Italien Panik unter Sternen

Luigi Di Maio ist ratlos: Die Wähler wenden sich von seiner Fünf-Sterne-Bewegung ab - massenhaft. Der Populist muss um seinen Job bangen, während sein Koalitionspartner Salvini immer mächtiger wird.
Luigi Di Maio

Luigi Di Maio

Foto: Remo Casilli/ REUTERS

Gino Strada ist Notarzt und Gründer der Hilfsorganisation "Emergency". Ein sehr bekannter Mann in Italien. Er hat in Katastrophengebieten operiert und in Krisenregionen zwischen den Parteien vermittelt.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 kürte ihn die damals noch kleine, aber aufstrebende Fünf-Sterne-Bewegung zu ihrem Kandidaten. Man stand sich nahe, auch wenn Strada ablehnte und lieber Helfer bleiben als Präsident werden wollte.

Inzwischen ist die einstige Protesttruppe zur stärksten Partei im Lande angewachsen - knapp 33 Prozent der Italiener haben bei den Parlamentswahlen im März vorigen Jahres für sie gestimmt. Die Fünf-Sterne-Bewegung regiert nun in Rom gemeinsam mit der rechtsnationalen Lega.

Di Maio ist jung, talentiert - aber offenbar auch überfordert

Doch viele Weggefährten von einst sind enttäuscht. Wie Gino Strada. Der wütet inzwischen: "Italien wird von einer Bande regiert, die zu einer Hälfte Faschisten und zur anderen Arschlöcher sind." Nicht diplomatisch, aber deutlich.

Lega-Chef Matteo Salvini kann mit solch frontaler Kritik gut leben. Er sammelt ohnehin die ganz rechte Seite des Wählerpotenzials ein. Dort ist seine "Ausländer raus"- und "Italien zuerst"-Politik genau richtig positioniert.

Matteo Salvini

Matteo Salvini

Foto: RICCARDO ANTIMIANI/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Sterne-Wortführer Luigi Di Maio hat es da nicht so leicht. Denn die einstige "Va fan..." (Leck mich...)-Bewegung des Komikers Beppe Grillo hat eine extrem heterogene Gefolgschaft:

  • Da treffen Linke, Liberale und Rechte zusammen,
  • wollen sich internetaffine Großstädter ebenso wiederfinden wie konservative Landleute.
  • Einen Teil der Partei stellen Natur-Puristen, die gegen Schnellzüge, Autobahnen, Industrieansiedlungen demonstrieren.
  • Ein anderer Teil kommt von den Gewerkschaften und fordert von der Regierung viele neue Arbeitsplätze.

Der brave Nonnenschüler Di Maio, 32 Jahre alt, die Haare heute wie in der Kindheit immer gut gescheitelt, tut sich schwer. Er wurde von Politclown Beppe Grillo 2017 an die Parteispitze gestellt. Ob das die richtige Entscheidung war, scheint auch Grillo inzwischen umzutreiben.

Denn nach dem Erfolgsjubel vor gut einem Jahr läuft es nicht rund bei der Fünf-Sterne-Bewegung. Bei den Regionalwahlen verlor sie seither von Südtirol bis Sardinien fast immer Wähler - während die Lega meist im Verbund mit der Forza Italia von Silvio Berlusconi und den neofaschistischen Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens") antrat und ständig zulegte. Und für die Ende Mai anstehenden Europawahlen sagen viele Prognosen den Männern und Frauen um Di Maio landesweit einen Sturz unter die 20-Prozent-Marke voraus.

Konfuse Politik in Rom und dem ganzen Land

Der Parteichef weiß offenkundig nicht, was er machen soll, um den Negativtrend zu stoppen. Immer öfter sucht er seine Rettung in Attacken auf den Regierungspartner: Die Lega sei "geblendet von der Macht", und deren Chef Salvini wolle "alles an sich reißen". Der erinnere ihn an den sozialdemokratischen Ex-Premier Matteo Renzi und an Silvio Berlusconi. Aber: Das zieht alles nicht.

Zumal er bald darauf immer wieder der Lega bei der Umsetzung ihrer Politik hilft. Nicht wenige Abgeordnete der Fünf-Sterne-Bewegung blockierten kürzlich gemeinsam mit der Lega im Parlament ein Gerichtsverfahren gegen Salvini wegen Freiheitsberaubung.

