Politische Jahresvorschau Der globale Stresstest 2020

Europa
2020 wird wohl das Jahr werden, in dem er tatsächlich vollzogen wird: Der Brexit. Seit über drei Jahren quält sich Großbritannien zwischen Umsetzung, Aufschub und Revision, nun wird die neue konservative Mehrheitsregierung unter Premier Boris Johnson Fakten schaffen.
Die so beruhigten Briten werden ihre Regierung im Folgenden an anderen Themen messen:
versprochene Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungssystem, in Sicherheit und Wohnmarkt.
Zudem wird das Streben der Schotten nach Unabhängigkeit ein größeres innenpolitisches Thema werden.
Dass der Brexit mit dem 31. Januar "erledigt" sei, wie der Premier gerne angibt, wird hingegen eine Lüge bleiben. Denn richtig kompliziert wird es erst anschließend, wenn neue Wirtschaftsabkommen zwischen London und Brüssel hermüssen.

Wird den Brexit vollziehen: Boris Johnson
Foto: NEIL HALL/ EPA-EFE/ REXSo wird wohl auch die Johnson-Ansage, im Sommer keine Verlängerung der Übergangsfrist zu beantragen, eine gewagte Behauptung blieben, die letztendlich wohl von der Realität einkassiert werden wird.
2019 war für Spanien ein Super-Wahljahr mit Parlamentswahlen im April und noch einmal im November. Dazu Lokal- und Regionalwahlen gleichzeitig mit der Europawahl im Mai.
Vieles deutet darauf hin, dass auch 2020 wieder geprägt sein wird von wichtigen Wahlen. Denn erneut haben die Sozialisten zwar gewonnen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Sollte ihr Chef Pedro Sánchez im neuen Jahr immer noch keine Regierung gebildet haben, droht ein dritter Urnengang.

Premier Pedro Sánchez droht ein dritter Urnengag
Foto: Sergio Perez/REUTERSSchuld ist der Konflikt zwischen Separatisten und Verfassungstreuen in Katalonien. Dort könnten im Frühling Regionalwahlen vorgezogen werden. Turnusgemäß werden Basken und Galicier im Herbst aufgerufen sein, ihre Regionalparlamente neu zu bestimmen. Die EU-Komission hat schon gewarnt, dass das Wirtschaftswachstum sich abschwächt, dadurch würden auch weniger neue Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit könnte bei 13 Prozent stagnieren.
Die ersten drei Monate des neues Jahres werden für Frankreich und seinen Präsident Emmanuel Macron entscheidend sein. Im Januar will die Regierung das Gesetzesvorhaben zur umstrittenen Rentenreform vorstellen. Im Februar soll das Parlament über die Reform abstimmen:
Gelingt es der Regierung, die Rentenreform ohne zahlreiche Zugeständnisse an die Gewerkschaften durchzusetzen, wäre Macron gelungen, woran viele seiner Vorgänger scheiterten.
Der Ruf des erfolgreichen Reformers wäre ihm sicher; auch die konservativen Republikaner kämen nicht umhin, das anzuerkennen.
Gelingt das nicht, wäre das Scheitern Macrons unübersehbar - er würde an Glaubwürdigkeit verlieren
Die zweite Machtprobe steht Mitte März bei den Regionalwahlen an. Macrons Bewegung "La République en Marche" ist in vielen Städten, kleinen Orten und Dörfern schlecht verankert.

Will Frankreich reformieren: Emmanuel Macron
Foto: Yves Herman/ REUTERSDeshalb versucht sie zur Zeit, Allianzen mit konservativen Bürgermeistern zu schließen, um nicht nur in Paris, sondern auch in Frankreichs Provinz vertreten zu sein. Auch hier ist der Ausgang der Wahlen noch ungewiss.
Für die neue konservative Regierung von Kyriakos Mitsotakis in Griechenland wird es 2020 vor allem darum gehen, eine neue humanitäre und politische Migrationskrise abzuwenden. Denn seit dem vergangenen Sommer ist die Zahl der Asylbewerber wieder stark gestiegen.

