Designierter Premier Conte Italienisches Himmelfahrtskommando

Giuseppe Conte
Foto: Alessandra Tarantino/ APIn Rom wird gerade Unwahrscheinliches wahrscheinlich: Ein Regierungsbündnis der rechts-populistischen Lega mit der internetbasierten, nicht weniger populistischen Fünf-Sterne-Bewegung - unter Führung eines Juristen ohne Politik-Erfahrung und unter Aufsicht des Staatspräsidenten.
Giuseppe Conte heißt der auserkorene nächste Regierungschef. Er ist 54 Jahre alt, stammt aus dem Süden. Der Jura-Professor hat an fast allen wichtigen Universitäten der Welt studiert, von Yale und Sorbonne bis Cambridge - und das Studium natürlich mit einem Top-Abschluss beendet.
Professor und Kennedy-Fan
Er hat unendlich viel geschrieben, viele akademische und administrative Jobs hinter sich. Ein gebildeter Supermann offenbar, elegant gekleidet, mit einem Hang - wie italienische Medien schreiben - zu Belehrungen.
Wer ihn kontaktieren möchte, rät er allen vorab, möge so schreiben, als koste jede Mitteilung 10 Euro, das helfe bei der Konzentration aufs Wesentliche. Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio hat den Mann, der seiner Bewegung offenbar nahesteht, ausgesucht, Lega-Boss Matteo Salvini hat ihn akzeptiert, am Montagabend wurde er auch Staatspräsident Sergio Mattarella vorgeschlagen.

Staatspräsident Sergio Mattarella
Foto: Ettore Ferrari/ dpaDer hatte sich schon vorab einige Stunden Bedenkzeit ausbedungen. Spät am Montagabend oder am Dienstag, davon gehen derzeit die beiden Parteiführer und die italienischen Medien aus, wird er den Professor für Privatrecht an der Universität Florenz mit der Regierungsbildung offiziell beauftragen.
In letzter Zeit hat Giuseppe Conte auf sein WhatsApp-Profil einen Satz geschrieben, der dem US-Präsidenten John F. Kenndy zugeschrieben wird: "Every accomplishment starts with the decision to try." Auf Deutsch etwa: Jede Leistung beginnt mit der Entscheidung, es zu versuchen.
Das passt ja.
Denn der wohl unbekannteste Regierungschef in Italiens Geschichte, wenn er es denn tatsächlich wird, übernimmt einen, vorsichtig formuliert, denkbar schwierigen Job. Man kann auch sagen: ein Himmelfahrtskommando.
Getragen von zwei populistisch ausgerichteten Parteien, die verschiedenen Ziele verfolgen und verschiedene Wählergruppen bedienen müssen, soll er die gesamte politische Morphologie des Landes umkrempeln. Mit Leuten, die viele Ideen, aber keine Erfahrung haben und die ihn an kurzer Leine führen werden.
Das Volk sagt "ja"
Eines immerhin ist klar: Die Italiener wollen diese Regierung. Sechs von zehn Italienern sagten Ende voriger Woche "ja" zur Koalition der beiden Anti-Establishment Parteien. Der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, stieg in den vergangenen Tagen zum beliebtesten Politiker auf - nach dem Staatspräsidenten.

