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Prozess gegen Timoschenko: Killerkommando auf dem Rollfeld

Foto: DPA/ Block Julia Timoschenko

Ukrainische Machtspiele Timoschenko droht lebenslange Haft

Zwielichtige Neureiche streiten ums Geschäft mit russischem Gas, einer der Rivalen wird umgebracht - die Spur führt in die neunziger Jahre, angeblich zu Julija Timoschenko. Der Ex-Premierministerin der Ukraine droht nun auch noch eine Mordanklage. Ihre Anhänger vermuten ein Komplott des Präsidenten.

Julija Timoschenko verbüßt bereits eine Gefängnisstrafe, sieben Jahre wegen Übertretung ihrer Befugnisse während ihrer Zeit als Premierministerin. Seit Wochen aber treibt die Staatsanwaltschaft in Kiew die Vorbereitungen für einen zweiten Prozess voran, der ihre Haft auf lebenslänglich verlängern könnte - es geht um einen Mord.

Das Verbrechen liegt so lange zurück, dass seine Aufklärung auch in einem besser funktionierenden Rechtsstaat als der Ukraine schwierig wäre. 1996 wurde der Unternehmer Jewgenij Scherban am Flughafen der ostukrainischen Stadt Donezk erschossen. Scherban war Parlamentsabgeordneter. Vor allem aber war er einer jener "Bisnismeni", die - halb Unternehmer, halb Mafiosi - nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Vermögen zusammenrafften. Scherbans Geschäft war der Handel mit Gas, seine Firma Industrie-Union Donbass verdiente an der Einfuhr von Gas aus Russland.

Hunderte Millionen ins Ausland geleitet

Damit aber, so argumentiert die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage gegen Timoschenko, wurde Scherban zu "einem der Hindernisse" des Expansionsdrangs von konkurrierenden "Bisnismeni" aus der Stadt Dnjepropetrowsk. Von dort stammt auch Julija Timoschenko. Mitte der neunziger Jahre dominierte die Stadt die Geschäfte in der Ukraine. "Die politische Hauptstadt des Landes mag Kiew sein, das wirtschaftliche Herz aber liegt in Dnjepropetrowsk" konstatierte die "Financial Times" damals.

Ein Unternehmer aus der Industriestadt am Dnjepr stieg damals zum Regierungschef auf, dessen Namen die Staatsanwälte nun in der Anklageschrift stets in einem Atemzug mit Timoschenko nennen: Pawel Lasarenko.

Transparency International erklärte den Politiker schon einmal zu "Nummer acht der korruptesten Würdenträger der Welt". Ein US-Gericht verurteilte Lasarenko 2006 zu neun Jahren Haft wegen Geldwäsche und Erpressung.

Laut amerikanischen Gerichtsakten hatte Lasarenko während seiner Regierungszeit Hunderte Millionen Dollar aus dem ukrainischen Staatshaushalt abgezweigt und auf Konten im Ausland transferiert.

Drei Millionen Dollar für den "Matrosen"

Vor allem das Geschäft mit Gas galt damals als lukrativ in der Ukraine. Lasarenko wollte das Monopol für Gasimporte 1995 an Timoschenkos Firma United Energy Systems vergeben. Im Gegenzug, behaupten die Ermittler heute, habe Timoschenko "50 Prozent aller Gewinne systematisch auf von Lasarenko genannte Konten überwiesen".

Die Gebietsverwaltung in Donezk aber wollte sich das lukrative Gasgeschäft nicht von den Rivalen aus Dnjepropetrowsk entziehen lassen. Per Erlass vergab die Provinzregierung selbst Rechte für Gaseinfuhren in die Region. Profiteur war die Industrie-Union Donbass, das Unternehmen des Abgeordneten Jewgenij Scherban.

Scherbans Jak-40 landete am 3. November 1996 aus Moskau kommend in Donezk, auf dem Rückweg von der Silbernen Hochzeit des Sängers Josif Kobson, genannt "Russlands Frank Sinatra".

Die Killer beobachten, wie Scherbans roter Cadillac auf das Rollfeld fährt. Als Scherban aus dem Flugzeug steigt, feuerten sie aus einer Tokarev-Pistole und einer Maschinenpistole. Jewgenij Scherban wurde tödlich getroffen, daneben starben seine Frau und der Bordmechaniker. Das war selbst für die damals Auftragsmorde gewohnte Ukraine eine schockierend brutale Tat.

Die Torte aus Donezk

"Er störte und wurde getötet", sagt Renat Kuzmin, der mächtige Chefermittler des Landes und stellvertretender Generalstaatsanwalt. Premier Pawel Lasarenko soll den Auftrag für die Ermordung gegeben und Timoschenko das Geld dafür einem Gangster gezahlt haben, der auf den Spitznamen "Matrose" hörte. Drei Millionen Dollar sollen geflossen sein.

Ermittler Kuzmin lässt Zeugen aufmarschieren, die Timoschenkos Tatbeteiligung belegen sollen. Timoschenko sei bedroht worden, berichtet etwa Sergej Saizew. Eines Tages habe man ihr eine Torte ins Arbeitszimmer gebracht mit der schriftlichen Nachricht: "Gruß aus Donezk, das nächste Mal ist es vielleicht kein Törtchen." Sondern eine Bombe, das war die Botschaft. Saizew sagt, Timoschenko habe sich deshalb an Lasarenko gewandt, und der Premier habe sich daran gemacht, "die Frage mit den Donezkern zu lösen".

Die Killer schieden bald selbst aus dem Leben

Ein zweiter Zeuge ist Igor Marenkow, einst ein "großer Geschäftsmann in Donezk mit Kontakten zur Verbrecherwelt", wie er sagt. Er habe zwar niemals mit Lasarenko oder Timoschenko zu tun gehabt. Die Organisatoren des Mordes aber hätten ihm anvertraut, "dass Julija das alles organisieren sollte".

Warum er die Vorwürfe erst jetzt erhebe, er sei ja bereits früher vor Gericht gewesen, fragen Timoschenkos Anwälte. "Das weiß ich nicht", sagt Marenkow.

Die Anhänger Timoschenkos sind überzeugt, dass der amtierende Präsident Wiktor Janukowitsch ihr den Mord anhängen will, um die politische Karriere der Rivalin endgültig zu beenden. "Wenn sie könnten, sie würden Timoschenko erschießen", sagt ihr Anwalt und Vertrauter Sergej Wlasenko.

Die Anklage steht auf wackeligen Beinen. Die bislang bekannten Zeugen referieren nur Gerüchte. Der Beweisführung nicht zuträglich ist zudem, dass Scherbans Mörder selbst bald aus dem Leben schieden. Einer wurde 1997 erschossen, einer starb in Untersuchungshaft, einer gilt als verschollen.

Eine Schlüsselrolle kommt deshalb dem einzigen Täter zu, den die Behörden lebend fassten. Der Auftragsmörder Wadim Bolotskich, Spitzname "der Moskauer", soll die Schüsse auf Scherban abgegeben haben. Er verbüßt eine lebenslange Haftstrafe. Timoschenkos Verteidiger fürchten, dass die Behörden Bolotskich eine vorzeitige Haftentlassung anbieten, sofern er Timoschenko belastet.

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