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Kairouan: Hochburg der Extremisten in Tunesien

Foto: Hasnain Kazim

Kairouan in Tunesien Die Hochburg der Salafisten

Kairouan war einst Ort der islamischen Gelehrsamkeit, heute ist es Hochburg der Salafisten in Tunesien. Hier lebte der Attentäter, der am Freitag 38 Menschen erschoss. Er ist nur ein Beispiel für die Radikalisierung eines Landes, das bislang als Vorbild galt.

Der Mann kriegt sich vor Wut nicht ein. Er fuchtelt mit den Armen, brüllt herum, mal auf Arabisch, mal auf Französisch, und versucht, die Reporter zu verscheuchen. "Wir sind keine Terroristen! Hört auf, unsere schöne Stadt Kairouan schlechtzumachen!" Er steht vor seinem Haus, direkt neben der Dreizimmerwohnung, in dem Saifuddin Reezgui in einer Wohngemeinschaft mit ein paar anderen jungen Männern gelebt hat.

Reezgui, 24, ist der Attentäter, der am Freitagmittag im 50 Kilometer weiter östlichen Touristenort Sousse 38 Menschen erschossen hat. Inzwischen gehen die Sicherheitskräfte in Tunesien davon aus, dass er ein Einzeltäter war. Andere Männer, die festgenommen worden waren, sind inzwischen wieder frei.

Reezgui feuerte mit einer Kalaschnikow gezielt auf Touristen auf den Strandliegen, drang dann vor ins Hotel Imperial Marhaba, schoss dort weiter auf Menschen im Swimmingpool, in der Hotellobby und auf dem Parkplatz. Dann kehrte er um und flüchtete. In einer Seitengasse wurde er von Sicherheitskräften gestellt und erschossen.

Ein Breakdancer in westlicher Kleidung

Ein unauffälliger Mann, ohne Vorstrafen, lange Haare, glattrasiert, westliche Kleidung tragend. Im Internet kursieren Videos, die ihn als Breakdancer zeigen, lachend, freundlich. "Ich habe ihn ein paar Mal gesehen, ein unauffälliger, netter Kerl", sagt Mohammed Mejbri, ein weiterer Nachbar. "Halt doch endlich deinen Mund, die Journalisten sollen abhauen", blafft ihn der wütende Nachbar an. "Du beschmutzt nicht nur Tunesien, du beschmutzt den Islam, wenn du mit diesen Leuten redest!"

Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) veröffentlicht auf Twitter Fotos von ihm und nennt ihn Abu Yahya al-Qayrawani. Qayrawani bezieht sich auf die Stadt, in der Reezgui, Sohn eines Arbeiters, die letzten ein, zwei Jahre gelebt hat. Hier soll er eine Ausbildung zum Elektrotechniker gemacht haben. "Aber er stammt nicht aus Kairouan", betont der aufgebrachte Nachbar. "Er ist keiner von uns!"

Die Große Moschee in Kairouan ist eine der ältesten der Welt, vermutlich im Jahr 671 gebaut. Die Stadt, gegründet von islamischen Eroberern kurz nach Entstehung des Islam, galt ab dem 11. Jahrhundert als ein Zentrum der islamischen Gelehrsamkeit. Mehrere Hundert Moscheen hat der Ort heute, bei 120.000 Einwohnern. Überall entstehen weitere Gotteshäuser.

Mit der Demokratie kam auch die Religiosität

Unter Diktator Zine al-Abidine Ben Ali wurden die Religiösen unterdrückt. Als der Arabische Frühling in Tunesien begann und Ben Ali im Januar 2011 flüchten musste, zog mit der Demokratie auch eine neue Religiosität ein. Gruppen, die früher nur im Untergrund existierten, verbreiteten nun offen radikale Gedanken von einem Kalifat, von religiöser Indoktrination und Dschihad.

Kairouan wurde Hochburg der Salafisten. Die terroristische Bewegung Ansar al-Scharia hielt hier eine öffentliche Versammlung vor der Großen Moschee ab und ließ die schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis wehen, jenes Symbol, das heute der IS benutzt.

