Urteil in London
Assange soll nicht an die USA ausgeliefert werden
In den USA droht WikiLeaks-Gründer Julian Assange wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente eine lange Haftstrafe. Ein Gericht in London hat nun über das Auslieferungsgesuch entschieden.
Julian Assange (nach einer Gerichtsverhandlung in London im Januar 2020)
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Simon Dawson/ REUTERS
Ein britisches Gericht hat den US-Auslieferungsantrag für Wikileaks-Gründer Julian Assange abgelehnt. Der 49-jährige gebürtige Australier werde wegen der Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarteten, nicht ausgeliefert, teilte das Gericht in London am Montag mit. Im Fall einer Verurteilung hätten Assange in den USA bis zu 175 Jahre Haft gedroht. Die USA kündigten an, in Berufung zu gehen.
Assanges Anwalt will am Mittwoch dessen Entlassung aus britischer Haft auf Kaution beantragen. Das Gericht könnte diese aber aufgrund der bereits eingelegten Berufung ablehnen.
Die von Assange gegründete Enthüllungsplattform WikiLeaks hatte 2010 und 2011 Hunderttausende geheime Papiere vor allem zum US-Einsatz im Irakkrieg ins Internet gestellt. Damit habe Assange das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, so der Vorwurf. Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen publik gemacht hat.
Um einer Auslieferung zu entgehen, hatte sich Assange in die Botschaft Ecuadors in Großbritannien geflüchtet und dort sieben Jahre gelebt, bevor ihm 2019 dort das Asyl entzogen wurde. Er wurde festgenommen und kam in ein Londoner Hochsicherheitsgefängnis.
Assange drohen in den USA 175 Jahre Haft
Die US-Justiz will den Australier wegen der Veröffentlichung der Dokumente und wegen Verstößen gegen das Anti-Spionage-Gesetz vor Gericht stellen. Sie wirft ihm vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen zu haben. Bei einer Verurteilung in den USA drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.
Im Vorfeld der Entscheidung hatte der Uno-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, das Verfahren in London scharf kritisiert. »Was wir sehen, ist, dass die Briten Julian Assange systematisch seiner grundlegenden Rechte berauben, seine Verteidigung vorzubereiten, Zugang zu seinen Anwälten und zu rechtlichen Dokumenten zu haben«, sagte der Schweizer der Deutschen Welle.
Assanges Anwälte hatten argumentiert, er habe als Journalist gehandelt und deshalb Anspruch auf den Schutz, den der erste Zusatz zur US-Verfassung gewähre. Dieses Argument wies die Richterin zurück. Die Richterin begründete ihre Entscheidung jedoch mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde. Assange habe den Intellekt und die Entschlossenheit, alle Maßnahmen zur Suizidprävention der Behörden zu umgehen.
Mehrere Bundestagsabgeordnete drängen auf Freilassung
Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Stimmen, die sich für Assange einsetzen. Mehrere Bundestagsabgeordnete verschiedener Fraktionen hatten am Sonntag auf eine Freilassung Assanges gedrängt. Eine Überstellung Assanges durch Großbritannien »würde dessen Leben gefährden« und hätte »Präzendenzcharakter für andere Journalisten«, erklärte die Gruppe, der unter anderem die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen und die FDP-Menschenrechtsexpertin Gyde Jensen angehören.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen zeigte sich erleichtert über die Entscheidung des Gerichts. »Wir teilen die Einschätzung, dass eine Auslieferung angesichts der voraussichtlichen Haftbedingungen in den USA und angesichts des fragilen psychischen und körperlichen Gesundheitszustands von Julian Assange für ihn lebensbedrohlich wäre«, sagte Geschäftsführer Christian Mihr. Die Begründung der Richterin bewertete die Organisation allerdings kritisch: »Ihre Ansicht, dass es sich nicht um ein politisches Verfahren handelt und dass es sich nicht um grundlegende Fragen der Pressefreiheit dreht, teilen wir in keiner Weise.«
»Presse- und Meinungsfreiheit auf die Anklagebank gesetzt«
Der Aktivist Edward Snowden, der seit der Veröffentlichung zu Überwachungs- und Spionagepraktiken der USA und Großbritanniens im Moskauer Exil lebt, begrüßte das Urteil. Bei Twitter schrieb er über eine Organisation für Pressefreiheit, deren Präsident er ist: »Vielen Dank an alle, die sich gegen eine der gefährlichsten Bedrohungen der Pressefreiheit seit Jahrzehnten eingesetzt haben«.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International teilte in einer Pressemitteilung mit, sie begrüße zwar das Urteil gegen Assanges Auslieferung an die USA – kritisierte jedoch, dass es überhaupt zu dem Prozess kommen konnte. »Die Anklagen gegen ihn hätten erst gar nicht erhoben werden dürfen. Die Vorwürfe waren politisch motiviert und die britische Regierung hätte die US-Regierung nicht so bereitwillig bei der unerbittlichen Verfolgung von Assange unterstützen dürfen«, heißt es seitens der Organisation. Großbritannien habe dadurch »die Presse- und Meinungsfreiheit auf die Anklagebank gesetzt«.
Die Richterin halte die Anklagepunkte der USA in der Sache für gerechtfertigt und gebe dem Auslieferungsantrag nur deshalb nicht statt, weil Assange in schlechter gesundheitlicher Verfassung sei. »Das lässt eine Hintertür offen für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten weltweit, die geheime Informationen von großem öffentlichem Interesse veröffentlichen, wie es Assange getan hat.« Mihr forderte die USA auf, »die Anklage juristisch fallen zu lassen oder ihn politisch zu begnadigen«.