Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Ist Putin schwul?

Kommt der Sommer, erscheinen Oben-ohne-Fotos von Wladimir Putin. Was sagen uns die Bilder über die sexuelle Orientierung des russischen Präsidenten? Und wie vertragen sie sich eigentlich mit den Anti-Homosexuellen-Gesetzen des Landes?

Es gibt ein neues Foto von Wladimir Putin. Es zeigt ihn mit einem riesigen Hecht, den er irgendwo in Südsibirien aus dem Wasser geholt hat. Am Freitag hat der Kreml das Foto veröffentlicht, zusammen mit einem Video  des Ausflugs. Der Fisch, den der russische Präsident in die Kamera hält, wog angeblich 21 Kilogramm.

Einige russische Blogger behaupten nun, der Kreml lüge. Ein so schwerer Fisch könnte überhaupt nicht schwimmen, sondern würde zu Boden sinken. Aber das ist Unsinn: Der Deutsche Lothar Louis hat 1986 in einem Baggersee bei Bühl sogar einen 25-Kilo-Hecht gefangen. In diesem Fall steht es also 1:0 für den Präsidenten gegen seine Kritiker von der Opposition.

Putin liebt es, Bilder von sich online zu stellen. Oft hat er darauf eine Waffe in der Hand und steht neben Tieren, die wir nur aus dem Zoo kennen. Er macht auch gerne irgendwelche gefährlichen Sachen wie Wale jagen, mit Kranichen um die Wette fliegen oder in einem Mini-U-Boot auf den Boden des Baikalsees zu tauchen. Am liebsten zeigt sich Putin allerdings mit nacktem Oberkörper. Wenn es nicht zu kalt ist, zieht er eigentlich immer sein Hemd aus. Auch von dem Angeltrip gibt es wieder Oben-ohne-Fotos, auf denen seine gut ausgebildete Brustmuskulatur zu sehen ist. Ich kenne Leute, die jeder neuen Veröffentlichung von Putin-Fotos inzwischen geradezu entgegenfiebern. Offenbar kann man auch einen Putin-Fetisch entwickeln, wie sich zeigt .

Eine ganz andere Frage ist, was uns die Bilder über die sexuelle Orientierung des russischen Präsidenten sagen. Kann es sein, dass Putin schwul ist? Ich meine das nicht despektierlich, wie sollte ich auch: Man kann ja nur etwas als abwertend empfinden, was man für abwertend hält. Aber normalerweise findet man solche Inszenierung von Männlichkeit eher in den Pin-up-Katalogen, die sich schwule Männer in ihre Küche oder ins Schlafzimmer hängen. Dass Putin beteuert, Homosexualität abzulehnen und überhaupt ganz entsetzlich zu finden, beweist gar nichts, im Gegenteil. Wie bei allen phobischen Störungen maskiert auch die Homophobie oft nur eine tiefsitzende Angst vor eigenen unterdrückten Persönlichkeitsanteilen, wie man seit langem aus der Psychologie weiß.

Von der Diskriminierung zum Pogrom - ein kleiner Schritt

Je größer die Angst, desto exzessiver ist die Beschäftigung mit dem als angsteinflößend empfundenen Thema. Ende Juni hat Putin ein Gesetz unterschrieben, das "homosexuelle Propaganda" unter Strafe stellt, worunter jetzt schon das Schwenken einer Regenbogenflagge fallen kann. Wer in Gegenwart von Jugendlichen über die gleichgeschlechtliche Liebe redet, muss mit einem Gerichtsverfahren und Haft rechnen. Anfang Juli folgte ein Gesetz, das die Adoption russischer Waisenkinder durch Ausländer verbietet, bei denen nicht klar ist, wie sie zur Homosexualität stehen. Für die Ablehnung eines Adoptionsgesuchs reicht es, dass sie in einem Land leben, welches die gleichgeschlechtliche Ehe anerkennt. Spätestens seit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Schwulen-Ehe gehört auch Deutschland dazu.

In der Toleranz gegenüber ihren Minderheiten zeigt sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft. Wer es nötig hat, über einzelne Gruppen herzuziehen oder diese auszugrenzen, wird noch von ganz anderen Dämonen heimgesucht. Wenn die Ächtung vom Staat ausgeht, droht imminente Gefahr. Von der Diskriminierung zum Pogrom ist es oft nur ein kleiner Schritt, wie die Geschichte lehrt.

Die Bundesregierung hat jetzt in ihren Reisehinweisen für Russland eine Warnung aufgenommen, aber in der breiteren Öffentlichkeit spielt die systematische Verletzung von Bürgerrechten keine Rolle. Niemand empfindet es offenbar als größeren Skandal, dass jetzt Menschen allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung vor Gericht gezerrt werden.

Olympia-Teilnehmer müssen sich "keine Sorgen machen"

Die Kanzlerin hat keine Illusionen, was Russland angeht, diesen Vorwurf kann man ihr nicht machen. Deshalb sind die deutsch-russischen Beziehungen auch dort, wo sie sind. Aber ausgerechnet im sozialdemokratischen Lager, das für sich Anspruch nimmt, beim Minderheitenschutz besonders rege zu sein, redet man sich die Situation schön. Der Kanzlerkandidat Steinbrück erklärte in Interviews, wie wichtig die "Partnerschaft" mit dem Nachbarn sei, und warum man deshalb Putin gegenüber nicht zu forsch auftreten dürfe.

Der amerikanische Autor Harvey Fierstein hat vergangene Woche in der "New York Times" die Frage gestellt, wie sicher man eigentlich als Sportler in Russland sei. Im Februar 2014 will das Land die Winterspiele in Sotschi ausrichten. Es gibt keine Statistik darüber, wie viele der Athleten, Trainer, Reporter und anreisenden Fans schwul oder lesbisch sind - aber es werden schon einige sein.

Das IOC hat ihnen jetzt versichert, dass sich niemand Sorgen machen müsse. Man habe von "höchster Regierungsstelle" die Zusicherung erhalten, dass die Anti-Schwulen-Gesetzgebung die Olympia-Teilnehmer nicht betreffen werde. Normalerweise ist es juristisch völlig ausgeschlossen, für zwei Wochen in einer Stadt ein Gesetz außer Kraft zu setzen, das ein nationales Parlament gerade übers ganze Land verhängt hat. Aber in Russland geht auch das. Dort sind Gesetze immer nur so viel wert, wie es dem Präsidenten gerade opportun erscheint. Seit Donnerstag heißt es: Doch keine Ausnahmeregelung. Willkür ist ein Kennzeichen solcher Länder.

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