Janukowitsch-Vertraute Bondarenko "Die Polizei geht nicht hart genug vor"

Festnahme von Regierungsgegnern in Kiew: "Das sind Vandalen, Brandstifter, bewaffnete Extremisten"
Foto: STRINGER/ REUTERSJelena Bondorenko, 39, ist Abgeordnete der Janukowitsch-Partei "Partei der Regionen" und Vize-Chefin der Fraktion. Sie gehört zu den wenigen im Präsidenten-Lager, die Interviews gibt. Bondarenko bittet für das Gespräch in die Lobby des Hotels Kiew. Es befindet sich im Regierungsviertel, gegenüber des Parlaments. Der Maidan liegt nur einen Kilometer entfernt.
Das Treffen ist am Morgen geplant, der Waffenstillstand beginnt gerade zu bröckeln. Den unmittelbaren Ausbruch der Kämpfe habe ich nicht beobachtet. Auf dem Weg zum Interview mit Bondarenko stürmen plötzlich Männer der berüchtigten Berkut-Einheit an mir vorbei. Sie ziehen sich ungeordnet vom Maidan zurück, manche wirken panisch. Sie seien beschossen worden, sagt ein Kommandeur. Ein Polizist mit Kalaschnikow verscheucht Passanten mit vorgehaltener Waffe von der Institutska-Straße. Gleich werde hier geschossen, sagt er.
Die Polizei räumt Hals über Kopf das Regierungsviertel. Jelena Bondarenko springt in ihren Jeep, "aus Angst, dass die Banditen jetzt kommen". Damit meint sie die Demonstranten vom Maidan, die in Richtung Parlament vorrücken. Das Interview führen wir im Auto. Bondarenko schildert den Konflikt aus der Sicht des Janukowitsch-Lagers, von der anderen Seite der Barrikaden.
SPIEGEL ONLINE: Auf den Straßen von Kiew liegen Tote. Wie kann der Konflikt nun noch beendet werden?
Bondarenko: Es gibt keine universelle Medizin, die alle Probleme einfach löst, die Lage ist verfahren. Aber die Gewalt muss aufhören, die Gewalt von beiden Seiten. Zweitens muss das Ausland aufhören, sich ständig in die Belange der Ukraine einzumischen.
SPIEGEL ONLINE: Scharfschützen feuern in die Menge. Wieso geht die Staatsmacht so hart vor?
Bondarenko: Ich glaube, das Vorgehen der Sicherheitskräfte ist noch gar nicht hart genug.
SPIEGEL ONLINE: Viele Demonstranten sind durch Kopfschüsse getötet worden. Das finden Sie nicht brutal?
Bondarenko: Moment. Wäre früher hart durchgegriffen worden, die Gewalt wäre nicht überall hingekrochen. Auf dem Maidan stehen inzwischen ja nicht mehr friedliche Demonstranten. Das sind Vandalen, Brandstifter, bewaffnete Extremisten. Unsere Parteizentrale wurde in Brand gesetzt. Einer unserer Mitarbeiter wurde totgeschlagen, ein Elektriker, der die Glühbirnen im Büro austauschen wollte. Unsere Sicherheitskräfte reagieren nur auf Provokationen, auf Übergriffe der Radikalen.
SPIEGEL ONLINE: Mit Verlaub, die Sicherheitskräfte machen Jagd auf die eigenen Bürger...
Bondarenko: ...auf Leute, die gezeigt haben, dass sie die Macht übernehmen wollen, auch wenn das Menschenleben kostet. Es geht ihnen nicht um Reformen. Jetzt sitzen wir in meinem Wagen. Wir sind jetzt aus dem Regierungsviertel geflohen, weil der Maidan vorrückt. Würden deutsche Behörden zulassen, dass Abgeordnete des Bundestags aus dem Reichstag fliehen müssen?
SPIEGEL ONLINE: Warum krallt sich das Regierungslager so sehr an die Macht? Wieso stemmen Sie sich gegen Neuwahlen des Parlaments und des Präsidentenamts?
Bondarenko: Präsident und Parlament sind demokratisch gewählt worden. Trotzdem würde unsere Fraktion Neuwahlen unterstützen. Wir haben nichts dagegen. Wenn die Opposition das vorschlägt, werden wir diese Initiative unterstützen. Über vorgezogene Präsidentschaftswahlen kann nur der Präsident entscheiden. Nur: Ich glaube, die Opposition hat gar kein Interesse an Neuwahlen.
SPIEGEL ONLINE: Was sollten Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleg Tjagnibok dagegen haben?
Bondarenko: Ihre Reputation ist ruiniert. Sie haben die Kontrolle über den Maidan verloren. Am Mittwoch haben sie im Namen des Maidan mit dem Präsidenten eine Waffenruhe verhandelt und verkündet. Hat sich der Maidan daran gehalten? Nein. Klitschko will eine neue Verfassung, aber schon Jazenjuk hat ganz andere Vorstellungen, wie sie aussehen soll. In Umfragen ist unsere Partei immer noch die stärkste Kraft. Seit dem Ausbruch der Unruhen wächst die Zustimmung sogar im Osten der Ukraine. Wenn wir aber Neuwahlen ausrufen, wird die Opposition dann auch akzeptieren, wenn wir daraus als Sieger hervorgehen? Wird Europa unseren Wahlsieg respektieren? Wenn wir gewinnen, dann werden die anderen wieder auf dem Maidan stehen und den Westen um Hilfe anbetteln.
SPIEGEL ONLINE: Sie verbitten sich Kommentare aus dem Ausland?
Bondarenko: Ja, und zwar von allen Seiten, aus den USA, aus Europa und auch aus Russland. Das Ausland muss aufhören, sich in der Ukraine einzumischen und unser Land als bloße Einflusszone zu behandeln. Die Welt spielt Poker mit der Ukraine, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Ukrainer.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Bondarenko: Ich komme von einem Treffen der OSZE, da hat der lettische Vertreter gerufen, Russland solle gefälligst die Finger von der Ukraine lassen. Gleichzeitig verteilt die US-Diplomatin Victoria Nuland schon mal aus der Ferne die Posten in einer möglichen neuen Regierung. Janukowitsch passt dem Westen nicht, weil er sich nicht beeinflussen lässt.
SPIEGEL ONLINE: Russland setzt Janukowitsch doch massiv unter Druck.
Bondarenko: Das sehe ich nicht. Was ich aus Moskau höre, sind nur Aufrufe, die Ukraine in Ruhe ihren eigenen Weg bestimmen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Sie kommen aus Donezk, einer Hochburg der Janukowitsch-Anhänger. Wie ist dort die Stimmung?
Bondarenko: Aggressiv. Unsere Leute sind inzwischen auch bereit zu töten, so weit ist es gekommen.
SPIEGEL ONLINE: In Kiew ist oft die Rede von einer möglichen "Föderalisierung", von weitgehender Autonomie der einzelnen Landesteile.
Bondarenko: Das wäre die beste Variante.
SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht der erste Schritt zum Zerfall des Landes?
Bondarenko: Die Ukraine steht jetzt vor dem Zerfall. Die Föderalisierung ist eine Möglichkeit zu retten, was zu retten ist.
SPIEGEL ONLINE: Wird der Osten dann unter russischen Einfluss geraten?
Bondarenko: Ganz ehrlich: Das lassen Sie bitte mal unsere Sorge sein.