Migranten in Italien Hass, Hetze und Gewalt

Protest gegen Lega-Chef Matteo Salvini (in Rom)
Foto: FABIO FRUSTACI/EPA-EFE/REX/ShutterstockEr habe "nur die Waffe ausprobieren" wollen, sagte der frühere Senatsangestellte zu den schrecklichen Ereignissen an jenem 17. Juli in Rom. Der Mann hatte auf ein 13 Monate altes Baby gefeuert, das Kind einer Roma-Familie wurde verletzt. Es sind Fälle wie diese, die Italien in diesem Sommer bewegen - und für eine heftige Rassismusdebatte gesorgt haben.
Seit Wochen schon werden in dem Land Migranten attackiert, vor allem solche mit schwarzer Haut. Es sind längst nicht nur Beleidigungen. Immer wieder fallen Schüsse, mitunter völlig wahllos. Die Opfer sind Männer, Frauen, Kinder. Was ist da los? Medien berichteten etwa über diese Fälle:
- Caserta, 11. Juni: Mit einer Luftpistole wird auf zwei junge Männer aus Mali gefeuert; die Schützen rufen: "Salvini, Salvini!" (der rechtspopulistische Innenminister heißt Matteo Salvini)
- Neapel, 20. Juni: Einem 21-jährigen Kellner aus Mali wird in den Bauch geschossen; die Täter lachen, das Opfer muss ins Krankenhaus.
- Forlì, 2. Juli: Eine junge Frau aus Nigeria wird vermutlich von Schüssen aus einem Luftgewehr am Fuß erwischt.
- Forlì, 5. Juli: Schüsse treffen eine 33-jährige Radfahrerin aus der Elfenbeinküste in den Bauch.
- Latina, 11. Juli: Unbekannte feuern aus einem Auto auf zwei junge Nigerianer, die auf einen Bus warten.
- Vicenza, 26. Juli: Eine Kugel trifft einen Elektriker bei seiner Arbeit in den Rücken; das Opfer stammt von den Kapverden.
- Partinico in Sizilien, 26. Juli: Ein 19-jähriger Senegalese wird brutal zusammengeschlagen, die Täter brüllen: "Hau ab, dreckiger Neger!"
- Aprilia, 28. Juli: Nach einer Autojagd auf zwei vermeintliche Diebe kommt es zum Unfall. Die Verfolger schlagen darauf auf einen der Flüchtigen ein. Der Marokkaner stirbt im Krankenhaus.
"Schämen wir uns"
Ein anderer Vorfall in dieser Woche hat besonderes Aufsehen erregt: Ein Unbekannter hatte ein Ei aus einem fahrenden Auto auf das linke Auge der 22-jährigen Diskuswerferin Daisy Osakue geschleudert. Das Mitglied im italienischen Nationalteam der Leichtathleten wurde in Italien geboren - als Kind nigerianischer Eltern. "Die wollten nicht mich als Person treffen", sagte sie, "sondern irgendjemanden mit dunkler Haut."

Diskuswerferin Daisy Osakue
Foto: Alessandro Di Marco/ AP"Schämen wir uns" schrieb daraufhin die kirchliche Tageszeitung "L'Avvenire" auf ihre Titelseite. Alle Papier-, TV- und Internetmedien griffen die Attacke auf. Viele Sportler erklärten sich solidarisch mit Daisy Osakue. Italiens Torwartlegende Gianluigi Buffon twitterte: "Vorwärts Daisy". Der Präsident des Olympia-Komitees, Giovanni Malago, rief zu einer Anti-Rassismus-Kampagne auf. Ministerpräsident Giuseppe Conte rief sogar aus Washington an, um Solidarität zu zeigen.
Mehrheit glaubt Populisten
Nur die Mächtigsten im Land sehen das alles ganz anders. "Die Entrüstung über ein Ei im Gesicht", so Beppe Grillo, Ex-Komiker und Gründer der größten Regierungspartei "Fünf Sterne", reiche offensichtlich aus, dass die Medien ausflippten und "das Land an den Rand des Abgrunds brächten".
