SPIEGEL ONLINE

Italiens Präsident Mattarella Der Unbeugsame

Statt EU-feindliche Populisten an die Macht zu lassen, hat Italiens Staatspräsident den Weg für Neuwahlen geebnet. Wer ist dieser Sergio Mattarella?

Unaufgeregt wie immer, mit klaren Worten, ohne Pathos, erklärte Sergio Mattarella den Versuch der Regierungsbildung für einstweilen gescheitert. Die italienische und die europäische Fahne hinter ihm und das Wappen der Repubblica Italiana vor ihm untermalten seinen Bezug auf die Staatsräson. Die habe es ihm unmöglich gemacht, den von der Allianz aus Lega und 5-Sterne-Bewegung vorgeschlagenen Wirtschafts- und Finanzminister Paolo Savona zu akzeptieren. Dessen antieuropäische Reden hätten schon in den vergangenen Tagen über höhere Zinsen und fallende Börsenkurse viel Schaden übers Land gebracht und würden noch viel mehr Schaden bringen. Seine Pflicht aber sei es, die Unternehmen und die Bürger Italiens vor Schaden zu bewahren. Punkt.

Nun will er erst einmal, kraft seiner verfassungsmäßigen Rechte, eine Übergangsregierung installieren. Der Wirtschaftsexperte Carlo Cottarelli soll Italien führen - bis zu Neuwahlen im Herbst oder im kommenden Jahr.

Ein mutiger Schritt. Denn das damit einstweilen gescheiterte Regierungsbündnis der Populisten hat eine klare Mehrheit im Parlament, ist demokratisch gewählt. Entsprechend fielen dessen Reaktionen aus. Das sei "ein Angriff auf die Demokratie", tobte Lega-Chef Matteo Salvini. Und 5-Sterne-Führer Di Maio assistierte, Mattarellas Entscheidung sei "unfassbar". Wenn nicht die Italiener sondern die Rating-Agenturen über Italiens Regierung entschieden, brauche man gar keine Wahlen mehr.

Konsequent gegen Berlusconi

Wer ist dieser Sergio Mattarella, der ein halbes Leben in der Politik verbracht hatte und den dennoch kaum jemand kannte - bis er, im vierten Anlauf und als Verlegenheitskandidat, Staatspräsident wurde?

1941 in Palermo geboren, Süditaliener also. Sein Vater Bernardo, Christdemokrat, war mehrfach Minister in Rom. Sein älterer Bruder Piersanti war Regionalpräsident in Sizilien, wurde 1980 von der Mafia ermordet. Sergio wuchs also in einem sehr politischen, großbürgerlichen Umfeld auf. Regierungschefs gingen in seinem Elternhaus ein und aus. Giovanni Battista Montini kam gelegentlich zum Essen, als er noch nicht Papst Paul VI. war.

Mattarella studierte Jura, lehrte eine Weile Parlamentsrecht an der Universität von Palermo, ging dann in die Politik, zu den Christdemokraten wie der Papa. Als Mitte der Neunzigerjahre das Bündnis von Kommunisten, Christ- und Links-Demokraten entstand, war er ganz vorne dabei. Ebenso, als später daraus der Partitio Democratico (PD) wurde.

Dabei war er immer leise, aber immer konsequent. Zum Beispiel gegen Berlusconi: 1990 trat er aus Protest gegen ein Gesetz, das Berlusconis Fernsehpläne begünstigte, von seinem Ministeramt zurück. Als Chefredakteur der christdemokratischen Parteizeitung "Il Popolo" kündigte er 1994, weil der damalige Parteichef Rocco Buttiglione eine Allianz mit Berlusconi einging.

Er war Minister, stellvertretender Regierungschef und sieben Legislaturperioden im Parlament. Als er dann ins "Altenheim für Top-Politiker" wechselte, wie Spötter das römische Verfassungsgericht nennen, kannten ihn gleichwohl nur wenige. Das änderte sich erst, ganz langsam, nachdem er am 31. Januar 2015 zu Italiens Staatspräsident gekürt wurde. Auch da blieb er sich treu: Leise, unspektakulär, aber konsequent. Nun, als Hüter der Verfassung, wurde er zum populärsten Politiker Italiens.

