Proteste gegen Erdogan Fast tausend Festnahmen in der Türkei
Istanbul - Nach mehrtägiger Konfrontation mit Demonstranten in Istanbul hat sich die türkische Polizei am Samstag vom zentralen Taksim-Platz zurückgezogen. Zehntausende Protestteilnehmer zogen am Abend jubelnd durch die Straßen. Sie skandierten Parolen gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.
Erdogan forderte ein sofortiges Ende der Proteste, räumte aber ein, dass die Polizei in einigen Fällen "extrem" reagiert habe. Am Samstag hatte es in der Millionenmetropole zunächst den zweiten Tag in Folge heftige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gegeben.
Die türkische Polizei hat bei der Protestwelle im ganzen Land bei 90 verschiedenen Demonstrationen insgesamt 939 Menschen festgenommen. Wie Innenminister Muammer Guler am Samstag erklärte, wurden davon viele bereits wieder freigelassen. Insgesamt seien 79 Menschen verletzt worden.
Die Proteste richteten sich ursprünglich gegen den Bau eines Einkaufszentrums anstelle des Gezi-Parks, inzwischen aber gegen den autoritären Führungsstil der Regierung Erdogan. Mittlerweile greifen die Proteste auf andere türkische Städte über. In Ankara versammelten sich Tausende Demonstranten unweit des Parlaments. Polizisten hinderten die Menschen daran, sich dem Parlament oder dem Amtssitz Erdogans zu nähern.

Protest gegen Erdogan: Heftige Proteste erschüttern die Türkei
Am Vormittag hatte die Polizei rund um den Taksim-Platz in Istanbul Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt. Die Demonstranten reagierten mit Steinwürfen. In der Nacht zum Samstag nahm die Polizei nach eigenen Angaben 63 Menschen fest. Die türkische Ärzteschaft berichtet von fast 1000 Verletzten, meldet der "Guardian" . Sechs Menschen seien von Tränengaskanistern getroffen worden und hätten Augen verloren.
"Rücktritt der Regierung"
Nach dem Rückzug der Polizei am Samstagnachmittag strömten Zehntausende Demonstranten erneut auf den Platz und forderten Erdogans Rücktritt. Sie riefen unter anderem Parolen wie "Wir sind hier Tayyip, wo bist du?" und "Rücktritt der Regierung". Auf einem Tumblr-Blog wurden aktuelle, zum Teil drastische Fotos von den Protesten gesammelt.
Erdogan hatte zunächst noch erklärt, die Polizei werde am Wochenende auf dem Platz bleiben. Zugleich bekräftigte er, an dem Bauvorhaben im Gezi-Park festzuhalten. Er räumte aber auch Fehler ein: "Es stimmt, dass es Fehler und extreme Aktionen bei der Reaktion der Polizei gab." Das Innenministerium kündigte rechtliche Folgen für Polizeibeamte an, die "unverhältnismäßig" agierten.
Europaparlament-Präsident Martin Schulz (SPD) bezeichnete das Polizeivorgehen als "völlig unangemessen". Das britische Außenministerium forderte die Behörden zur Zurückhaltung auf. Das US-Außenministerium forderte "Garantien für die freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit".
Außenminister Guido Westerwelle forderte Besonnenheit beim Einsatz der Polizei gegen Demonstranten: "Es ist wichtig, dass in solchen Lagen auf Deeskalation gesetzt wird." Das Auswärtige Amt warnte Reisende auf seiner Website : Seit Freitag komme es in Istanbul und anderen Städten der Türkei zu Protesten. "Ausschreitungen und Tränengaseinsatz durch die Polizei sind nicht auszuschließen."