
Libyen: Rebellen stürmen Richtung Westen
Kampf gegen Gaddafi Rebellen überrennen Libyens Küstenstädte
Tripolis - Der Vormarsch der libyschen Rebellen scheint unaufhaltsam, sie erobern auf ihrem Weg gen Westen Stadt um Stadt: Nachdem die Regimegegner am Samstag Adschdabija unter ihre Kontrolle gebracht haben und daraufhin Brega einnahmen, meldete die britische BBC am Sonntagmittag, dass nun auch Ras Lanuf, der wichtigste Ölhafen Libyens, in der Hand der Gaddafi-Gegner ist.
Ras Lanuf liegt rund 120 Kilometer westlich von Brega. Die Regierungstruppen hatten die Stadt am 12. März nach tagelangen Kämpfen mit den Aufständischen eingenommen. Nun wurde sie offenbar zurückerobert.
Die nächste große Stadt auf der Route der Rebellen gen Westen ist Sirte, die von den Regimetruppen kontrollierte Geburtsstadt des verhassten Diktators Gaddafi. Würden die Rebellen auch Sirte einnehmen, könnte dies ein entscheidender Sieg im Kampf gegen Gaddafi werden.
Die Gaddafi-Truppen befinden sich derzeit auf einem eiligen Rückzug in Richtung Sirte, nachdem die westliche Militärallianz in der Nacht zum Samstag den Rebellen mit massiven Luftangriffen zur Eroberung Adschdabijas verholfen hatte. Auch die aus Ras Lanuf vertriebenen Soldaten sollen auf dem Weg nach Sirte sein - siehe Karte:
Der Regimegegner Samir Nega sagte der Nachrichtenagentur Reuters auf die Frage, was mit den Soldaten von Gaddafi passiert sei, als Ras Lanuf eingenommen wurde: "Sie sind weggerannt, Gaddafis Truppen gehen nach Sirte."
Nach der Einnahme von Ras Lanuf stießen die Rebellen am Sonntag nach Berichten der Nachrichtenagenturen AFP und Reuters sogar bis ins zwölf Kilometer weiter westlich gelegene Ben Dschawad vor. Mit der Rückeroberung von Ben Dschawad stehen die Rebellenverbände damit wieder soweit westlich wie vor der am 6. März gestarteten Gegenoffensive der Gaddafi-Truppen.
Ölexporte bald unter Rebellenkontrolle?
In Ras Lanuf brachten die Rebellen auch die dortigen Raffinerie-Anlagen unter ihre Kontrolle und damit nach Brega einen weiteren wichtigen Exportpunkt für libysches Öl. In beiden Orten wurde ein großer Teil der libyschen Ölexporte in Höhe von 1,5 Millionen Barrel pro Tag produziert. Seit dem Beginn der Unruhen am 15. Februar wurde die Produktion praktisch eingestellt. Die Aufständischen sind nach Ansicht von Großbritanniens Verteidigungsminister Liam Fox bald in der Lage, die Kontrolle über die Ölexporte des Landes zu übernehmen. Damit könnten sie die "politische Dynamik" des Konfliktes entscheidend ändern, sagte Fox am Sonntag in einem Interview der BBC.
Den Boden für das schnelle Vorrücken der militärisch unterlegenen Rebellen - von Adschdabija nach Ras Lanuf sind es 210 Kilometer - bereitete die westliche Militärkoalition mit weiteren Bombardements. Wie das Pentagon in Washington mitteilte, flog die Koalition unter Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens am Samstag insgesamt 160 Einsätze; 96 davon waren Angriffe, der Rest galt der Überwachung des Flugverbots.
In Misrata im Westen des Landes zerstörte die französische Luftwaffe nach Angaben des Generalstabs in Paris "mindestens" fünf Kampfflugzeuge und zwei Hubschrauber der libyschen Armee. Gaddafi-Truppen bombardierten die Stadt am Samstag nach Angaben der Rebellen erneut. "Es gab Tote und Verletzte", sagte ein Rebellensprecher. Eine Opferzahl nannte er nicht. Ein von AFP kontaktierter Arzt in Misrata sprach von drei Toten am Samstag; damit stiege die Zahl der seit dem 18. März in der drittgrößten Stadt des Landes getöteten Menschen auf 117.
Italiens Außenminister spricht von Exil für Gaddafi
Ziel der internationalen Luftangriffe war auch die Straße zwischen Adschdabija und Sirte, wie ein Sprecher der Führung in Tripolis sagte. "Nach unserer Einschätzung sind zahlreiche Zivilisten, darunter Familien, die im Auto vor den Luftangriffen flohen, getötet worden." Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es nicht. Der Gaddafi-Sprecher forderte einen sofortigen Stopp der Angriffe und eine Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrats zum Libyen-Konflikt.
Nachdem sich die Nato am Donnerstag geeinigt hatte, die Flugverbotszone über Libyen zu überwachen, aber von offensiven Angriffen abzusehen, wollten die 28 Botschafter der Allianz am Sonntagabend über eine Übernahme des gesamten Einsatzes entscheiden. Am Dienstag treffen sich zudem die Nato-Außenminister in London.
Als Ausweg aus dem Konflikt brachte Italiens Außenminister Franco Frattini ein Exil für Gaddafi ins Gespräch. Italien habe einen Plan und werde "sehen, ob daraus ein deutsch-italienischer Vorschlag" werden könne, sagte Frattini der Zeitung "La Repubblica" vom Sonntag. Er wolle den Plan, der unter anderem einen von der Uno überwachten Waffenstillstand beinhalte, in London vorstellen. An dem Treffen wollen mehr als 35 Länder teilnehmen, darunter US-Außenministerin Hillary Clinton.
Papst Benedikt XVI. hat am Sonntag alle Beteiligten des Konflikts in Libyen zu einem Dialog aufgerufen. Ziel müsse es sein, den bewaffneten Einsatz zu beenden, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche vor Gläubigen auf dem Petersplatz.
Er bete für Harmonie in Libyen und Nordafrika, sagte der Papst weiter. Die immer dramatischeren Nachrichten aus Libyen verstärkten jedoch seine Sorge um die Sicherheit der Zivilbevölkerung. Benedikt zeigte sich außerdem besorgt über gewaltsame Zusammenstöße in anderen Ländern des Nahen Ostens in den vergangenen Tagen. Auf der Suche nach einem gerechten und brüderlichen Zusammenleben müsse der Weg des Dialogs und der Versöhnung Priorität haben, erklärte er.
Bereits am vergangenen Sonntag hatte der Papst die militärischen und politischen Führer aufgefordert, sich um die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Libyen zu bemühen. Er forderte aber kein sofortiges Ende der Luftangriffe der westlichen Alliierten.