
Italiens neue Regierung Gruppenbild mit vielen Damen
Donato Marra war das erste Opfer der neuen, unbekannten Mitglieder der heute installierten italienischen Regierung. Marra ist Generaldirektor des römischen Präsidialamts und ihm oblag es heute Vormittag, Staatspräsident Giorgio Napolitano jeden der 21 Minister zur Vereidigung vorzustellen. Als die künftige Integrationsministerin Cécile Kyenge an der Reihe war, stockte der erfahrene Marra, der seit fast 50 Jahren im Dienst des italienischen Staates steht, und wandte sich an einen Untergebenen an seiner Seite. Pech nur, er schaltete das Mikrophon nicht ab, als er auf seine Namensliste zeigte und den Nachbarn fragte: "Wie spricht sich Kyenge aus?" Alle lachten.
Nur in der sezessionistischen und fremdenfeindlichen Regionalpartei Lega Nord lachte keiner. Lega-Funktionäre kündigten "totale Opposition" gegen Italiens erste farbige Ministerin an. Denn die vor 49 Jahren im Kongo geborene Augenärztin, die seit 30 Jahren in Italien lebt, Mutter zweier Kinder, mit langjährigem Engagement im sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), sei "keine Italienerin".
Schon dieses kleine Possenspiel zur Eröffnung zeigt, wie schwer es die neue Regierung des PD-Ministerpräsidenten Enrico Letta in den politischen Schlachten der kommenden Monate haben wird. Getragen wird sie von zwei Großparteien - neben Lettas PD ist es das "Volk der Freiheit" (Popolo dela Libertà), PdL, von Silvio Berlusconi, die sich im Kern spinnefeind sind. Heftig attackiert wird sie von kleineren Parteien rechts und links und vor allem von der derzeit sehr populären Fünf-Sterne- Bewegung (MoVimento 5 stelle) des einstigen TV-Satirikers Beppe Grillo. Der Handlungsspielraum von Letta und seinen Partnern ist sehr klein.
Italiens neue Regenten müssen einen politischen Brückenschlag hinkriegen, der fast nicht möglich scheint. Auf der einen Seite stehen die Forderungen und Interessen Berlusconis, auf der anderen Seite Lettas schockierte Partei, die sich wegen der Allianz mit dem Vielfach-Angeklagten, dem peinlichen "Bunga Bunga"-Milliardär so sehr schämt, dass große Teile der Mitgliedschaft über den Parteiaustritt diskutieren. Und die meisten Italiener glauben weder, dass die neue Regierung viel zustande bringt, noch dass sie lange hält.
Schüsse vor dem Regierungssitz
Selbst die Vorzeichen, im tief im Aberglauben verhafteten Italien nicht eben unwichtig, waren nicht gut. Während das neue Führungsteam im Präsidentenpalast vereidigt wurde, schoss ein, wie es heißt, "verwirrter" Mann vor dem Regierungs-"Palazzo Chigi" auf zwei Carabinieri, die dort Wache standen. Zum Glück wurde niemand lebensgefährlich verletzt. Und die neuen Verantwortlichen, Premier Letta und sein Innenminister Angelino Alfano vor allem, reagierten zügig, gelassen und professionell.
Und als drinnen, im römischen Machtzentrum, nur wenig später, der bisherige Regierungschef Mario Monti die Sitzungsglocke des Ministerpräsidenten, so wie im traditionellen Ritual vorgesehen, an seinen Nachfolger übergab, saß dort eine interessante Kabinettsrunde zusammen, die deutlich anders aussah, als man sie in Italien erwartet hätte. Statt der Riege der steinalten Männer saßen dort überraschend viele Frauen (sieben von 21 Ministern), neun, die jünger sind als 50, und nur einer mit 70 Jahren Lebenserfahrung. Mindestens ein Drittel der neuen Mannschaft - manche von ihnen waren schon in Mario Montis Crew - ist nicht in der Parteipolitik groß geworden, sondern an Universitäten, der italienischen Notenbank oder dem Sport.
Ex-deutsche Olympionikin im Kabinett
In diesem Metier ist Josefa Idem groß und bekannt geworden, als erfolgreiche Kanutin. Die 1964 in Goch geborene Top-Athletin nahm an acht Olympischen Spielen teil, bei den ersten beiden als Deutsche, danach als Italienerin. Dorthin war sie 1988 gezogen, hatte bald darauf ihren italienischen Trainer geheiratet und zwei Kinder bekommen. Nebenbei wurde sie auch in der Politik aktiv. So intensiv und erfolgreich, dass sie bei den Wahlen im Februar dieses Jahres für den Partito Democratico in den Senat gewählt wurde. Und nun ist sie Ministerin für Sport und die Chancengleichheit von Männern und Frauen geworden.
Ein wirklicher Neuanfang in Italiens Politik ist Lettas Amtsantritt freilich nicht. Er und auch sein Vize, Innenminister Angelino Alfano sind zwar deutlich jünger als ihre Vorgänger, sie stammen aber aus dem gleichen System. Alfano hat zu Beginn seiner Karriere Silvio Berlusconi als persönlicher Referent gedient. Und das ist er in allen Ämtern, die er danach in der Partei und in der Regierung innehatte, immer geblieben: Stimme und Arm seines Herrn. Auch Letta ist kein Revoluzzer in seiner Partei sondern ein gediegener politischer Handwerker im traditionellen Stil. Wie sein Onkel Gianni. Der ist seit vielen Jahren einer der wichtigsten Mitarbeiter und Ratgeber Silvio Berlusconis. Ebenso solide wie sein Neffe, nur eben auf der anderen Seite.
Und trotzdem ist manches schon am ersten Tag der neuen Regierung ganz anders gewesen als zuvor. Als die Eideszeremonie im Präsidentenpalast vorüber war, schlenderten beispielsweise zwei Kabinettsgrößen zu Fuß und ohne Eskorte durch die Gassen Roms zum Palazzo Chigi. Der eine, Enzo Moavero Milanesi, war in jungen Jahren bei der Guardia di Finanza - Italiens uniformierter und bewaffneter Steuerpolizei. Dann wurde er ein international angesehener Professor für Europäisches Recht und jüngst von Staatspräsident Napolitano in seinen "Rat der Weisen" berufen. Jetzt soll er im Ministerrang die Beziehungen zwischen Italien und der EU aufbessern.
Neben ihm ging die radikale Frauenrechtlerin, Ex-EU-Kommissarin, Ex-Ministerin Emma Bonino. Sie spricht sieben Sprachen, darunter arabisch, und ist die neue Außenministerin. Angeregt diskutierte das Paar, immer wieder freilich unterbrochen von Passanten, die Emma Bonino erkannten, ihr "viel Glück" zuriefen - und sich fragten, wer wohl der ernst blickende, unbekannte Mann neben ihr sei.
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