Will keine neue Migrationskrise: Kyriakos Mitsotakis
Foto: STEPHANIE LECOCQ/EPA-EFE/REXFast 40.000 Menschen harrten Ende November unter unmenschlichen Bedingungen in den fünf überfüllten Hotspot-Lagern in der Ägäis aus. Gleichzeitig sind der Diskurs und die öffentliche Meinung spürbar flüchtlingsfeindlicher geworden:
Die Griechen sehen Migration als größtes Problem ihres Landes an, deutlich vor der wirtschaftlichen Lage und der Arbeitslosigkeit.
Dieser Druck hat die Regierung veranlasst, die Migrationspolitik noch einmal zu verschärfen.
Sie verabschiedete härtere Asylgesetze und setzt vor allem auf Abschreckung. Im kommenden Sommer sollen die bislang offenen Lager auf den griechischen Inseln abgeriegelt werden, um die Zahl der Rückreisen und Abschiebungen zu steigern.
Menschenrechtsorganisationen und Asylexperten haben jedoch starke Zweifel, ob die Härte Wirkung zeigt - vor allem, solange es der EU nicht gelingt ein neues Asylsystem mit fairer Lastenverteilung zu schaffen. Sie warnen vor einer humanitären Katastrophe.
Für die politische Klasse in Österreich kann es im neuen Jahr nur besser kommen. Zwar steht auch drei Monate nach der Parlamentswahl noch nicht fest, wer das Land künftig regieren wird. Doch die Chancen für eine unorthodoxe Koalition zwischen der konservativen ÖVP unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz und den Grünen stehen mangels erfolgversprechender Alternativen gut.

Wird wohl wieder Kanzler werden: Sebastian Kurz
Foto: Helmut Fohringer/ APA/ AFPEine Wiederauflage des Bündnisses mit der rechtspopulistischen FPÖ wäre rechnerisch möglich, stragisch für den Wahlsieger Kurz jedoch verheerend nach allem, was - ausgelöst durch das von SPIEGEL und Süddeutscher Zeitung veröffentlichte Ibiza-Video - über die Freiheitlichen und ihre Affären ans Licht kam.
Der gestürzte und durch Ermittlungverfahren belastete Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache erwägt derweil, bei den Wahlen im Herbst fürs Amt des Bürgermeisters von Wien zu kandidieren. Auf weitere skurrile Geschichten vom Fuße des Wienerwalds darf gehofft werden.
Italien steht vor einer Zerreißprobe. Das neue Kabinett von Ministerpräsident Giuseppe Conte ist eine Koalition der Angst: Fünf-Sterne-Bewegung und Demokratische Partei (PD) halten nur aneinander fest, um Matteo Salvini von der Macht fern zu halten.

Fordert Neuwahlen: Ex-Innenminister Matteo Salvini
Foto: Eliano Imperato/ AFPEin eigenes, gemeinsames Regierungsprojekt können sie nicht finden - stattdessen fallen sie im Wochentakt über einander her. Vor diesem Hintergrund wird 2020 jede Regionalwahl zum Bewährungstest für die Regierung in Rom:
Ende Januar wählen die bislang links regierten Provinzen Emilia Romagna und Kalabrien, später folgen die Toskana und fünf weitere Regionen.
Ex-Innenminister Salvini liegt mit seiner Lega-Partei in Umfragen regelmäßig vorn und fordert baldige Neuwahlen.
Sollte der Rechtspopulist seinen Siegeszug durch die Regionen fortsetzen, wird es für Sterne und Sozialdemokraten schwer, ihre Regierung zu halten.
Der große Sieg der Rechtspopulisten ist bei der Europawahl im Sommer zwar ausgeblieben - doch die Europäische Union muss 2020 dennoch erhebliche Probleme lösen. Das erste ist der Brexit, der keineswegs mit dem Austritt der Briten am 31. Januar erledigt ist:
Die Übergangsphase, in der Großbritannien praktisch EU-Mitglied ohne Stimmrechte bleibt, dauert nur bis Jahresende.
Für den Abschluss eines Handelsabkommens ist das eine extrem kurze Zeit.
Sollte es rechtzeitig fertig sein, droht erneut ein chaotischer Rückfall auf einen Handel nach WTO-Regeln.
Nebenbei muss die EU eine innere Zerreißprobe bestehen. Die Kommission will zahlreiche Gesetze ihres "Green New Deal" durch das EU-Parlament bringen, das seit der Wahl noch zersplitterter ist als zuvor.

