

Münchner Sicherheitskonferenz Alle haben sich wieder lieb


Digital dabei: US-Präsident Joe Biden
Foto: Sepp Spiegl / imago images/sepp spieglSogar die Tafeln mit dem Logo der Münchner Sicherheitskonferenz hatten es ins Weiße Haus geschafft. Als sich Joe Biden am Freitagnachmittag als Gast zuschaltete, um zu beteuern, dass »Amerika zurück« sei, standen vor ihm das Rednerpult mit dem Präsidentensiegel und hinter ihm die Tafeln mit dem Kürzel »MSC«.
Das war sicher kein Zufall: Biden war schon seit den 1980er-Jahren immer wieder in München, allein als Vizepräsident dreimal. Dass es Konferenzleiter Wolfgang Ischinger geschafft hatte, die Tafeln ins Weiße Haus zu bringen, sagt sowohl etwas aus über die Hartnäckigkeit des Gastgebers aus als auch über die Verbundenheit des neuen US-Präsidenten mit dieser Konferenz. Und vielleicht auch über Bidens Willen, in Europa nach den Trump-Jahren um jeden Preis gute Stimmung zu machen.
Die Sicherheitskonferenz, die in diesem Jahr virtuell stattfand, versammelte ein All-Star-Team des Transatlantizismus: Neben Biden nahmen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Boris Johnson teil, zudem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel.
Der Westen hielt einen Zoom-Call ab.
Trump ist weg, die Probleme bleiben
Doch dem Anlass wohnte etwas Nostalgisches inne: Er wirkte über weite Strecken wie eine Feier vergangener Zeiten, die trotz der Abwahl von Donald Trump nicht wiederkommen werden. Eine Bekenntnisfeier des alten Westens. Die Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft waren dagegen eher rar.

Konferenzleiter Wolfgang Ischinger mit seinen Stargästen Joe Biden, Angela Merkel und Emmanuel Macron
Foto: Benoit Tessier / APDas gilt auch für die kurze Rede, die Biden zu Anfang hielt. Es war seine erste Botschaft, die er direkt an die Europäer richtete. Biden beschwor darin die transatlantischen Beziehungen, von denen Ex-Präsident Donald Trump nichts mehr wissen wollte. Er bekannte sich zur Nato, zur Beistandsverpflichtung im Artikel 5 (»dies ist unser unverbrüchliches Gelöbnis«). Die Pläne von Ex-Präsident Trump, der US-Truppen aus Deutschland abziehen wollte, sollen gestoppt werden.
Wenn jemand direkt aus dem Jahr 2015 ins Jahr 2021 teleportiert worden wäre und die Rede von Biden gehört hätte, wäre sie ihm oder ihr wohl als gänzlich belanglos erschienen – denn Biden bestärkte vor allem Bündnisse und Werte, die einst selbstverständlich waren.
Nach vier Jahren Donald Trump, der Europa Feindseligkeit entgegenbrachte und mehr Sympathie für manchen Diktator als für verbündete Demokratien aufbrachte, entfalteten Bidens Worte eine andere Bedeutung. Sie waren für viele Zuhörerinnen und Zuhörer sicherlich wohltuend. Sie sollten heißen: Zwischen uns wird alles gut.
Biden klopft Europa auf die Schultern
Biden hielt also genau die Rede, die viele Europäer sicherlich gern hören wollten: Ein Amerika, das auf die Schultern klopft, das nicht kritisiert, nicht fordert. Ob es dabei bleiben wird? Für den Moment war es sicherlich die richtige Rede: Sie sollte vor allem die Verletzungen der Trump-Jahre überdecken.
Biden vermied es konsequent, irgendeines der vielen Probleme anzusprechen, die es sehr wohl gibt zwischen den USA und Deutschland oder den USA und der EU. Weder den amerikanischen Ärger um die russisch-deutsche Gaspipeline »Nord Stream 2« , gegen die US-Sanktionen beschlossen wurden, noch die weiterhin zu niedrigen Verteidigungsausgaben der Deutschen – im Gegenteil lobte er, dass die Ausgaben in Europa zuletzt gestiegen waren.
Dabei weiß der neue US-Präsident sicherlich, dass die Herausforderungen im Verhältnis zur EU und zur Nato erst noch kommen werden – insbesondere was China angeht. Doch er erwähnte das aus Washingtoner Sicht größte Ärgernis nicht einmal: Es ist das Investitionsabkommen, das die EU mit China ausgehandelt hat, obwohl Washington die Europäer eigentlich im Konflikt mit China fest an ihrer Seite sehen möchten.
Biden legte nur Wert darauf, dass für chinesische Firmen künftig die gleichen Regeln gelten müssten wie für europäische und amerikanische. Und er rief die Europäer zu »langfristigem strategischem Wettbewerb« mit China auf.
Merkel nennt China »strategischen Wettbewerber«
Doch im Umgang mit China liegt die vielleicht größte Schwierigkeit für das künftige Verhältnis. Viele Europäer – und insbesondere viele Deutsche – wollen sich längst nicht so klar an der amerikanischen Seite gegen China positionieren wie die USA sich das wünschen.

