Kampf um deutsche Köpfe 200 Einwohner, 150 Friseure
Osinów Dolny - Halina Langa ist stolz auf sich: "Ich bin eine Pionierin, ich war die erste." Damals, vor 13 Jahren, schoben sich jeden Tag mehr Autos aus Deutschland durch die Hauptstraße des Dörfchens Osinów Dolny. In der ersten Siedlung hinter der polnischen Grenze wuchsen die Verkaufsstände mit Zigaretten und Schnaps schnell zu einem richtigen Markt heran. "Freunde erzählten mir, dass die Deutschen immer wieder nach einem Friseur fragten", sagt Langa, damals Friseurin mit einem Meisterbrief im nahen Gryfino.
Zunächst pachtete die angehende Unternehmerin eine kleine alte Scheune und stand fortan von morgens früh um sieben hinter ihrem Frisierstuhl: "Der Deutsche ist ein früher Vogel." Der Andrang war überwältigend, bald schon heuerte Langa zwei Kolleginnen an und zog in einen größeren Geschäftsraum um.
Heute leitet sie ein Team von fünf Friseurinnen. Meistens steht sie ganz hinten rechts in dem Großraumcontainer, den sie vor zwei Jahren zum Salon Halina ausgebaut hat. Die Bluse der Chefin harmoniert mit den apricotfarbenen Wänden, zur Schere greift sie nur noch, wenn der Ansturm sonst nicht mehr zu bewältigen ist.
"Billig, fachkundig, schnell" werden die Haare hier in Form gebracht, verspricht die deutsche Aufschrift neben der Eingangstür. Weinlaub aus schrill-grünem Plastik umrankt den Pfeiler in der Raummitte, deutsche Zeitschriften liegen auf den Tischen neben der Tür. "Momentschik warte, bitte", schnarrt es Neuankömmlingen entgegen. Für zehn Euro werden hier Dauerwellen gelegt, für drei Euro Männerköpfe geschnitten und gefönt. Kräftiges Rot ist die Farbe der Saison.
Es ist Dienstag und Meisterin Langa, 58, muss aus ihrer Kommandoecke nur selten eingreifen. Die meisten Gäste wünschen das Standardprogramm und die Wartenden aus Bad Freienwalde oder xy achten selber genau darauf, in der richtigen Reihenfolge bedient zu werden. Langa hat im Laufe der Jahre passabel Deutsch gelernt. Ihre Angestellten verständigen sich per Handzeichen mit der Kundschaft.
Jeder Schuppen ein Friseurgeschäft
Treue Gäste können seit neuestem ihre Besuche in einem Bonusheft vermerken lassen. Der elfte Haarschnitt ist dann gratis. Solche Werbeaktionen sind notwendig geworden, weil inzwischen ein Kampf um die Köpfe der Deutschen entbrannt ist, die Konkurrenz drückt mächtig auf die Preise: Mittlerweile zählt Osinów Dolny 35 Salons, auf die 200 Einwohner des Fleckens kommen 150 Friseure. Aus der ganzen Wojwodschaft eilen die Coiffeure morgens heran, jeder Schuppen beherbergt ein Friseurgeschäft.
Das Arbeitsamt in der Kreisstadt Chojna offeriert Arbeitslosen Ausbildungskurse mit Schere, Kamm und Föhn, denn der Andrang der Deutschen lässt noch immer nicht nach. Dafür sinkt die Qualität des Handwerks, klagt Halina Langa: "Hier machen Leute Salons auf, die früher Bauern oder Schlachter waren. Die haben keine Ahnung. Dabei braucht doch mindestens die Chefin den gewissen Blick."
Wladyslawa Stefanowicz ist so ein Neuling in der Branche. Als die Deutschen kamen, hatte sie zuerst auf Fleischwaren gesetzt. "Aber das ist kompliziert, die Ware verdirbt. Im Friseurbetrieb vergammelt nichts." Seit einigen Jahren betreibt Stefanowicz den Salon Agatka, benannt nach ihrer Enkelin. Jola und Zaneta schneiden für sie, die Vornamen haben die beiden jungen Angestellten in blauen Abzieh-Buchstaben auf ihre Spiegel geklebt. Stefanowicz, eine stämmige Frau Ende 40, ist nicht nur Unternehmerin, sondern auch "soltys". Das Wort leitet sich vom deutschen Wort Schultheiss ab, Frau Stefanowicz ist Gemeindevorsteherin.
Gartenzwerge und rote Herzen
Es ist ein seltsames Dorf, das sie da leitet. "Billige Zigaretten", "sehr billiges Gemüse", "Garten Zwerge" - bunte, zumeist selbstgefertigte Schilder preisen die Ware, die in zahllosen schäbigen Blech- und Bretterbuden entlang der Straße feilgeboten wird. Die Gemeinde hat sich ganz auf die Schnäppchenjäger aus dem Westen eingestellt: Der Parkplatz ist planiert, Wächter winken die Autos ein. Für das Essen sorgen billige Imbisse. Über der Holzdekortür des "Eden", einem orangefarbenen Flachbau mit verhängten Fenstern gleich links am Ortseingang, blinkt ein rotes Herz, "24 h geöffnet".
"Wir haben null Prozent Arbeitslosigkeit", freut sich Stefanowicz. "Es lebt sich leichter, seit die Deutschen kommen. Sie haben uns zur Hauptstadt der Friseure gemacht." 5000 deutsche Autos täglich drängen zur Hochsaison von der Oder her durch Osinów nach Osten. Trotzdem blickt sie keineswegs voller Optimismus in die Zukunft, nicht immer werden polnische Stundenlöhne so niedrig bleiben. Und noch etwas treibt die Bürgermeisterin um: "Wenn der Euro in Polen eingeführt wird, ist es mit dem Aufschwung hier vorbei." Das glauben auch die meisten Einwohner von Osinów Dolny. Dann werde in Polen alles teurer und die Deutschen würden ausbleiben.
Der Euro dräut
Eine merkwürdige Befürchtung, denn in Wahrheit ist die europäische Währung längst das einzige Zahlungsmittel auf dem Basar, in den beiden Puffs und bei den Friseuren von Osinów. Kein Preis ist mehr in Zloty ausgezeichnet. "Kann man zahlen in Euro", werben die Tafeln vor den Geschäften.
Im Salon Halina erhebt sich eine zufriedene Kundin und wirft einen Blick in den Spiegel. "Sieht besser aus als vorher", sagt sie und legt einen 20-Euro-Schein auf den Tresen. Halina Langa gibt zehn Euro heraus, Zloty wechselt sie schon lange nicht mehr. Die Kundin kommt seit Jahren und ist überzeugt: "In Polen geht doch vieles irgendwie schneller als bei uns."
Wenn der Euro dann offiziell kommt, will Halina Langa in Rente gehen. Und sollte das Geschäft wider Erwarten trotzdem noch laufen, wird einer ihrer beider Söhne den Salon Halina übernehmen. Sie eifern dem Erfolg ihrer Mutter heute schon nach: Der eine hat sich im nahen Gryfino als Friseur niedergelassen, der andere ein paar Kilometer nördlich in Krasnik Dolny. Sein Salon hat einen deutlichen Standortvorteil - er liegt nur 200 Meter von der Grenze zu Deutschland entfernt.