Will einen "Green New Deal": EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
Foto: Kenzo Tribouillard/AFPParallel dazu verhandeln die Mitgliedsländer mit harten Bandagen über den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt, der ab 2021 gelten soll. Von außen drohen eine Abkühlung der Weltwirtschaft und neue Handelskonflikte mit US-Präsident Donald Trump, der mit der WTO den einzigen neutralen Schiedsrichter ausgeschaltet hat und im Wahljahr versucht sein könnte, hart gegen internationale Konkurrenten vorzugehen.
Osteuropa
Zum neuen Jahr bahnt sich in Polen eine schwere Verfassungskrise an: Der Europäische Gerichtshof hatte Teile der umstrittenen Justizreform verworfen und das polnische Oberste Gericht war dieser Entscheidung gefolgt. Danach sind ein neu eingerichtetes Gremium zur Berufung von Richtern und eine Kontrollinstanz nicht unabhängig genug von der Parlamentsmehrheit.
Diese wird von der nationalkatholischen PiS-Partei gehalten, die sich bereits das Verfassungstribunal unterworfen hat und dafür aus Brüssel schwer kritisiert wird. Wie PiS mit den jüngsten Gerichtsentscheidungen umgeht, ist derzeit unklar:
respektieren,
anfechten,
ignorieren?
Der Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Polen könnte auch Einfluss auf die Präsidentenwahl im Sommer haben. Der nationalkonservative Amtsinhaber Andrzej Duda hat hohe Zustimmungswerte.

Hat hohe Zustimmungswerte: Präsident Andrzej Duda
Foto: Andrzej Duda/ REUTERSFür die Liberalen tritt Malgorzata Kidawa-Blonska an, die schon bei der Parlamentswahl im Oktober Spitzenkandidatin war - und verloren hatte. Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk hat ein Comeback in Warschau bereits abgesagt.
Seit vergangene Sommer ist Zuzana Caputova Staatschefin der Slowakei. Sie hatte die Präsidentschaftswahl als politische Neueinsteigerin gewonnen. Ob ihre liberale, proeuropäische Partei "Fortschrittliche Slowakei" an ihren Erfolg anknüpfen kann, oder doch wie in den Nachbarländern rechtspopulistische Kräfte triumphieren, wird sich bei der Parlamentswahl am 29. Februar zeigen.

Liberal und proeuropäisch: Zuzana Caputova
Foto: Carsten Koall/ Getty ImagesCaputova war von einer Welle der Empörung über das politische Establishment getragen worden. Viele Slowaken misstrauen der herrschenden links-populistischen Partei Smer zutiefst, seit im Februar 2018 der Investigativjournalist Jan Kuciak ermordet worden war. Für den Anschlag steht in Bratislava der Mafiaboss Marian Kocner vor Gericht. Er soll beste Kontakte zu hohen Smer-Politikern unterhalten haben.
Wolodymyr Selenskyj hat sich viel vorgenommen: Er will nicht nur die Ukraine erneuern, der Korruption ein Ende bereiten, sondern seinem Land vor allem Frieden bringen. Seit über fünf Jahren herrscht Krieg im von Moskautreuen Separatisten besetzten Osten: Fast jeden Tag wird an der 450 Kilometer Frontlinie geschossen, werden Menschen verwundet und getötet. Selenskyj, Ex-Schauspieler und TV-Produzent, will das beenden.

Wolodymyr Selenskyj: Erst Komiker, nun Präsident der Ukraine
Foto: Efrem Lukatsky/ AP/ DPADie Lage für einen ukrainischen Präsidenten war noch nie so schwer wie heute:
Die USA halten sich nach dem Ukraine-Skandal von Präsident Trump weitgehend raus,
Kanzlerin Angela Merkel, lange engagierte Unterstützerin Kiews, tritt zurückhaltend auf.
Und dennoch hat es Selenskyj vermocht, Verhandlungen mit Wladimir Putin zu beginnen, auch weil er einen anderen Ton gegenüber dem Kreml angeschlagen hat: pragmatisch, aber klar in der Sache. Im April soll es einen zweiten Normandie-Gipfel mit Frankreich und Deutschland geben. Es wird vor allem von Putin abhängen, was dabei herauskommen wird.
Am 9. Mai 2020 will Waldimir Putin die Staatschefs der Welt auf dem Roten Platz versammeln. Dann feiert Russland mit einer Militärparade den Sieg über Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg vor 75 Jahren.

Für Wladimir Putin könnte es außenpolitisch nicht besser laufen
Foto: Evgenia Novozhenina/ DPAEs wird auch ein Tag der Demonstration der militärischen Stärke werden. Dass er diese nutzt, um seine Interessen durchzusetzen, zeigt Putin in Syrien und der Ostukraine. Außenpolitisch könnte es kaum besser für ihn laufen: Die USA, an denen Russland traditionell seine Stärke misst, sind mit Donald Trump beschäftigt, Europa mit dem Brexit.
Putin, der starke Mann, dieses Bild mögen die Russen - und doch ist seine Popularität gesunken. An eine rosige wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu glauben, fällt nach 20 Jahren Putin schwer. Auf Proteste hat der Kreml mit Repressionen reagiert. Das lässt für 2020 nichts Gutes erahnen.
Naher Osten
Was in Spanien droht, ist in Israel Realität: Weil Benjamin Netanyahu und sein Herausforderer Benny Gantz bei zwei Neuwahlen im vergangenen Jahr zu nahe beieinander lagen, es keine klare Mehrheiten in der Knesset gibt, muss ein drittes Mal gewählt werden. Am 2. März wird es soweit sein, ob Netanyahu dann überhaupt noch Politiker ist, bleibt abzuwarten.

Benjamin Netanyahu ist angeklagt - als erster amtierender Premier in der Geschichte des Landes
Foto: AP Photo/Oded Balilty, FileDer 70-Jährige ist der erste amtierende Premier in der Geschichte des jüdischen Staates, der angeklagt ist. Die Vorwürfe gegen ihn lauten: Betrug, Bestechlichkeit und Untreue.
Wie die Wahl und der Prozess ausgehen werden, ist offen. Klar ist nur: Israel wird auch 2020 außen- und sicherheitspolitisch nicht zur Ruhe kommen. Die Konflikte mit der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen, der Schiiten-Miliz Hisbollah im Libanon und der Schattenkrieg mit Iran im gesamten Nahen Osten werden auch weiterhin ganz oben auf der Agenda einer jeden Regierung stehen - mit oder ohne Netanyahu.
Gut ein Jahr nach dem Mord an dem oppositionellen Journalisten Jamal Khashoggi hat Saudi-Arabien die Präsidentschaft der G20 übernommen. Als Gastgeber lädt das Königreich die Regierungschefs der reichsten Länder der Welt Ende November auch zum Gipfel nach Riad.
König Salman und sein Sohn, der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman, 34, werden das Wüstenreich als modernen Investitionsstandort präsentieren. Das ultra-konservative Land durchläuft gerade den tiefgreifendsten Wandel seit seiner Gründung.

Mohammed bin Salman - Herrscher mit harter Hand
Foto: Alexey Nikolsky/ Sputnik/ Kremlin/ Pool/ EPA-EFE/ REXKronprinz Mohammed gewährt viele, neue gesellschaftliche Freiheiten, führt politisch jedoch mit harter Hand. Kritiker werden verhaftet, die Meinungsfreiheit ist so gering wie seit Jahrzehnten nicht. Für Bundeskanzlerin Merkel dürfte es eine schwierige Reise werden.
Das Jahr 2019 sah gut aus für Baschar al-Assad, den Diktator in Syrien: Nachdem seine Truppen, vor allem aber die russische Luftwaffe und iranisch kommandierte Milizen aus mehreren Ländern fast alle Rebellengebiete zurückerobert hatten, kam ihm im Oktober auch noch US-Präsident Donald Trump entgegen.

Baschar al-Assad hat den Krieg de facto gewonnen
Foto: SANA/ AFPNach dessen Rückzugsbeschluss aus dem kurdischen Nordosten unterwarf sich die kurdische Miliz-Partei der YPG zumindest formal wieder der Herrschaft von Damaskus. Doch so erfolgreich das Regime militärisch erscheint, so fatal geht es seit Oktober wirtschaftlich bergab:
Iran, bislang Hauptfinanzier des halbzerstörten Landes, kann nicht mehr zahlen, da die US-Sanktionen es wirtschaftlich strangulieren.
Die Banken im Libanon, über die Damaskus bisher die Sanktionen umging und sich mit Devisen versorgte, stehen wegen Misswirtschaft und Korruption der dortigen Regierung vor dem Kollaps.
In der Folge ist der Wechselkurs des syrischen Pfunds seit Oktober rasant abgestürzt. Und wird weiter fallen. Was für den Winter Anfang des Jahres bedeuten wird, dass Damaskus Getreide- und Ölimporte nicht mehr finanzieren kann. Assad hat die Macht zurück - aber keinen mehr, der dafür bezahlt.
Die Türkei hat in den vergangenen Jahren einen Militärputsch erlebt, Wahlen, Terroranschläge, ein Verfassungsreferendum. Keine Nachrichten wären für das Land 2020 gute Nachrichten. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es so kommt. Präsident Recep Tayyip Erdogan ist so angeschlagen wie selten zuvor in seiner Karriere.

Recep Tayyip Erdogan führt die Türkei in ein unruhiges Jahr
Foto: Lucas Jackson/ REUTERSTeile seiner Partei begehren auf, Ex-Premier Ahmet Davtoglu hat bereits eine eigene gegründet, Ex-Wirtschaftsminister Ali Babacan dürfte ihm bald folgen. Außerdem wirkt sich der Krieg in Syrien weiter auf die Türkei aus. Erdogan hat Truppen über die Grenze geschickt. Im neuen Jahr wird er mit den Folgen der Operation zu kämpfen haben.
Amerika
Die Demokraten in den USA wollen Präsident Donald Trump aus dem Amt jagen. 2020 werden sie dazu voraussichtlich zwei Anläufe starten. Versuch eins ist das Amtsenthebungsverfahren.
Das Repräsentantenhaus, in dem die Demokraten die Mehrheit stellen, stimmte jüngst dafür, ein solches zu eröffnen. Die Anklagepunkte lauten Machtmissbrauch und Behinderung der Ermittlungen des Kongresses. Die Demokraten beschuldigen Trump, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Ermittlungen gegen seinen demokratischen Rivalen Joe Biden gedrängt zu haben.

Will auch 2020 weiter US-Präsident bleiben: Donald Trump
Foto: Manuel Balce Ceneta/ APDarüber ob Trump aus dem Amt entfernt wird, entscheidet aber der Senat. Für eine Amtsenthebung wäre dort eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Die ist derzeit aber nicht absehbar, denn im Senat sind Trumps Republikaner in der Mehrheit.
Es spricht alles dafür, dass die Demokraten auf ihren zweiten Anlauf angewiesen sein werden: die Präsidentschaftswahl Anfang November. Hier könnte sich dann der Kreis zum Amtsenthebungsverfahren schließen: Als der aussichtsreichste der verbliebenen demokratischen Bewerber gilt Biden.
Mit viel Schwung begann vor bald einem Jahr in Venezuela der Versuch, Nicolás Maduro zu stürzen. Heute sitzt Venezuelas autoritärer Staatschef dennoch weiter im Präsidentenpalast Miraflores.

Hat die Revolution ausgesessen: Nicolás Maduro, der Herrscher von Venezuela
Foto: Sputnik/ Alexei Druzhinin/ Kremlin/ REUTERSSeinem Gegner Juan Guaidó ist es nicht gelungen, das Militär auf seine Seite zu ziehen. Auch US-Sanktionen konnten Maduro nicht stürzen. Zwischenzeitlich aufgenommene Gespräche zwischen dessen Regierung und der Opposition liegen auf Eis. Zuletzt bröckelte auch die Anti-Maduro-Front:
John Bolton, in der Regierung von US-Präsident Donald Trump lange die treibende Kraft in Sachen Venezuela, verlor seinen Posten als Nationaler Sicherheitsberater.
Mehrere südamerikanische Regierungen, die Guaidó unterstützen, haben mit Protesten im eigenen Land zu kämpfen.
Und ein Korruptionsskandal plagt die venezolanische Opposition.
Zudem steht 2020 die Wahl der Nationalversammlung an. Sie ist die letzte Bastion der Opposition, Guaidó derzeit ihr Präsident. Maduro dürfte die Wahl nutzen, um das Lager seiner Gegner zu spalten.
Die Krise in Venezuela trifft die ganze Region. Nirgends ist das deutlicher zu spüren als im Nachbarland Kolumbien. 4,5 Millionen Venezolaner haben ihr Land in den letzten fünf Jahren verlassen; knapp ein Drittel von ihnen hat sich in Kolumbien angesiedelt.

Die Krise in Venezuela ist auch sein Problem: Kolumbiens Präsident Iván Duque
Foto: NICOLAS GALEANO HANDOUT/ EPA-EFE/ REXSollte sich die Lage im Krisenstaat weiter zuspitzen, dürften diese Zahlen bis Ende 2020 deutlich zunehmen. In Kolumbien, wo man mit einer weiteren Million Flüchtlinge rechnet, könnte die Gastfreundschaft in Feindseligkeit umschlagen. Im Land brodelte es zuletzt:
Hunderttausende setzten bei Massenkundgebungen den konservativen Präsidenten Iván Duque unter Druck.
Dessen politisches Lager reagierte unter anderem, in dem es Ressentiments gegen Venezolaner schürte.
Im kommenden Jahr könnten nicht nur die zusätzlichen Flüchtlinge Kolumbien destabilisieren: Die Maduro-Regierung gewährt kolumbianischen Guerillagruppen Unterschlupf in Venezuela. Beobachter halten bewaffnete Auseinandersetzungen im Grenzgebiet für möglich und schließen selbst einen Krieg zwischen den beiden Ländern nicht aus.
Im Amazonasgebiet von Brasilien wurde zuletzt so stark abgeholzt wie seit 2008 nicht mehr. Zwischen August 2018 und Juli 2019 wurden laut dem brasilianischen Weltrauminstitut Inpe fast 9800 Quadratkilometer Regenwald zerstört - eine Fläche so groß wie Zypern und ein Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Jair Bolsonaro hat Brasilien nach rechts gerückt
Foto: Ueslei Marcelino/ REUTERSUmweltschützer und indigene Gruppen machen Brasiliens ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro dafür verantwortlich, ein Klima geschaffen zu haben, in dem sich Farmer, Holzfäller und Goldgräber zu immer weiteren Waldzerstörungen ermutigt fühlten:
Bolsonaro ist eng mit der Agrarlobby verbündet und hat Umweltschutzauflagen gelockert.
Er will mehr Flächen für Landwirtschaft, Bergbau und Energiegewinnung erschließen.
Auf Kritik reagierte der Staatschef zuletzt mit Anfeindungen gegen Wissenschaftler und Aktivisten sowie mit Verschwörungstheorien.
Der Amazonas hat ein Fünftel seines ursprünglichen Waldgebiets verloren. Manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass der Regenwald schon bald einen "Tipping Point" erreichen und unwiederbringlich verloren sein könnte.
In Chile kam es zuletzt zu Massenprotesten und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. In einem Bericht warf die Uno der Armee und der Polizei schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Die Proteste richteten sich zunächst gegen eine Erhöhung der Ticketpreise im öffentlichen Nahverkehr. Die Demonstranten kritisieren aber auch:
niedrige Löhne,
hohe Kosten für Bildung und Gesundheit,
und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in dem Land.
Der stark in die Kritik geratene konservative Präsident Sebastián Piñera hat eine neue Verfassung mit mehr Mitspracherechten für die Bevölkerung in Aussicht gestellt. Ein Referendum darüber ist für April geplant.

Steht in der Kritik: Präsident Sebastián Piñera
Foto: Alberto Valdes/EPA-EFE/REXUmfragen zufolge wollen fast neun von zehn Chilenen für eine neue Verfassung stimmen. Die jetzige wurde 1980 während der Diktatur des Generals Augusto Pinochet erlassen und konzentriert die Macht bei der Zentralregierung.
Afrika
Regierungschef Abiy Ahmed, ein energischer Reformer, startet mit dem Rückenwind des Friedensnobelpreises in das Jahr 2020. In seiner Osloer Dankesrede hat er für Mai freie und faire Wahlen in Äthiopien versprochen. Gelingen die, werden sie ein großer Test für Abiy, ebenso wie für die Äthiopier. Echte Wahlen gab es in dem Land mit mehr als 100 Millionen Einwohnern noch nie.

