Kanadas Klima-Wahlkampf Dieser Mann will Trudeau ablösen

Der konservative Herausforderer Andrew Scheer hält Trudeau für einen "Klimaheuchler"
Foto: Carlos Osorio/REUTERSEs kommt nicht mehr oft vor, dass sich Barack Obama zu tagespolitischen Themen äußert. Mehr als eineinhalb Jahre pflegte der Ex-Präsident eine Tradition und ließ das Wirken seines Nachfolgers unkommentiert. Mit dem Herannahen der Midterm-Wahlen in den USA im vergangenen Herbst brach er schließlich damit: Obama kritisierte Donald Trump - und machte Wahlkampf für die Demokraten.
Ziemlich genau ein Jahr später hat sich der frühere US-Präsident erneut zu einem Wahlkampf geäußert. Während seiner Zeit im Weißen Haus sei er stolz darauf gewesen, mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau zusammenzuarbeiten, twitterte Obama wenige Tage vor den Wahlen zum kanadischen Unterhaus am Montag.
Trudeau packe "große Themen wie den Klimawandel" an. "Die Welt braucht jetzt seine progressiven Führungsqualitäten, und ich hoffe, dass unsere Nachbarn im Norden ihm die Unterstützung für eine weitere Amtszeit geben werden."
I was proud to work with Justin Trudeau as President. He's a hard-working, effective leader who takes on big issues like climate change. The world needs his progressive leadership now, and I hope our neighbors to the north support him for another term.
— Barack Obama (@BarackObama) October 16, 2019
26 Millionen Berechtigte in sechs Zeitzonen sind zur Wahl des kanadischen Parlaments aufgerufen. International mag Trudeau Kanada in seiner ersten Amtszeit als Klimavorreiter positioniert haben. Im Wahlkampf zu Hause aber ist er bei dem Thema Angriffen von rechts wie von links ausgesetzt.
Da ist zunächst sein konservativer Herausforderer Andrew Scheer. Der nannte Trudeau jüngst einen "high-carbon hypocrite" (frei übersetzt: einen "Klimaheuchler"). Grund dafür: Der liberale Premier und dessen Team bestritten ihre Wahlkampftermine mithilfe zweier Flugzeuge.

Justin Trudeau beim Wahlkampf in Nunavut im Norden Kanadas: Sein Image als progressiver Musterknabe hat Schaden genommen
Foto: Stephane Mahe/REUTERSSollte er Premierminister werden, sagt Scheer, wolle er mit höchster Priorität Trudeaus Klimapolitik zurückfahren. Dabei plant er vor allem die Abschaffung einer Untergrenze beim CO2-Preis, auf die Trudeaus Regierung in Ottawa diejenigen Provinzen verpflichtet hat, die bis April keinen eigenen Plan zur Bepreisung von CO2 vorlegten. Dieser von der Bundesregierung vorgegebene Mindestpreis liegt derzeit bei 20 kanadischen Dollar pro Tonne und soll bis 2022 jährlich um zehn Dollar steigen.
Scheer will Trudeaus CO2-Steuer durch eine Reihe von Anreizen und Regulierungen ersetzen. Wenige Fachleute glauben aber, dass Kanada damit seinen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen genügen würde - zumal Scheer einen "nationalen Energiekorridor" plant. Durch diesen sollen Öl und Gas aus Alberta und Scheers Heimatprovinz Saskatchewan an die Atlantik- und die Pazifikküste transportiert werden.
Scheers Vorhaben sollten ebensowenig wie Obamas Lob über eines hinwegtäuschen: Beim Thema Klima ist Trudeau viel mehr Realpolitiker als sein internationales Image vermuten lässt. Der Premier gab 4,5 Milliarden kanadische Dollar (umgerechnet etwa 3,4 Milliarden US-Dollar) für den Kauf einer Pipeline aus, welche die Ölsandfelder in Alberta mit der Westküste des Landes verbindet.
Auch unter Trudeaus Klimaplan würde Kanada die Ziele von Paris nach jetzigem Stand verfehlen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn seine Regierung einen Wahlkampfvorschlag des Premiers umsetzt und zwei Milliarden neue Bäume pflanzt. Dennoch dürfte Trudeau mit der Untergrenze eine gute Basis geschaffen haben: Im Fall einer Wiederwahl könnte er den CO2-Mindestpreis über das Jahr 2022 hinaus weiter anheben.
"Was ist mit der Pipeline?"
Trotzdem macht die Klimapolitik des Regierungschefs ihn auch für Angriffe von links anfällig - und gefährdet seinen Rückhalt unter jungen Wählern. "Was ist mit der Pipeline?", riefen ihm Ende September junge Teilnehmer einer Klimademo zu, bei der Trudeau mitlief.
Umfragen zufolge ist die Unterstützung, die der Premier unter jungen Wählern erfährt, im Vergleich zum Wahlkampf 2015 deutlich zurückgegangen. Manche unter ihnen könnten ihre Stimme einer der Parteien links von Trudeaus Liberal Party geben: etwa den Grünen oder der New Democratic Party (NDP) mit ihrem charismatischen Chef Jagmeet Singh.