Der Westen sah, dass Tunesien sich, anders als Libyen, Ägypten oder Syrien, demokratisch und stabil zu entwickeln schien, und versuchte zu ignorieren, dass auch die radikalen Religiösen Zulauf hatten. Bei der ersten Wahl nach dem Umsturz siegte die Nahda-Partei, die man im Westen "gemäßigt islamistisch" nannte, in der Hoffnung, dass da eine irgendwie demokratisch akzeptable Kraft heranwuchs. Zwar bemühte sie sich tatsächlich, Brücken zu schlagen zwischen westlichen und islamischen Werten, doch ließen Teile der Partei keinen Zweifel daran, dass ihnen an einer Radikalisierung der Jugend gelegen war.

"Hauptstadt des Extremismus in Nordafrika"

Aus keinem anderen Land stammen so viele islamistische Kämpfer im Irak und in Syrien wie aus Tunesien. Schätzungen zufolge sind es mehr als 3000, und weitere junge Tunesier kämpfen im benachbarten Libyen. Vor allem in den Gefängnissen verbreitet sich radikales Gedankengut, nicht zuletzt durch inhaftierte Dschihadisten. Jetzt steht der Vorwurf im Raum, dass besonders viele in Kairouan radikalisiert worden sein sollen und dass die Stadt die "Hauptstadt des Extremismus in Nordafrika" sein soll.

"Wir sind hier zwar religiöser als in anderen Städten Tunesiens, aber wir sind keine Extremisten", hält Mejbri dagegen. "Hier kann man überall Alkohol kaufen. Wir finden das nicht gut, aber letztlich soll's doch jeder halten, wie er will." Daraus, dass Reezgui zum Massenmörder wurde, dürfe man keine Rückschlüsse auf den Rest der Bevölkerung von Kairouan schließen. Allerdings sei richtig, dass es in Kairouan einige Salafisten gebe, die den Islam streng interpretierten, insbesondere in der Moschee, die Reezgui regelmäßig besucht habe.

Die Menschen in der Stadt räumen ein, dass sie enttäuscht sind von der Entwicklung Tunesiens seit dem Sturz Ben Alis. "Der jetzige Präsident ist steinalt", sagt Ammar, ein Student, der ein paar Straßen weiter lebt. "Der repräsentiert doch nur die alte Machtelite. So ein alter Knacker hat doch keine Ahnung von unserem Leben", sagt er.

Enttäuschte Jugend

Die Jugend, die die Revolution 2011 vorantrieb, ist enttäuscht von Präsident Beji Caid Essebsi, einem 88-Jährigen, der schon dem Regime von Ben Ali und sogar dessen Vorgänger diente. Die wirtschaftliche Lage hat sich in den vergangenen vier Jahren verschlechtert, sodass viele Jugendlichen inzwischen davon träumen, nach Europa zu flüchten. Mehrere Zehntausend versuchen es jedes Jahr. Und einige Tausend wenden sich den Radikalen zu, darunter allerdings auch Jugendliche aus gutbürgerlichen Familien, was es schwierig macht, die Radikalisierung allein mit Armut zu erklären.

"Das Attentat ist nicht nur ein Angriff auf westliche Touristen, es ist auch ein Angriff auf westliche Werte", sagt Hardy Ostry, der das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis leitet. "Tunesien hat sich in den Sechzigerjahren, kurz nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft, für den Tourismus und damit für Austausch, Modernität und Demokratie entschieden. All das wird nun in Frage gestellt."

Die Menschen in Kairouan wollen sich zu dem Thema nicht weiter äußern. Demokratie sei "ganz okay", sagt der Imam einer kleinen Moschee am Stadtrand von Kairouan, aber jede Herrschaftsform müsse "in Übereinstimmung mit dem Islam" stehen. Und da, sagt er, sei Demokratie nicht die einzig denkbare Lösung.

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