Ehrfurcht vor der Verfassung

Viele Verfassungsrechtler haben sich in ihrer Zeit am Obersten Gericht des Landes verändert. "Was wir sagen, das gilt", sagte einmal einer von ihnen, ganz privat, "über uns ist nur noch der Himmel". Diese Verantwortung laste, mache aber auch Mut. Das ist wohl auch der Antrieb, der jetzt diesen Sergio Mattarella so entschlossen handeln lässt. So etwas wie Ehrfurcht vor dem Recht, zumal vor der Verfassung. Zugleich ein Zwang zur Unbeugsamkeit. Denn die Verfassung überträgt dem Staatspräsidenten eine enorme Machtfülle.

  • Er ist das Oberhaupt des Staates, schreibt die Wahlen für das Parlament aus.
  • Er genehmigt die Einbringung von Gesetzentwürfen der Regierung ins Parlament, verkündet die Gesetze und verlautbart die Dekrete mit Gesetzeskraft und die Verordnungen.
  • Er kann die Kammern oder auch nur eine von ihnen nach Anhören ihrer Präsidenten auflösen.
  • Er hat den Oberbefehl über die Streitkräfte, führt den Vorsitz im Obersten Gerichtsrat, kann Begnadigungen gewähren und Strafen umwandeln.

Und er muss darauf achten, dass das Handeln der Regierung dem Recht und den Gesetzen entspricht. Das vor allem hatte Mattarella schon vor seinem Paukenschlag immer wieder angemahnt. Denn vieles im Regierungsprogramm der beiden siegreichen Parteien verstieße, wenn es denn umgesetzt würde, gegen geltendes Recht. Etwa die üppigen milliardenteuren Wahlgeschenke - weniger Steuern, früher in Rente, Mindesteinkommen für alle. Die Ausgaben dafür wären durch Einnahmen nicht zu decken, wie es das Gesetz vorschreibt. Und, noch schlimmer, das sollen sie auch gar nicht, sagen die Akteure von Lega und Sterne-Bewegung. Der Verfassungsjurist Mattarella vernimmt es mit Entsetzen.

Doch vor allem die EU-feindlichen Erklärungen, die Drohungen, aus dem Euro auszusteigen, wenn man die Brüsseler Finanzregeln nicht "umverhandeln" könne, ließen Mattarella, in seinen Augen, keine Wahl. Denn die Vereinbarungen Italiens mit der EU, mit den übrigen EU- und Euro-Mitgliedern haben ja Gesetzeskraft. Die kann man nicht einfach wegwischen mit Salvinis und Di Maios Parolen wie "Wir werden die Interessen der Italiener verteidigen" oder "Indikatoren wie Spread und BIP zählen für uns nicht", wenn es hart auf hart käme, zahle man die Schulden eben nicht.

Was sollte er also tun, der Hüter der Verfassung? Das Land ohne Widerstand diesen potenziellen Rechtsbrechern überlassen? Oder alles stoppen, zumindest für eine Weile? In der Hoffnung, dass sich dann ja andere Konstellationen ergeben könnten, um Schaden vom italienischen Volk und von Europa abzuwenden? Warum nicht.

So gesehen könnte das sture Festhalten der Lega-Sterne-Allianz am umstrittenen EU-Gegner Savona sogar hilfreich für Mattarellas Notfallplan gewesen sein. Es erleichterte zumindest die Argumentation.

Nun ja, und Lega-Boss Salvini ist, auch wenn er noch so laut dagegen protestiert, der neue Verlauf sowieso nicht unangenehm. Jetzt bekommt er seine Neuwahlen, mit denen er bislang ständig gedroht hatte.


Zusammengefasst: Präsident Sergio Mattarella war einst ein Verlegenheitskandidat für seinen Posten. Nun ist er zum Beschützer der Demokratie in Italien geworden. Er hat die Populisten und Euroskeptiker von der Lega und der 5-Sterne-Bewegung nicht an die Regierung gelassen. Stattdessen soll ein Finanzexperte das Land als Übergangspremier bis zu Neuwahlen führen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren