Jakob Augstein

S.P.O.N. - Im Zweifel links Die iranische Bombe kommt sowieso

Das Atomabkommen mit Iran wird die Bombe vielleicht verzögern - nicht verhindern. Na und? Damit verabschieden wir uns lediglich von einer Jahrzehnte alten Anomalie: dass Israel die einzige Atommacht in Nahost ist.
Israels Premier Netanyahu (Archiv): Er hat die Bombe zum Mittel seines Machterhalts gemacht

Israels Premier Netanyahu (Archiv): Er hat die Bombe zum Mittel seines Machterhalts gemacht

Foto: Richard Drew/ AP/dpa

Benjamin "Bibi" Netanyahu hat recht. Wenn es darum ging, Iran die Bombe zu verweigern, dann ist die Einigung von Lausanne "sehr, sehr schlecht". Der israelische Premier wird nicht müde, das in die Welt zu schreien. Aber die Welt mag nicht mehr zuhören. Denn Netanyahu hat sich und Israel in die Isolation geführt. Und auch wenn unsere Politiker sich noch nicht trauen, das offen auszusprechen: Die iranische Bombe ist nicht mehr zu verhindern. Aber ist das eine Katastrophe? Man kann es auch ganz anders sehen. Der berühmte amerikanische Politologe Kenneth Waltz, 2013 gestorben, hätte Lausanne als Schritt zur Normalität begrüßt. Als Anfang vom Ende einer Anomalie: Israel wird in absehbarer Zeit nicht mehr die einzige Atommacht im Nahen Osten sein.

Nirgendwo sonst konnte eine Nuklearmacht ihr Monopol so lange verteidigen. Dieser Zustand war auf Dauer nicht haltbar. Wer Iran die Bombe verweigern will, müsste sie Israel nehmen. Andernfalls gilt: "Macht erzeugt Gegenmacht."

Wir reden darüber nicht gerne. Schon gar nicht in Deutschland, das Israel atomwaffenfähige U-Boote schenkt und darum Mitschuld trägt am sicherheitspolitischen Dilemma des Nahen Ostens. Aber vieles spricht für die These, die Waltz im Jahr 2012 in einem vielbeachteten Aufsatz aufstellte: Es ist nicht in erster Linie das iranische Streben nach der Bombe, das der Region die Stabilität raubt - sondern Israels alleinige Verfügung darüber. Immerhin hatten israelische Flugzeuge 1981 Ziele im Irak bombardiert und 2007 in Syrien. Iran anzugreifen überstieg die Mittel der Israelis. Aber die Drohung steht im Raum.

Netanyahus Politik hat etwas Unernsthaftes

Die Logik der Despoten in Teheran ist einfach: Wo Misstrauen herrscht, sorgt die Bombe für Sicherheit. Soll sich nun jeder nuklear bewaffnen? Ägypten? Saudi-Arabien, der eigentliche Feind der Iraner? Die Frage ist berechtigt - aber in Lausanne stellte sie sich nicht. Iran besaß bereits die Fähigkeit, die Bombe zu bauen. Keine Sanktion der Welt hätte sie dem Land mehr nehmen können. Worum konnte es dann noch gehen? Die Zeit zu verlängern, die Iran braucht, die Bombe tatsächlich zu bauen. Und dem Land einen Grund zu geben, auf sie zu verzichten. Die Weiterverbreitung von Atomwaffen ließ sich hier also nicht mehr verhindern - sondern nur noch managen. Henry Kissinger hatte im Januar den Mut, das offen auszusprechen.

Immerhin: Wer im Ost-West-Konflikt an die Logik der Abschreckung geglaubt hat, kann das getrost auch jetzt tun. Iran ist ja nicht die Karikatur, die wir uns malen. Der britische "Economist" schreibt, dass der Westen ein veraltetes und verzerrtes Bild von Iran habe. Es gibt keinen Anlass, die Machthaber von Teheran für verrückter zu halten als ihre Pendants in Washington und Jerusalem.

Schon gar nicht mit Blick auf Benjamin Netanyahu und seine Freunde bei den US-Republikanern. Dieser Premier ist eine Katastrophe. Er hat Israel tief in die internationale Isolation geführt. Jüngste Volte des Unberechenbaren: Kurz vor der Wahl entsagte Netanyahu noch rasch der Zwei-Staaten-Lösung - nur um kurz nach der Wahl zu rufen: Alles nicht so gemeint.

Seine Politik hat etwas Unernsthaftes. Netanyahu sagt, es gehe ihm um die iranische Bedrohung. Wäre er dann im US-Kongress gegen Barack Obama aufgetreten, den Präsidenten, von dessen Verhandlungsführung das Ergebnis im Iran-Streit abhing? Hätte er dann seine Geheimdienste die amerikanischen Atomverhandlungen mit Iran ausspähen lassen und Obamas Gegner auch noch mit Munition versorgt? Würde er sich dann durch die aggressive Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten die Europäer zu Gegnern machen?

Netanyahu hat die Angst vor der iranischen Bombe zum Mittel seines Machterhalts gemacht. Aber für ein solches Spiel ist der Einsatz zu hoch. Der Rest der Welt mochte seinen Purzelbäumen nicht mehr folgen.

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