Luigi Di Maio Nonnenschüler und Vollblutpopulist

Italien steht vor einer schwierigen Regierungsbildung. Die 5-Sterne-Bewegung um Luigi Di Maio wird eine entscheidende Rolle spielen. Wer ist der mögliche nächste Regierungschef - und was hat er vor?
Luigi Di Maio

Luigi Di Maio

Foto: ALBERTO PIZZOLI/ AFP

Vor ziemlich genau einem Jahr waren die Fronten noch klar für Luigi Di Maio. Der Chef des MoVimento 5 Stelle (M5S) sagte: "Nie mit der Linken, lieber verhandeln wir mit Salvini", dem Chef der rechtsnationalen Lega-Partei.

Jetzt macht der Frontmann der 5-Sterne-Bewegung und Wahlsieger vom Sonntag sogar der Linken Avancen: Man könne ja erst einmal bei der Wahl zum Parlamentspräsidenten kooperieren, ließ er die Sozialdemokraten vom Partito Democratico (PD) wissen und gemeinsam einen PD-Kandidaten küren. Anschließend könnte es dann umgekehrt laufen: PD hilft den Sternen, Italien zu regieren und zu reformieren.

Die Parteivorstände und einfachen Mitglieder sind sich darüber noch nicht einig - aber Di Maio hat erst einmal eine Marke gesetzt. Politisch nicht unklug.

"Die Haare immer gut gescheitelt"

Klug war der nach wie vor wenig bekannte Politiker schon immer. Und brav. Geboren am 6. Juli 1986 in Avellino, etwas nördlich von Neapel, besuchte er erst eine Nonnenschule, dann ein renommiertes Gymnasium, lernte Latein und hatte, wie eine ehemalige Lehrerin rückblickend sagt, "die Haare immer gut gescheitelt".

Er war zuverlässig, wurde Kassenwart in seiner Klasse, studierte, erst Ingenieur-, dann Rechtswissenschaften, wurde politisch aktiv: auf einer alternativen Liste gegen die dominante Linke an der Uni von Neapel.

2007 entdeckte er die 5-Sterne-Welt, kandidierte 2010 erfolglos für den Stadtrat in Avellino. Bei den Parlamentswahlen 2013 hatte er mehr Glück: Er wurde Abgeordneter und gleich Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, mit den Stimmen der Sozialdemokraten.

Das Studium brach er danach ohne Abschluss ab. Aus Angst bei den Prüfungen seines hohen Amtes wegen "ungerechtfertigterweise privilegiert zu werden", wie er sagt.

"Entweder bist du verrückt geworden oder senil"

Auch ohne Examen gehörte er nun zum Führungskader des M5S, neben dem Parteigründer Beppe Grillo und Davide Casaleggio. Das ist der Sohn des verstorbenen Parteimitgründers Gianroberto Casaleggio, dem eine Firma gehörte, auf deren Computern die gesamte interne Demokratie der Partei abläuft und gesteuert wird. Davide hat beides geerbt, die Firma und die Funktionen seines Papas.

Als Grillo im Herbst 2017 öffentlich verkündete, Di Maio sei sein Mann für die Spitzenkandidatur, schrieb er ihm unsicher, scherzhaft und stolz: "Entweder bist du verrückt geworden oder senil."

Grillo versicherte ihm, er meine es ernst. Der konnte tagelang nicht schlafen vor Aufregung. Und nun stand dieser Musterschüler mit der immer noch akkuraten Frisur vor der Aufgabe, das Programm der Grillo-Bewegung in Politik umzusetzen.

Das Sterne-Programm: 780 Euro für jeden

20 Punkte haben Grillos-Schüler und -Anhänger in ihr Wahl- und Regierungsprogramm gepackt. Das reicht vom Bürokratieabbau bis zur Rentenpolitik, von besseren Schulen bis zur effizienteren Justiz. Die wahlentscheidenden Themen bezogen sich aber vor allem auf zwei Komplexe: Arbeit und Einkommen sowie Sicherheit und Flüchtlinge.

Dass der Süden Italiens komplett an die Sterne-Bewegung ging, verdankt sie vor allem ihrem Programmpunkt Grundeinkommen. Jeder Bürger, so der Vorschlag, der keine Arbeit findet oder nur einen Job mit einem Lohn, von dem man nicht leben kann, hat demnach Anspruch auf 780 Euro im Monat. Netto. Was daran fehlt, gibt ihm der Staat, zumindest drei Jahre lang.

Der Zusammenhang ist statistisch ziemlich eindeutig: Im Süden Italiens, wo die Pro-Kopf-Einkünfte nur halb so hoch wie im Norden sind, die Arbeitslosigkeit dagegen doppelt so viele Menschen betrifft und unter den jungen Leuten sogar nahezu jeden Zweiten, da haben mehr als 40 Prozent der Wähler den Sternen ihre Stimme gegeben. Kaum weniger waren es im restlichen Süden. Die arme Hälfte Italiens hat also Di Maio gewählt.

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Italienwahl: Sieger und Verlierer am Tiber

Foto: ANGELO CARCONI/EPA-EFE/REX/Shutterstock

Was ihm vor allem in der Landesmitte viele Stimmen brachte - so wie im Norden der Lega - waren die Themen Migration und Sicherheit. Auch wenn es statistisch wenig Grund dafür gibt, haben viele Italiener Angst vor dealenden Ausländern oder islamistischen Attentätern. Die Sterne versprechen ähnliche Abhilfe wie die Lega:

  • 10.000 Polizisten sollen zusätzlich eingestellt werden. Außerdem 10.000 neue Stellen in den Behörden geschaffen werden, um die heute Jahre dauernde Entscheidung, welcher Flüchtling ein Bleiberecht hat und wer nicht, auf einen Monat zu verkürzen. Und um dann auch die Abschiebung der zweiten, in Italien deutlich größeren Gruppe, zügig durchzusetzen.
  • Dann gibt es im Programm natürlich noch eine breite Palette von Vorhaben, bei der für jeden etwas dabei ist: Steuersenkungen für Kleinbetriebe, Schadensersatz für betrogene Sparer, 17 Milliarden für Familien mit Kindern, 200.000 neue Jobs in der "Green Economy", schnelles Internet und E-Autos.

Was nicht ganz klar ist und was Kritiker aus anderen politischen Lagern bemängeln: Wie bezahlt der arme, hochverschuldete Staat Italien das alles?

Für Di Maio ist das klar: 50 Milliarden Euro sollen dadurch eingespart werden, dass der Staat weniger verschwendet als bislang. Dazu kämen staatliche Einnahmen durch mehr und produktivere Beschäftigung und den Kampf gegen die großen Steuerhinterzieher. Damit, so rechnen die Sterne-Ökonomen, würde die Staatsverschuldung binnen zehn Jahren um 40 BIP-Punkte sinken.

Im Video: Die schwierige Regierungsbildung

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Allein: Einen Partner brauchen sie noch dafür. Die Lega, der Wahlsieger im Norden, käme ebenso infrage wie die Sozialdemokraten, die großen Verlierer vom Sonntag.

Rechnerisch könnte auch Silvio Berlusconi einspringen. Aber der war für die "Grillini" - wie die Schüler von Beppe Grillo genannt werden - immer der Inbegriff des bösen, alten, korrupten Italiens. Den werden sie nicht wollen.

Anmerkung: Die 5 Sterne wollen nicht 100.000 sondern 10.000 zusätzliche Polizisten einstellen, wir haben das korrigiert.

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