1920 rechtmäßig Juden gehören, sollen sie sie haben", sagt Rafik Husseini in die Kameras der angerückten Fernsehteams. "Aber dann wollen wir Palästinenser auch alle Häuser innerhalb Israels zurück, die uns vor 1948 gehört haben."

In all dem Trubel wirkt Maher Hanun verloren, auch wenn ihn Dutzende Unterstützer grüßen, umarmen, ihm auf die Schulter klopfen. Er lächelt, dankt, ist aber immer wieder abgelenkt. Dann schaut er auf die andere Straßenseite. Im Schein der Straßenlaternen huschen dort ultra-othodoxe Siedler durch ein Gittertor in einen Vorgarten, seinen Vorgarten, wie er sagt. "Ich habe die Schlüssel hier", sagt Hanun und hält ein schmales Bund hoch.

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