Abgeordnetenkammer in Rom

Abgeordnetenkammer in Rom

Foto: Gregorio Borgia/ dpa

Das hatte die italienische Justiz in Gang gesetzt, nachdem dieser im vergangenen Jahr einem großen Teil von 177 aus Seenot geretteten Migranten fast eine Woche lang verboten hatte, das Schiff "Diciotti" zu verlassen.

Dass jeder Politiker, gegen den die Justiz ermittelt, umgehend zurücktreten müsse, hatte die Fünf-Sterne-Bewegung zuvor bei jeder Gelegenheit gefordert. Jedenfalls vor der Machtübernahme in Rom. Nun ist das alles vergessen: Die Fünf-Sterne-Bewegung hat ihren Kompass verloren. Und das realisieren die Wähler und strafen es ab. Dazu kommen ständig Pannen, Peinlichkeiten und Skandale:

  • Mal erweisen sich im Wahlkampf versprochene Wohltaten, wie ein Grundeinkommen für jeden Bürger, als nicht bezahlbar.
  • Dann werden gut gemeinte Gesetze einfach verpatzt: So versprachen Di Maio und seine Bewegung den Italienern, die bei Bankpleiten Geld verloren haben, staatlichen Schadensersatz. Mit dem Dekret, das sie zu dem Zweck geschrieben haben, das musste ihnen jetzt der Finanzminister sagen, bekäme aber kein einziger Sparer auch nur einen Euro. Es verstoße in der Form nämlich gegen nationale wie europäische Regeln.
  • Auch die ungeheuerlichen Zustände  im von der Fünf-Sterne-Bewegung regierten Rom - Müllberge, die ständig wachsen, und U-Bahnen, die seit Monaten nicht fahren - machen wenigen im Land Lust auf weitere Sterne-Regierungen.

Genüsslich verkündet Di-Maio-Partner Salvini deshalb immer mal wieder, scheinbar beiläufig: "Die Römer verdienen eine bessere Stadt". Es ist ein offensichtliches Spiel: Bei nächster Gelegenheit will die Lega Rom übernehmen. Und ihre Chancen werden täglich besser.

Rousseau- Plattform: "unsicher und gesetzwidrig"

Nun hat auch noch die staatliche Aufsichtsbehörde zum Schutz privater Daten im Internet die "Rousseau-Plattform", auf der das interne Online-Abstimmungsverfahren der Fünf-Sterne-Bewegung läuft, als "unsicher" und "gesetzwidrig" bezeichnet. Die Folge: eine 50.000-Euro-Strafe und eine Frist zum kompletten Umbau.

Als ob das alles nicht reichen würde, bahnt sich das größte Debakel zu den Kommunalwahlen am 26. Mai im Piemont, im Nordwesten Italiens, an. Das war bislang eine Hochburg der Fünf-Sterne-Bewegung.

Der Widerstand gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke (TAV) von Turin ins französische Lyon hat dort flächendeckend zu einer Symbiose von widerspenstigen Bürgern und ihren politischen Freunden um Di Maio geführt.

Baustelle der Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke TAV

Baustelle der Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke TAV

Foto: MARCO BERTORELLO/ AFP

Nun werden die Sterne in der Region nur in zwei von 22 Gemeinden mit ihrem eigenen Symbol antreten. Im Rest ihres einstigen Kernlandes versteckt man sich lieber hinter Bürgervereinigungen und Personen. Zu sehr hat die Di-Maio-Politik die Menschen dort vergrault:

  • "No-TAV" hatte man im Wahlkampf den lokalen Initiativen versprochen,
  • dann war man eingeknickt,
  • wieder aufgestanden,
  • neu eingeknickt
  • und schließlich mit einer ganz neuen Lösung zurückgekommen - einer anderen Streckenführung auf schon vorhandenen Gleisen, ohne Tunnel durch die Natur.

Allein: Experten sagen, damit das überhaupt noch einen Sinn habe, müsse man die zweigleisige Linie zu einer viergleisigen ausbauen. Dafür müsste man allerdings 140 zum Teil sehr große Miethäuser abreißen und 1.500 Menschen aus ihren Wohnungen vertreiben. Sie - und andere - werden bei der Fünf-Sterne-Bewegung nun sicher kein Kreuz machen.

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