NDP-Chef Jagmeet Singh: Charismatiker links von Trudeau
Foto: Nathan Denette/The Canadian Press via APAndere junge Kanadier könnten der Wahl fernbleiben. "Wenn sie nicht aufkreuzen, könnte das die Lage sehr schnell verändern", warnte Anna Gainey in der "New York Times". Die frühere Parteichefin der Liberalen gilt als eine der Architektinnen hinter Trudeaus Aufstieg. Sie weist darauf hin, dass Menschen unter 35 inzwischen die größte Wählergruppe im Land ausmachen.
Trudeaus Image als liberaler Musterknabe ist angekratzt
Die Arbeitslosigkeit in Kanada ist niedrig; die Wirtschaft wächst, wenn auch moderat. Es ist ein Verdienst der Regierung Trudeau, dass auch die Trump-Präsidentschaft daran nichts geändert hat - trotz persönlicher Attacken gegen den Premier und eines protektionistischen Wirtschaftskurses des US-Präsidenten. Das zeigt nicht zuletzt das Nafta-Nachfolgeabkommen USMCA.
Auch konnte Trudeau mit der Legalisierung von Marihuana und der Aufnahme von Flüchtlingen bei der linksliberalen Basis punkten. Sein Image als progressiver Musterknabe hat im Lauf seiner ersten Amtszeit dennoch beträchtlichen Schaden genommen. Das liegt nicht nur am Pipeline-Deal, sondern auch an zwei Skandalen:
- Eine Ethikkommission des Parlaments in Ottawa kam im August zu dem Schluss, dass Trudeau im Bestechungsfall um die Firma SNC-Lavalin versucht habe, die Ermittlungen der damaligen Justizministerin, Jody Wilson-Raybould, auf unangemessene Weise zu beeinflussen. Wilson-Raybould war die erste indigene Frau auf dem Posten. Bessere Beziehungen zu den First Nations, den Ureinwohnern Kanadas, hatten 2015 ebenso wie ein betont feministisches Profil zu den Säulen der Kandidatur Trudeaus gezählt. (Mehr zu dem Fall lesen Sie hier.)
- Im September wurde dann ein Foto aus dem Jahr 2001 öffentlich, das Trudeau auf einem Kostümball mit Turban und dunkler Gesichtsbemalung zeigt.
In beiden Fällen entschuldigte sich der Premier. Sein Verhalten nährte dennoch die Heucheleivorwürfe seines konservativen Herausforderers Scheer. In Sachfragen hingegen sind die Unterschiede zwischen den beiden - von der Klimapolitik abgesehen - nicht groß. Der gläubige Katholik Scheer steht der gleichgeschlechtlichen Ehe skeptisch gegenüber, will an ihrer Legalität aber nichts ändern.
In Umfragen lagen Scheers Konservative und Trudeaus Liberale zuletzt gleichauf. Wegen des relativen Mehrheitswahlrechts halten Demoskopen es derzeit aber für wahrscheinlicher, dass die Liberalen mehr Parlamentssitze holen. Weil beide Parteien von der absoluten Mehrheit von 170 Sitzen weit entfernt scheinen, gilt die Bildung einer Minderheitsregierung als wahrscheinlich.