
Wahl in Italien: Pöbelnd an die Spitze
Italiens 5-Sterne-Partei Clowns an die Macht
Die letzte Phase des Wahlkampfs hat Luigi Di Maio bis nach London geführt, zu den Finanzhaien in der City. Denen wollte er unbedingt "unsere superkompetenten Kandidaten" vorstellen. Darunter seien nämlich "Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Forschung und der Unternehmerwelt". Weitere Sterne-Shows in anderen Ländern seien geplant.
Di Maio, 31 Jahre alt, genannt "Giggino" - der "kleine Luigi" -, adrette Kurzhaarfrisur, makelloses Kameralächeln, meistens in Anzug und Krawatte, sieht aus wie ein Musterschüler. Und ist es wohl auch.
Sonst hätte Beppe Grillo - langhaarig, faltig, bärtig, meist vorsätzlich schlecht gelaunt und bekannt für unflätige, meist schreiend vorgetragene Reden, der Parteigründer und oberste Chef im Hause - ihn ja nicht zum Spitzenkandidaten seiner Fünf-Sterne-Bewegung ("MoVimento 5 Stelle", abgekürzt M5S) gemacht.
M5S sei "eine europaskeptische und populistische Partei in Italien", steht bei Wikipedia. Aber das stimmt natürlich nicht. Es ist "eine postideologische Bewegung", nur "von Vernunftdenken geprägt", sagt Di Maio. Alles andere sei Verleumdung. So habe man zum Beispiel nie gesagt, man wolle aus dem Euro raus. Na ja, vielleicht ein bisschen. Denn es ist ja Beppe Grillo, der seit Jahren auf Marktplätzen und in Stadien brüllt, dass der "Euro ein Strick um den Hals" von Italien sei, den man per Volksentscheid so schnell wie möglich loswerden müsse. Genauso wie "diese Parasiten" im römischen Parlament.
Lächeln wie ein Goldman-Sachs-Lehrbub
Jetzt haben sie womöglich die Gelegenheit dazu: Am 4. März sind Parlamentswahlen in Italien und die postideologische Vernunftbewegung hat gute Chancen, stärkste Partei zu werden. Etwa 28 Prozent trauen ihr die Wahlforscher zu, da kommt wohl kein Konkurrent mit.
(Lesen Sie hier eine ausführliche Analyse zum Wahlkampf in Italien aus dem neuen SPIEGEL)
Doch zur Machtübernahme würde das nicht reichen. Es müssen also in den letzten Tagen vor dem Urnengang zusätzliche, neue Wählergruppen gewonnen werden: Bei den Älteren, den heimatlosen Christdemokraten oder den enttäuschten Sozialdemokraten. Die wollen keinen Grillo-Krawall, keine Experimente, zumal in der Wirtschaft, wo es um Arbeitsplätze und Einkommen geht. Deshalb musste Di Maio in London lächeln wie ein braver Goldman-Sachs-Lehrbub. Denn es geht um die Bilder im Fernsehen, im italienischen natürlich: "Schau, die Fünf-Sterne-Bewegung ist gar nicht so radikal, sogar die vornehmen Bankiers in London finden Di Maio prima!"
Gegen Alzheimer-Prodi und Psychozwerg
Es ist schon eine seltsame Organisation, die sich anschickt, Italiens führende Partei zu werden. So wie ihr Gründer Grillo: Der populäre TV-Komiker wurde aus dem Programm gekippt, weil er der Obrigkeit zu frech wurde. Also beschimpfte er die Politiker - Ministerpräsident Romano Prodi als "Alzheimer-Prodi", Silvio Berlusconi als "Psychozwerg" - fortan in Theatern und Arenen. Sehr erfolgreich.
Gemeinsam mit dem Internetunternehmer und Marketingstrategen Gianroberto Casaleggio, der für US-Großkonzerne wie Philip Morris, J.P. Morgan und IBM aktiv war, organisierte er 2007 via Internet den "Vaffanculo-Day", in milder Form ins Deutsche übersetzt: "Leck-mich-am-Arsch-Tag", abgekürzt: V-Day.

Wahl in Italien: Pöbelnd an die Spitze
Es folgten weitere Stunts: In Rom ließ sich Grillo einst mit einem Kran zwanzig Meter hoch über den Circus Maximus heben, die wohl größte Arena der Antike, um Italiens Politik mit jedem erdenklichen, gern auch fäkalen Schimpfwort abzustrafen. In wenigen Monaten hatten 300.000 Italiener Grillos Resolution unterschrieben.