Muss nun liefern: Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed
Foto: Britta Pedersen/ DPAAbiys Plan, sich ein Mandat für den Umbau Äthiopiens an der Urne zu verschaffen, ist riskant. Der Premier glaubt an die Kraft von "medemer" - Amharisch für die Überzeugung, dass man gemeinsam stärker ist. Die diktatorische Partei EPRDF, der er vorsteht, will er zur Äthiopischen Fortschrittspartei (EPP) umwandeln und mit ihr gewinnen.
Doch seit Abiys Start sind bei ethnisch motivierten Kämpfen Hunderttausende vertrieben und viele Menschen getötet worden. Abiy sagt, er wolle Frieden, musste aber Soldaten schicken. Es rächt sich, dass er ehedem verbannte Extremisten wieder ins Land ließ. Ihre ethnonationalistische Hetze könnte im Wahlkampf zu noch mehr Gewalt führen.
Seit Mali 2013 nach einem Touareg-Aufstand fast an Islamisten gefallen wäre, herrscht in dem Sahelstaat ein gefährliches Patt: Mit der Hilfe Frankreichs und weiterer EU-Staaten versucht die Nationalarmee wenigstens Straßen und Städte des weitläufigen Wüstenstaats zu verteidigen. Die Uno-Blauhelme der Minusma-Mission - der gefährlichsten weltweit - versuchen, Zivilisten schützen.

Ist auf Europas Hilfe angewiesen: Ibrahim Boubacar Keita, der Präsident Malis
Foto: Etienne Laurent/ APZuletzt machten die Islamisten Boden gut, an der Grenze zu Niger drängten sie die Nationalarmee zurück. Nun will Frankreich den bewaffneten Kampf gegen die Terroristen intensivieren. Die bisherige Mission "Barkhane" (Sicheldüne) wandelt Paris in den robusteren Kampfeinsatz "Tacouba" (Säbel) um - und will dafür Hilfe auch aus Deutschland. Mali ist ein wichtiges Symbol für die ganze Sahel-Region. Fiele Mali, würde das Schockwellen durch ganz Westafrika und die Sahara senden.
2020 wird zeigen: Hat nach dem Sturz von Langzeitdiktator Umar al-Baschir und der erfolgreichen Revolution gegen die Militärs nun wirklich die Bevölkerung die Macht im Sudan? Oder ist der elfköpfige Souveränitätsrat, der offiziell bis 2022 die Staatsspitze bildet, trotz leichter Überzahl der Zivilisten, immer noch den bislang allmächtigen Militärs ausgeliefert?

Ist er der neue starke Mann im Sudan? Mohamed Hamdan Daglo "Hemeti", Warlord und Neu-Politiker
Foto: Alex McBride / AFPBei aller Freude über mehr Frauenrechte und schwindende staatliche Gewalt plagt die Sudanesen nach wie vor die gleiche Wirtschaftskrise, die schon eine treibende Kraft für den Sturz Bashirs gewesen war:
Noch immer liegt die Inflation bei 40 Prozent.
Menschen wie Staat können sich kaum noch etwas leisten.
Selbst für den Import lebenswichtiger Medikamente fehlt laut einem aktuellen Uno-Bericht das Geld.
Sechs Millionen Menschen brauchen Nahrungsmittelhilfen, Tendenz steigend.
Konsolidiert der zivile Teil der Übergangsregierung seine Macht und bringt die Wirtschaft in Fahrt, kann 2020 das Jahr des echten Aufbruchs werden.
Asien
Im Jahr 2020 dürften sich die letzten der knapp 1,4 Milliarden Chinesen aus der absoluten Armut befreien. 1980 lebten mehr als 850 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, inzwischen sind viele von ihnen in die Mittelschicht aufgestiegen. Doch der Wohlstand ist in China zunehmend ungleich verteilt - ein Problem, das durch sinkendes Wachstum, die hohe Verschuldung vieler Unternehmen und den amerikanisch-chinesischen Handelsstreit verschärft wird.

Starker Mann in Peking: Präsident Xi Jinping
Foto: Florence Lo/ REUTERSPolitisch wird vor allem die Präsidentschaftswahl in Taiwan am 11. Januar Pekings Agenda bestimmen: China betrachtet die Inselrepublik als abtrünnige Provinz und strebt eine Wiedervereinigung an. Die Hoffnung der KP, dass Präsidentin Tsai Ing-wen von einem pekingfreundlicheren Kandidaten abgelöst wird, dürfte sich kaum erfüllen: Chinas harter Kurs im Hongkong-Konflikt hat viele Taiwaner verängstigt - und Tsais Chancen auf einen Wahlsieg verbessert.