Angela Merkel in der Münchner Sicherheits-Videokonferenz
Foto: BPA / REUTERSIn ihrer eigenen Rede wies Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst darauf hin, dass es komplizierter sei, eine gemeinsame Haltung von EU und USA zu China zu finden als zu Russland. Sie nannte China einen »systemischen Wettbewerber«, nicht etwa einen Rivalen, und wies darauf hin, dass man das Land brauche, um »globale Probleme« zu lösen. Hier war der Widerspruch schon zu spüren, auf den keiner der zugeschalteten Staatschefs ganz direkt einging.
Auch Merkel beschwor in ihrer Rede »ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft«. Auch sie sparte fast alle Konflikte aus. Sie hielt eine Rede, in der sie die ganzen Widersprüchlichkeiten deutscher Außenpolitik umschiffte: Die Kanzlerin, die Russland zwar kritisiert, aber am umstrittenen Pipelineprojekt »Nord Stream 2« festhält. Die europäische Führungsnation, die nicht führen will. Die zwar mehr für Verteidigung ausgeben will, aber nicht so viel wie die USA möchten. Und die zwar verbal fest zu den transatlantischen Beziehungen steht, zwischen den USA, China und Russland aber keinen ganz eindeutigen Kurs einschlagen will.
Macron lobt Frankreichs Verteidigungsausgaben
Der französische Präsident Emmanuel Macron war in seiner Rede schonungsloser, wie man es von ihm kennt. Er sprach sehr ausführlich übers Impfen, ansonsten brachte er die strategischen Themen vor, die ihn seit Jahren beschäftigen und mit denen er in Europa immer wieder für Diskussionen sorgt. Er wiederholte zwar nicht seine alte Aussage, in der er der Nato den »Hirntod« attestierte – betonte aber, alles, was er damals gesagt habe, sei weiterhin gültig.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Konferenzteilnehmer im Elysée
Foto: BENOIT TESSIER/POOL/EPA-EFE/ShutterstockMacron setzt sich seit Langem für mehr europäische Souveränität und strategische Autonomie ein. Er beteuerte erneut, dass europäische Stärke nicht im Konflikt zur Nato-Mitgliedschaft steht. Für den französischen Präsidenten sind funktionierende europäische Verteidigungsstrukturen eine Ergänzung zur Nato, keine Konkurrenz.
Wie zum Beweis erhöhte ausgerechnet er den Druck auf Deutschland, das Ausgabenziel der Nato zu erreichen: Frankreich werde das vereinbarte Ziel bald erreichen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für seine Verteidigung auszugeben, sagte er, das sei wichtig für die Ausbalancierung der transatlantischen Beziehung und »um unseren amerikanischen Freunden zu zeigen, dass wir ein verlässlicher und verantwortlicher Partner sind«. Das saß.
Aus Großbritannien schaltete sich dann noch Premierminister Boris Johnson zu – und auch er lobte ausgiebig die hohen Verteidigungsausgaben der Briten. Er bekannte sich zur europäischen Sicherheitsarchitektur und betonte, dass Großbritannien derzeit das tut, was Deutschland überhaupt nicht tun will: China die Stirn zeigen.
Johnson kämpft gegen den Pessimismus
Johnson tat das, was er am besten kann: einen unbändigen, nicht immer klar begründeten Optimismus zu verbreiten. Er schmeichelte den USA mit den Worten, sie seien nun als unangefochtener Anführer der Welt zurück. Er war auch der Einzige, der enthusiastisch das Angebot Bidens annahm, der Europa eine »neue Partnerschaft« anbot. Und Johnson kritisierte die »Pessismismusindustrie«, die sich dem angeblichen Abstieg des Westens widme, dabei gehe es dem doch bestens.

Konferenzteilnehmer Boris Johnson mit Moderator Wolfgang Ischinger und Moderatorin Natalie Amiri
Foto: MUELLER/MSC/HANDOUT/EPA-EFE/ShutterstockTut es das? Das virtuelle Münchner Treffen zeigte einen Westen im Erholungs- und Findungsmodus. Nach dem Trauma der Trump-Jahre kommt man wieder zusammen, vergewissert sich erst einmal seiner Gemeinsamkeiten und versucht, das Erlebte zu verarbeiten. Doch neue Ideen für die Gegenwart und Zukunft waren rar.
Das große Thema der nächsten Jahre ist der weitere Aufstieg Chinas. Es hat die Pandemie besser überstanden als der Westen. Wirtschaftlich erstarkt es weiter, im Pazifik baut es seinen Machtanspruch aus – und der Streit um Hongkong ist nur ein Vorbote für weitere Konflikte: um das Südchinesische Meer, um Taiwan.
Wie mit dieser Herausforderung umzugehen ist und wie sehr der Westen angesichts dieses starken Rivalen sich noch zusammenhalten lässt, dafür hatten die hochrangigen Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz wenig mehr als Gemeinplätze zu bieten.
Die gute Nachricht ist: Schön, dass sich alle wieder so gut verstehen. Mal sehen, wie lange.