Aus der Protestbewegung wird eine Art Partei, der "MoVimento 5 Stelle". Die Anhänger eint die Wut auf (in ihren Augen) korrupte, unfähige, unwillige Politiker, die vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Eine Spezies, die es tatsächlich zuhauf gibt im römischen Parlament. Die anderen, die Ehrlichen, die Bemühten werden gleich mit in den Topf gerührt. Differenzierung ist nicht vorgesehen. Die Regierung, das staatliche Fernsehen, die Medien - alles ist böse in der Grillo-Welt, reich und verdorben - und so sehen es seine Wähler. Diskussionen sind schwierig: Glaube ich nicht, stimmt nicht, und wenn schon - lauten die Standardantworten.
"Selber Fake News" - und basta
Da interessiert es nicht, dass auch Sterne-Abgeordnete in Kommunen, Regionalparlamenten und in Rom Gelder abzweigen, die sie satzungsgemäß abführen müssten. Oder sich - wie die römische Fünf-Sterne-Stadtregierung - als total unfähig erweisen. Es interessiert ebenfalls nicht, dass Grillo gegen "die da oben" wettert, dabei selber steinreich ist und luxuriös lebt. Und wenn das englischsprachige Medienportal "Buzzfeed" die "5-Stelle"-Blogs als führendes Portal in Europa "bei der Verbreitung von Fake News und Kreml-Propaganda" bezeichnet, sagen die Anhänger: "Selber Fake News" - und basta.
Etwa 500.000 Mitglieder soll die Bewegung inzwischen haben. Und noch viel mehr werden wohl diese Partei wählen, die nicht rechts nicht links ist, sondern überall dort, wo Volkes Stimme ist: Bei einem arbeitsfreien Grundeinkommen, beim Einreisestopp für Mittelmeerflüchtlinge, bei höherer und früherer Rente... Schulden? "Die zahlen wir einfach nicht zurück", sagt Grillo.
Die beiden Clowns vereint
Doch auch die stärkste Partei kann nicht regieren, wenn sie nicht die Mehrheit der Sitze in beiden Kammern des italienischen Parlaments besetzt. Und dass die Sterne so zahlreich werden, ist eher unwahrscheinlich. Also müsste ein Koalitionspartner her. Zwar hatte Grillo jegliches Koalieren mit anderen Parteien verboten, aber letzten Dezember wurde das Verdikt en passant gelockert. So könnte, wenn sich ein Partner fände, der Ex-Kabarettist Grillo womöglich demnächst, via Di Maio und andere Marionetten, Italien regieren. Er selbst ist nicht regierungsfähig. Er ist wegen eines Verkehrsunfalls vorbestraft, bei dem drei Menschen starben.
Wenn es für das Rechtsbündnis von Silvio Berlusconi mit der Lega Nord und den Postfaschisten ebenso wenig reicht wie für Berlusconis Alternativmodell - eine Ehe mit den Sozialdemokraten - und auch eine Minderheitsregierung des jetzigen Amtsinhabers Paolo Gentiloni wenig aussichtsreich erscheint, wären die Sterne gefragt, sich einen Partner zur Mehrheit zu suchen. Da diese, so Di Maio, "nicht rechts und nicht links" sind, käme jeder potenzielle Alliierte infrage. Am besten würde Berlusconi passen: Dann wären "die beiden Clowns", wie das britische Wirtschaftsmagazin "Economist" das Paar titulierte, endlich in einem Programm zu sehen.
Staatspräsident Sergio Mattarella hat schon angekündigt, je nach Wahlausgang auch die Fünf-Sterne-Bewegung mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Bei Erfolg wäre aus der Totalopposition gegen "die Kaste" in Rom ein neues Kastenmitglied geboren. Deren Hardcore-Wählern wäre vermutlich auch das egal - sie würden es einfach als "Fake News" abtun.
Zusammengefasst: Einst wurde die Bewegung von Komiker Beppe Grillo von den Mächtigen in Rom belächelt - nun könnte sie bei der Wahl am Sonntag die meisten Stimmen holen. "MoVimento 5 Stelle" dürfte es trotzdem schwer haben, eine Regierung zu stemmen. Denn als Freund von Koalitionen hat sich die Partei bisher nicht hervorgetan. Am Ende könnte trotzdem ein Bündnis mit Italiens ewigem Regenten, Silvio Berlusconi, bevorstehen.