Huthi-Rebellen im Jemen
"Die Amerikaner etikettieren jeden als Terroristen, der sich ihrer Politik entgegenstellt"
Die USA wollen offenbar die jemenitischen Huthi-Rebellen als Terrororganisation einstufen - wohl auch wegen deren Nähe zu Iran. Anführer Mohammed Ali al-Huthi gibt sich im Interview angriffslustig.
Oud-Spieler auf den Trümmern der umkämpften Stadt Taiz: Der Jemen ist zerfallen
Foto: Ahmad Al-Basha/ AFP
Seit über fünf Jahren tobt ein Krieg im Jemen - und immer mehr regionale und internationale Akteure mischen dort mit. Im Zentrum des Konflikts stehen die schiitischen Huthis, eine jemenitische Miliz, die von Iran unterstützt wird. Die Huthis erkennen die Regierung von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi nicht an, der im Exil in Saudi-Arabien lebt.
Hadi wird von der sunnitischen Hegemonialmacht protegiert. Saudi-Arabien hat eine Anti-Huthi-Allianz geschmiedet und eine Luft- und Seeblockade über den Jemen verhängt; der Import von Waffen und Waren ist dadurch fast unmöglich.
Die Vereinten Nationen zählen in dem Krieg inzwischen über 200.000 Tote, die direkt oder durch Folgen des brutalen Stellvertreterkrieges gestorben sind. 24 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten sind mittlerweile auf Lebensmittelrationen durch Hilfsorganisationen angewiesen. Die Infrastruktur und Kulturgüter des Landes sind vielerorts zerstört. Trotzdem kann die von den USA unterstützte Anti-Huthi-Koalition keine nennenswerten Erfolge verzeichnen.
Je länger der Konflikt dauert, desto komplizierter wird er - und damit seine Lösung. Zuletzt hatten sich rivalisierende Gruppen innerhalb des Lagers von Exil-Präsident Hadi bekämpft. Die Huthi-Rebellen kontrollieren derweil immer noch die Hauptstadt Sanaa. Mohammed Ali al-Huthi, 41, gehört zu den mächtigsten Führern ihres Herrschaftsgebietes.
SPIEGEL: Sie tragen einen beeindruckenden Dolch im Gürtel - ist das ein Schmuckstück oder eine Waffe?
Mohammed Ali al-Huthi: Das ist die traditionelle Bekleidung der Jemeniten, das ziehe ich am liebsten an. Die eleganten Anzüge, die wir an Besuchern oder Politikern im Fernsehen sehen, machen ja noch niemanden zu einem ehrenwerten Menschen.
Mohammed Ali al-Huthi (in Sanaa), SPIEGEL-Redakteurin Koelbl
Foto: DER SPIEGEL
SPIEGEL: Fürchten Sie, in das Fadenkreuz der USA zu geraten wie zuletzt General Qasem Soleimani, der die iranischen Quds-Brigaden kommandierte und den die US-Amerikaner im Januar mit einer Drohne liquidierten?
Huthi: Erstens bin ich kein Mann des Militärs.
SPIEGEL: Sie treffen immerhin die letzte Entscheidung über die militärische Strategie.
Huthi: Zweitens wäre es nicht überraschend, wenn die US-Amerikaner mich ins Visier nehmen würden. Aber mit jedem weiteren Verbrechen wird der Zorn auf die Vereinigten Staaten von Amerika hier größer.
"Präsident Trump nennt den Preis, die Saudis bezahlen, die USA liefern"
SPIEGEL: Warum auf die USA? Es ist ja eine saudi-arabisch geführte Koalition, gegen die Sie hier kämpfen.
Huthi: Saudi-Arabien operiert auf der Arabischen Halbinsel wie ein amerikanischer Bundesstaat, der Trump unterstellt ist. Der Präsident nennt den Preis, die Saudis bezahlen, die USA liefern.
