Rechtsextreme in Italien Die entfesselte Gewalt der Neofaschisten

Italiens extreme Rechte wächst, und mit ihr die Gewalt im Land. Brutalität als Teil der Politik und des Lebens trifft Flüchtlinge, Medien und die Polizei - oder auch völlig Unbeteiligte.

Vor einigen Tagen wurden im mittelitalienischen Viterbo zwei junge Männer festgenommen. Sie sollen am 11. April eine 36-jährige Frau zusammengeschlagen und mehrfach brutal vergewaltigt haben. Die Beweislage ist gut: Die mutmaßlichen Täter hatten alles gefilmt und an die Kameraden geschickt.

Was hat das mit Politik zu tun? Viel.

Die Täter sind Aktivisten der rechtsradikalen Casa-Pound-Bewegung. Einer der beiden, 19 Jahre alt, ist im vorigen Jahr auf deren Liste in den Stadtrat von Vallerano gewählt worden, einer nahegelegenen Kleinstadt. 21 Prozent der Stimmen hatte die Liste bekommen.

Casa Pound ist derzeit eine der einflussreichsten rechtsradikalen Organisationen in Italien, benannt nach dem amerikanischen Dichter und glühenden Bewunderer des italienischen Faschismus, Ezra Pound (1885-1972). Gegründet wurde sie 2003 in Rom. Die Mitglieder besetzten ein großes leerstehendes Haus - angeblich aus Protest gegen hohe Mieten - und machten daraus ihr Hauptquartier. Das ist es bis heute, von der Obrigkeit still geduldet. Später übernahmen sie eine verlassene U-Bahn-Station in der Nähe des Fußballstadions und machten daraus ihr "Kulturzentrum" - mit rechtsextremen Rock-Bands und Kampfsportturnieren. Illegal, aber geduldet.

Aufstieg seit 2008

Der große Aufstieg begann 2008. Gianni Alemanno von der rechtsradikalen Mini-Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) wurde, dank einer Allianz mit Silvio Berlusconi, Bürgermeister von Rom. Den Sieg feierten seine Anhänger mit Faschistengruß vor dem Pantheon. Der Ex-Minister in Berlusconis Regierung ist mit der Tochter von Pino Rauti verheiratet, einem der bekanntesten Neofaschisten. Alemannos Sohn war aktiv in der Jugendorganisation von Casa Pound. Klar, dass die "Faschisten des 3. Jahrtausends", wie sie sich nennen, mächtig Auftrieb bekamen. Knapp drei Jahre später haben sie mehr als 50 Zentren im ganzen Land. Parallel wächst die ständig propagierte Gewalt.

Gianni Alemanno

Gianni Alemanno

Foto: Jacopo Landi/ NurPhoto/ Getty Images

In Florenz erschoss 2011 ein Mann zwei senegalesische Straßenhändler, verwundete weitere drei schwer, ehe er sich selbst - von der Polizei umstellt - tötete. Menschen in Florenz und in ganz Italien zeigten sich damals empört und fassungslos, Staatspräsident Giorgio Napolitano sprach von einem "barbarischen Mord".

In der rechten Szene dagegen wurde der Mörder zum Helden. Ein Facebook-Aufruf ("Gianluca ist für uns gestorben!") brachte mehr als 6000 "Gefällt mir"-Klicks. Auf der Seite stand auch: "Florenz war erst der Anfang, wir werden ganz Italien säubern." Die ideologische Heimat des Täters war Casa Pound, er schrieb Artikel für deren Internetseite.

Aber nein, hieß es bei denen nach dem Massaker, der sei nur "ein Sympathisant, wie Hunderte andere in der Toskana" gewesen. Einer sagte: "Das war ein herrenloser Hund, der hatte mit uns nichts zu tun." So sah es auch der damalige sozialdemokratische Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi: Es sei "die ausländerfeindliche und wahnsinnige Tat eines Einzelnen" gewesen.

Das hatte sein Gegenspieler Silvio Berlusconi nach den Schüssen eines Lega-Aktivisten auf eine Gruppe von Afrikanern im vergangenen Jahr fast genauso gesagt: Es sei die Tat eines geistig gestörten Menschen, die habe "keinen klaren politischen Bezug".

Viterbo: "Gewalt wie ein Blitz aus heiterem Himmel"

So funktionierte der "War-doch-nichts"-Mechanismus immer. Auch vorige Woche in Viterbo: Casa Pound schmiss ihre beiden Aktivisten ganz schnell aus dem Verein und signalisierte Betroffenheit. Man habe ja nicht wissen können...

Auch für die 2500 Einwohner, schrieb die Berlusconi-Zeitung "Il Giornale", sei die "Gewalt wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen".

Tatsächlich war einer der mutmaßlichen Vergewaltiger von Casa Pound aufgestellt und von 21 Prozent der Einwohner gewählt worden, obwohl seine Gewaltbereitschaft bekannt war. Weil er die nämlich auch im Fußballstadion auslebte, hatte man ihn, so die Tageszeitung "La Repubblica", mit einer Stadion-Sperre belegt. 2017 hatte er gemeinsam mit Kameraden einen Jungen brutal zusammengeschlagen, der Casa Pound auf Facebook kritisiert hatte.

Auch auf seinen Instagram-Seiten war er sehr deutlich.  Da hieß es zum Beispiel: "Antifa-Mädchen brauchen Disziplin" - und ein Foto zeigt, was er damit meint. Oder auch, was er "mit einer Emanze" machen will.

Gleichwohl wurde er gewählt - oder vielleicht gerade deshalb?

Entfesselte Brutalität

Offenbar ist die Gewalt bei der Vergewaltigung in Viterbo aus dem Ruder gelaufen. Nicht die ständig propagierten Ziele, sondern eine weiße Frau wurde getroffen, die man ja ansonsten vor der Vergewaltigungsgefahr durch die Flüchtlinge schützen will - wie es auf rechtsradikalen Postern gern dargestellt wird. Aber Gewalt kann sich verselbständigen, wenn sie ständig - und sei es nur verbal - präsent ist. Und in Italiens Rechtsaußenszene ist die Androhung körperlicher Brutalität kein Beiwerk, sondern ein wichtiges politisches Mittel: Man droht permanent mit Gewalt - gegen Flüchtlinge vor allem, aber auch gegen Linke und gegen Journalisten.

Der "Repubblica"-Reporter Paolo Berizzi zum Beispiel kann nur noch mit einer Eskorte arbeiten: Er hat über Neofaschisten und Neonazis recherchiert und geschrieben. Die haben sich mit Drohungen und Einschüchterungen revanchiert, die die Polizei ernst nimmt.

Salvini-Buch bei Casa Pound-Verlag

Und man lebt die Gewalt. Vorsätzlich. Vergangene Woche in Mailand beispielsweise: 600 Neofaschisten feiern - trotz Verbots durch die Behörden - den Geburtstag eines in den Siebzigerjahren von Linksradikalen ermordeten jungen Faschisten und machen sich auf, mit einer Gegendemonstration abzurechnen. Mit dabei: Führungspersonal von Casa Pound und Parlamentarier von Fratelli d'Italia. Es kommt zu Prügeleien mit der Polizei.

Und, nur am Rande: Das Buch von Lega-Chef Matteo Salvini, Innenminister und Vizepremier, mit dem originellen Titel "Ich bin Matteo Salvini" wird vom Casa-Pound-nahen Verlag Altaforte präsentiert.

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