Italiens Innenminister unter Druck Vorboten des Zuviel-ist-Zuviel-Gefühls

Italiens Innenminister Matteo Salvini
Foto: imago/ Insidefoto"Wenn es Hunde wären, wäre schon der Tierschutz eingeschritten", erregte sich Francesco Montenegro, Erzbischof im sizilianischen Agrigent und Präsident der italienischen Caritas. Er sei "angewidert", sagte er der katholischen Zeitschrift "Famiglia Cristiana", dass man Menschen zur "Tauschware" mache.
Es geht um das Küstenwachen-Schiff "Diciotti", das seit vergangenem Montag mit mehr als 170 Migranten an Bord im Hafen von Catania in Sizilien liegt. Schon vorher musste es fünf Tage im Mittelmeer kreuzen, weil es nirgendwo anlaufen durfte. 27 Minderjährige konnten am Mittwoch von Bord.

Der Rest, ordnete Italiens Innenminister Matteo Salvini an, dürfe erst an Land, wenn andere EU-Staaten bereit wären, diese Menschen aufzunehmen. Italien nähme keinen von ihnen. Ansonsten würde er sie nach Libyen zurückbringen lassen, erklärte der Chef der rechtsnationalistischen Lega.
Kein Katholik könne das akzeptieren, zürnte Erzbischof Montenegro. "Wer den Nächsten zurückweist, weist Christus zurück", auch wenn der "den Fehler macht, sich in zerrissenen Hosen zu präsentieren und stinkt und Hunger hat".
Vielleicht hat der Kirchenmann mit seiner Philippika ja ein bisschen dazu beigetragen, dass Salvini nachgab: In der Nacht von Samstag auf Sonntag durften die "Diciotti"-Flüchtlinge an Land.

Migranten verlassen die "Diciotti"
Foto: Orietta Scardino/ APBeigetragen haben sicherlichAlbanien und Irland, die jeweils etwa 20 Flüchtlinge aufnehmen wollen. Der Rest bleibt erst einmal in Italien, das musste der beinharte Innenminister letztlich akzeptieren. Die katholische Kirche zahlt für Kost und Logis - wofür Rom eigentlich schon Geld aus der EU-Kasse bekommen hat.
Der heftigste Impuls, der Salvini letztlich einknicken ließ, kam freilich von ganz anderer Seite: von der italienischen Justiz.
Die Vorwürfe: Entführung und Amtsmissbrauch
Der Agrigenter Staatsanwalt Luigi Patronaggio und seine Kollegen scheinen Salvini richtig Angst gemacht zu haben. Denn sie haben, zunächst "gegen unbekannt", ein Ermittlungsverfahren dazu eingeleitet, ob die Festsetzung der Migranten auf der "Diciotti" rechtens sei oder ob es sich womöglich um illegale Aktionen handele.
Um das zu klären, wurden am vergangenen Mittwoch auch der Chef der für "Bürgerrecht und Einwanderung" zuständigen Abteilung des Innenministeriums und dessen Stellvertreter drei Stunden lang in Rom befragt.
Die aus Sizilien angereisten Staatsanwälte rekonstruierten dabei den genauen Ablauf von Anweisungen aus dem Ministerium an den Kapitän des Küstenschutz-Schiffes "Diciotti". Alle Anweisungen und Befehle waren mündlich erteilt worden, nichts Schriftliches lag vor, wie italienische Medien berichteten.

Staatsanwalt Luigi Patronaggio
Foto: AP/ Alessandro FucariniNach der Sitzung änderten Patronaggio und Kollegen die Adressaten ihres Verdachts: Statt "gegen unbekannt" hieß es nun: gegen Matteo Salvini, Innenminister und dessen Amtsleiter, Matteo Piantedosi. Deren mögliche Vergehen: Entführung, illegales Festhalten von Personen, Amtsmissbrauch.
Zugleich überstellten die Staatsanwälte aus Agrigent ihre Erkenntnisse an das "Tribunale dei ministri". Das ist ein besonderer Zweig der italienischen Justiz. Er ist zuständig für Vergehen, die vom Ministerpräsidenten oder von dessen Ministern begangen worden sein könnten.
Weil Innenminister Salvini rechtliche Immunität gegen die normale Gerichtsbarkeit hat, muss dort geprüft und entschieden werden, ob der Verdacht stichhaltig genug ist, um weiter verfolgt zu werden. Oder eben nicht.
"Es ist eine Schande"
Der Innenminister weilte gerade bei einem Lega-Fest im schönen Dolomiten-Ferienort Pinzolo, als ihn am Samstag die Nachricht erreichte. Er war außer sich und umso lauter: "Die können mich ja verhaften, aber nicht den Willen von 60 Millionen Italienern", empörte er sich.
Weiter ging es mit dem Lamento: "Vor zehn Tagen sind beim Einsturz einer Brücke 43 Menschen gestorben, und da gibt es keine Untersuchung, aber gegen den Innenminister gibt es eine, der dieses Land schützen will - es ist eine Schande." Hier war der Zusammenhang noch schwerer herzustellen. Trotzdem fand er viel Verständnis und Zustimmung bei seinen Lega-Freunden.
Dann fiel ihm ein, was sein langjähriger Koalitionspartner Silvio Berlusconi immer gesagt hat, wenn mal wieder gegen ihn ermittelt wurde. Dass nämlich diese Juristen alle aus politischen Gründen handelten, "Rote Roben" hatte sie Berlusconi genannt, das hat sich Salvini noch verkniffen. Aber dass sie "öffentliches Geld verschleudern" hat er gerufen, wie einst Berlusconi, und auch der Schluss war der seither bekannte: "Die Justiz muss reformiert werden."

Schiff "Diciotti"
Foto: Igor Petyx/ APAber erst einmal wird diese weiter ermitteln. Und wenn das "Tribunale dei ministri" den Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft übernimmt, dann kommt das Parlament ins Spiel. Das muss mit Mehrheit entscheiden, ob gegen den Innenminister ein richtiges Verfahren eröffnet werden kann.
Dann müssen die Politiker der Lega und ihre Verbündeten der 5-Sterne-Bewegung, die gegen Korruption, Vetternwirtschaft und die "Kaste" der unberührbaren Politiker angetreten sind, mit ihrer Mehrheit sagen: Wir lassen keinen Prozess gegen Innenminister Salvini zu - oder sie müssen ihn opfern. Das wäre vermutlich das Ende dieser Regierung. Ein Szenario, das manchem in der Regierung Angst machen dürfte.
Das Zuviel-ist-Zuviel-Gefühl
Und noch etwa könnte dem ruppigen T-Shirt-Träger Salvini nun Sorge bereiten: Ob er nicht überzogen hat. Weil jetzt die Kirche so eindeutig gegen ihn Stellung bezogen hat und gleichzeitig Staatsanwälte aktiv geworden sind. Langsam tut sich in Italien etwas: Beides sind erste Vorboten eines Zuviel ist Zuviel-Gefühls.
Da passt das Beispiels des Chefs der staatlichen Arzneimittelagentur, Stefano Vella: Der hat seiner Vorgesetzten, der Gesundheitsministerin Giulia Grillo (von der 5-Sterne-Bewegung), seine Kündigung übermittelt. Er könne als Arzt nicht einer staatlichen Einrichtung vorstehen, wenn Menschen von diesem Staat so behandelt würden, wie die Flüchtlinge auf der "Diciotti".