SPIEGEL: Die USA erwägen offenbar, Ihre Miliz als "globale Terrororganisation" einzustufen. Ein solcher Schritt käme den Herrschern in Riad in der Tat entgegen. Es wäre aber auch eine direkte Kampfansage Washingtons an Ihre selbst ernannte Regierung in Sanaa. Welche Verteidigungsstrategie verfolgen Sie?
Huthi-Kämpfer in Sanaa: Sie haben die Hauptstadt bereits vor Jahren erobert - und wollen nicht weichen
Foto: Yahya Arhab/ dpa
Huthi: Wir sind keine Terrorgruppe und akzeptieren diesen Begriff auch nicht. Die Amerikaner etikettieren doch jeden als Terroristen, der sich ihrer Politik entgegenstellt. Selbst die Demonstranten auf den Straßen in den USA wurden von Trump schon als Terroristen bezeichnet. Ich frage mich natürlich, warum geschieht das jetzt? Welche rote Linie haben wir gerade überschritten?
SPIEGEL: Westliche Geheimdienste berichten, dass die Huthi-Rebellen zunehmend iranische Raketen und Drohnen nutzen.
Huthi: Warum führen Saudi-Arabien und die USA Krieg gegen uns, mit der Begründung, dass wir etwas Unterstützung von Iran bekommen? Wenn wir von Iran finanziert werden, bombardiert doch bitte Iran, den Finanzier, massakriert doch nicht die Jemeniten! Genau das haben wir den Saudis und den US-Amerikanern deutlich gesagt. "Wenn ihr eine Rechnung mit den Iranern zu begleichen habt, macht das mit den Iranern aus."
"Wir sind den Deutschen ausdrücklich dankbar, dass sie die Waffenlieferung nach Saudi-Arabien gestoppt haben"
SPIEGEL: Saudi-Arabien führt im Jemen Krieg, um die international anerkannte Regierung von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi zurück nach Sanaa zu bringen und um Druck gegen Iran aufzubauen, das seinen Einfluss in Ihrem Land ausweitet. Überdenken Sie deshalb gerade Ihre Allianz mit Teheran?
Huthi: Wird denn der iranische Einfluss in der Region geringer, wenn Jemeniten bombardiert werden? Führt das zum Ende des iranischen Atomprogramms? Oder einem Ende der Langstreckenraketen? Nein!
SPIEGEL: Wie bedeutsam ist die Verbindung mit den iranischen Revolutionsgarden für Ihren Kampf?
Huthi: Ich war niemals in Iran, wie immer wieder behauptet wird. Wir haben keine hoch entwickelten, präzisen Waffen, von denen die Geheimdienste sprechen. Unsere Waffensysteme sind veraltet und stammen noch aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Viele Länder lachen über unsere veralteten Waffen. Wir sind den Deutschen ausdrücklich dankbar, dass sie die Waffenlieferung nach Saudi-Arabien gestoppt haben.
SPIEGEL: Vor einem Jahr hörte sich das noch ganz anders an. Da spuckten Sie große Töne über Ihre angeblich hoch entwickelten Fähigkeiten und dass Sie angeblich - ohne iranische Hilfe - mit Hightechdrohnen und -raketen fünfzig Prozent der saudi-arabischen Ölproduktion zerstören könnten.
Huthi(lacht): Wir verfügen über viel Erfahrung und viele Talente. Man greift uns im Jemen an, und wir sind gezwungen, uns zu verteidigen, mit unseren begrenzten Möglichkeiten.
"Saudi-Arabien ist ja nicht unsere Mutter, der wir Respekt zu zollen haben und der wir folgen müssen"
SPIEGEL: Saudi-Arabien sieht sich zunehmend umzingelt von Regierungen, die aus Teheran beeinflusst oder gesteuert werden, in Syrien ist das der Fall, im Libanon und dem Irak, auch der Jemen zählt dazu. Können Sie verstehen, dass Riad keinen weiteren Verbündeten Irans an seiner Grenze dulden will?