Und Salvini, Chef des Regierungspartners Lega, erklärte die Berichte über Rassismus zur "Erfindung der Linken" und deshalb zu "Unsinn". Die Italiener seien keine Rassisten, sondern "gute Menschen". Aber nach den "Masseneinwanderungen" unter den linken Regierungen seien sie "mit ihrer Geduld fast am Ende".
Tatsächlich ist der überwiegende Teil der Italiener inzwischen laut Umfragen gegen Migranten eingestellt. Drei Viertel der Befragten fürchten sich, so das Institut Fondazione Openpolis, vor globalen Negativentwicklungen, Wirtschaftskrisen und zunehmender Kriminalität. Zwar ist die Kriminalität in Italien seit Jahren faktisch rückläufig. Die Zahl schwerer Delikte wie Mord befindet sich auf einem Tiefstand. Aber viele Italiener glauben das offenbar nicht.
Politiker wie Innenminister Salvini bestärken die Menschen in deren Annahme, mehr Fremde bedeuteten zugleich mehr Verbrechen. Mit seiner knallharten Anti-Migranten-Politik hat Salvini seine Lega von der kleinen Rand- zur Regierungspartei aufgepumpt. Derzeit liegt sie gleichauf mit "Fünf Sterne", bei etwa 30 Prozent. Beide Populistenparteien kommen somit zusammen etwa 60 Prozent.
"Jetzt reicht es!"
Noch aber gibt es Italiener, die jeder Form von Rassismus entgegentreten.
Wie der Besitzer der Bar und Eisdiele "Iris" an der Westküste Sardiniens, Dionigio Fronteddu. Als vier etwa 20 Jahre alte Kunden sich beschwerten, sie wollten ihr Bier nicht "von einem mit schwarzer Haut" bekommen, stellte sich der Wirt vor seinen 18-jährigen Kellner aus dem Senegal: "Hier machen wir diese Unterscheidung nicht", erklärte er den Gästen. Die Männer gingen, der Wirt wunderte sich über "solche Töne im Jahr 2018".
Oder wie Vittore Trabucco aus Treviso, der sich in einem Leserbrief an die römische Zeitung "La Repubblica" über "blindwütige Angriffe auf Menschen mit schwarzer Haut" empörte. Ausgerechnet in Treviso, wo seit Jahrzehnten Bürgermeister der Lega Nord gegen Schwarze und Muslime vorgehen, weil diese angeblich Krankheiten verbreiteten.
Auch die Eigner des Weingutes "Astoria Wein" gehören zu jenen, die sich wehren. Sie haben diese Woche in ganzseitigen Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen gegen Fremdenhass und Rassismus protestiert: "Die Gewalt der Worte und der Taten ist nicht mehr zu ertragen...Jetzt reicht es!"
Gut 25 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge
Auch der Papst, Glaubens-Chef von 80 Prozent der Italiener, fordert unablässig Achtung und Respekt für jeden einzelnen Menschen ein, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe oder Religion.
Doch hören die Menschen auf ihn und seine Bischöfe? Oder auf den Staatspräsidenten Sergio Mattarella, der vor "Barbarei" in seinem Land warnt?
Immerhin haben diese und andere - Politiker, Philosophen, Sportler - jetzt Alarm geschlagen und eine breite Debatte über Rassismus in Italien entfacht. Maurizio Martina, der Vorsitzende der arg geschrumpften Sozialdemokraten, hat in Rom sogar eine - wenn auch kleine - Demonstration gegen Intoleranz und Rassismus organisiert.
Viele haben auch nicht vergessen, dass zwischen 1860 und 1960 etwa 25 Millionen Italiener ihre Heimat aus Not und Elend verlassen mussten. Im heutigen Sprachgebrauch wären sie "Wirtschaftsflüchtlinge".
Die Frage ist nun, ob es genug sein werden, die sich am Ende gegen Rechtspopulisten und Nationalisten stellen.