Matteo Salvini
Foto: Ettore Ferrari/ APUnd seine Partei, die 2013 noch bei vier Prozent der Stimmen herumkrebste, am 4. März dieses Jahres sagenhafte 17 Prozent holte, liegt jetzt in den Umfragen über 22 Prozent. Die Fünf-Sterne-Bewegung legte nicht zu, magert eher leicht ab, bleibt aber gleichwohl die führende Partei, mit leicht über 30 Prozent. Auch das war kaum vorstellbar, als vor knapp elf Jahren der Komiker Beppe Grillo mit einem V, das für das beliebte italienische Schimpfwort "Vaffanculo" steht - auf Deutsch: "Leck mich am Arsch" - durch italienische Städte zog und für ein "sauberes" Parlament warb.
Im Frühjahr 2010 trat die daraus entstandene Partei erstmals bei Wahlen an und durfte in die Regionalparlamente im Piemont und der Emilia-Romagna mit jeweils zwei Abgeordnete einziehen. Seither geht es unvorstellbar steil aufwärts. Warum? Weil sie - wie die Lega, nur auf eine ganz andere Art, für andere Wähler - endlich eine lang erhoffte Alternative zum politischen Establishment des Landes bietet.
Viele Italiener wollen "etwas ganz Anderes"
Die meisten Italiener wollen nichts Bestimmtes, sie wollen nur "etwas ganz Anderes", als sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hatten. Sie wollen weniger Bürokratie und weniger Korruption, bessere Schulen und bessere Krankenhäuser, weniger Arbeitslosigkeit und weniger Altersarmut. Sie haben die Sozial- und die Christdemokraten, die Berlusconi-Anhänger und die Grünen allesamt satt. Überhaupt das ganze Parlament, in dem Dutzende, manchmal Hunderte von Abgeordnete die Parteien wechseln, wie andere Leute Hemden - wenn es für sie von Vorteil ist.
"Die haben sich immer nur die Taschen vollgestopft", sagen viele. Für alle in der Politik ist das gewiss nicht zutreffend. Aber richtig ist: Allesamt haben sie die Probleme Italiens nicht in den Griff bekommen. Und die meisten haben den internen Machtspielchen und -kämpfen innerhalb ihrer Parteien mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den Nöten ihrer Bürger. Jetzt erhalten sie die Quittung.
Viele Geschenke - viele neue Schulden
Ob die Italiener mit ihrer neuen Regierung wirklich glücklich werden, ist freilich nicht sicher. Die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung haben sich zwar viele Sympathien verschafft mit einem Regierungsprogramm, das an den mit Gaben gefüllten Sack des Weihnachtsmannes erinnert:
- weniger Steuern,
- früher in Rente,
- ein Mindesteinkommen für (fast) alle.
Natürlich finden das viele schön. Geschröpft werden dafür die Politiker:
- weniger Parlamentarier soll es künftig geben,
- und die üppigen Politiker-Pensionen werden drastisch gekappt.
- Auch die teuren Auslandsmissionen der italienischen Armee sollen heruntergefahren werden.
Schon hat man etwas Geld gespart. Rund 500 Millionen Euro. Das reicht freilich nicht ganz, um die schönen Geschenke der neuen Regierung zu bezahlen. Nach Berechnungen verschiedener Universitäts-Institute belaufen sich deren Kosten nämlich auf 125 Milliarden bis 170 Milliarden Euro.
Die Finanzmärkte zucken deshalb schon zusammen, die Börsenkurse in Mailand fallen, der Zinsaufschlag (Spread) für italienische Anleihen steigt, langsam noch - aber die Welt rund um Italien ist aufgeschreckt.
Denn Lega-Chef Salvini tönt, höhere Schulden kümmerten ihn nicht. Und Sterne-Frontmann Di Maio sagte gerade, im lokalen Wahlkampf im Norden: "Indikatoren wie Spread und BIP (das Bruttoinlandsprodukt misst die Wirtschaftsleistung eines Landes, Anm. d. Red.) interessieren uns nicht, für uns zählt das Lächeln eurer Familien."

Luigi Di Maio
Foto: Riccardo Antimiani/ APViele Beobachter trauen der kommenden Regierung, der 65. in den 72 Jahren seit Gründung der Italienischen Republik nach dem Zweiten Weltkrieg, denn auch nur eine sehr begrenzte Lebenszeit zu.
"Die Regierung hält vier Monate"
Nicht nur Kritiker, sondern auch Anhänger, wie Valerio Tacchini zum Beispiel. Der ist ein Freund von Grillo, dem Gründer der Sterne-Protestbewegung, und der Notar, der deren internetbasierte Mitglieder-Abstimmungen überwacht.
Er sagte der Zeitung "La Repubblica" gerade im Interview: "Die Regierung hält vier Monate, dann gehen alle nach Hause." Denn eine Regierung der Sterne und der Lega, das sei, als ob man "einen Fleischesser und einen Vegetarier gemeinsam an den Küchenherd stellt". Da käme auch nur Durcheinander heraus.