Huthi: Saudi-Arabien ist ja nicht unsere Mutter, der wir Respekt zu zollen haben und der wir folgen müssen. Ob Saudi-Arabien uns anerkennt oder nicht, ist für uns nicht bedeutsam. Bedeutsam ist für uns die Anerkennung im jemenitischen Volk.
SPIEGEL: Als Terrororganisation dürfte Sie niemand mehr unterstützen, Mitglieder der Huthi-Regierung hätten Einreiseverbot in die USA, Ihre Vermögenswerte würden international eingefroren. Auch die so dringend benötigte Hilfe käme schwerer ins Land.
Huthi: Gegen einzelne hochrangige jemenitische Regierungsmitglieder wurden bereits Sanktionen durch die Vereinten Nationen verhängt, gegen die wir protestieren. Trotzdem sind das nur Details. Sie vergessen darüber das große Verbrechen gegen unser Land. Der Uno-Sicherheitsrat hat niemandem erlaubt, diesen zerstörerischen Krieg gegen den Jemen zu führen!
SPIEGEL: Es hat Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien gegeben. Der Uno-Sondergesandte Martin Griffiths sieht aktuell dennoch keine Aussichten mehr auf einen Frieden. Woran scheitert der Frieden?
Huthi: Wir sind diejenigen, die Friedensinitiativen vorschlagen. Wir sind bereit, den Waffenstillstand auf allen Fronten einzuhalten und den Raketenbeschuss und den Drohneneinsatz einzustellen. Wir wollen einen Dialog und eine umfassende Lösung. Im Gegenzug ist uns aber wichtig, dass die Blockade gegen das jemenitische Volk aufgehoben und die Aggressionen beendet werden.
SPIEGEL: Sanaa boomt. Die Supermärkte der Hauptstadt sind voll, während 24 Millionen Menschen im ganzen Land vom Hunger bedroht sind. Wie passt das zusammen?
Huthi: Wir leben nicht von Ziegenmilch. Es gibt hier Geschäftsleute, die es schon vor dem Krieg gab. Ihre Namen sind in den Handelskammern registriert. Wir ziehen Investoren an. In Sanaa müssen Sie nur 600 Rial für den Dollar bezahlen, in von der Anti-Huthi-Koalition kontrollierten Gebieten 850 Rial.
SPIEGEL: Die Lage wird immer komplizierter und die Kriegswirtschaft und der Schmuggel haben viele Kriegsherren unfassbar reich gemacht, darunter führende Huthi-Rebellen. Politische Beobachter im Land behaupten, auch Sie seien nicht an einem Friedensschluss interessiert.
Huthi: Das ist nicht wahr! Wir haben die Bemühungen von Martin Griffiths, dem Uno-Sondergesandten für Jemen, akzeptiert und ihn gebeten, die andere Seite zu überzeugen. Die sogenannte Anti-Huthi-Allianz lehnt die gemeinsame Erklärung aber ab.
Ein zwölfjähriges Mädchen in einer Klinik in Hajjah, Nordwest-Jemen: Wer ist verantwortlich für die Katastrophe?
Foto: KHALED ABDULLAH/ REUTERS
SPIEGEL: Die Vereinten Nationen mussten bereits die Lebensmittelrationen für Bedürftige halbieren, weil ihre Kassen leer sind. Die Uno sagt, selbst diese Rationen könne sie künftig nicht mehr leisten. Was werden Sie denn gegen den Hunger in Ihrem Einflussbereich tun?
Huthi: Die von Saudi-Arabien verhängte Luft- und Seeblockade macht es uns unmöglich, unsere Leute durch Einfuhren und Handel zu versorgen. Die Vereinten Nationen haben Saudi-Arabien wiederholt aufgefordert, ihre früher gemachten Hilfszusagen einzuhalten. Aber sie zahlen nicht mehr. Sie benutzen die humanitäre Hilfe als Waffe gegen unser Volk. Aus Großbritannien und Schweden kam bei der Geberkonferenz zuletzt mehr Geld für den Jemen als aus Riad.