
US-Republikaner: Wüste Schlacht um die Kandidatur
Kandidatenkür der Republikaner Kampf um die Seele Amerikas
Sein Haar ist ungekämmt. Er hat tiefe, dunkle Ringe unter den Augen. Rick Santorum ist verdammt müde. Er befindet sich in Derry, New Hampshire, es sind keine 24 Stunden mehr bis zur Abstimmung über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Santorum läuft durch "Mary Ann's Diner", einen dieser Fünfziger-Jahre-Coffeeshops, die er so liebt, weil sie nicht nur das alte Amerika symbolisieren, sondern vor allem seine Retro-Ideologie. Der 53-Jährige trifft ein paar Wähler. Und dann trifft er dieses CNN-Team. Da verliert er die Nerven.
Der Reporter fragt nach seiner Bemerkung über Sozialhilfeempfänger, die für einiges Aufsehen gesorgt hat. Santorum hatte gesagt, er wolle das Leben schwarzer Menschen nicht verbessern, "indem ich ihnen das Geld anderer gebe." Jetzt verfolgt ihn dieser Satz bis hierher ins schöne Retro-Amerika. "Das ist doch absurd!", empört er sich. Er habe "das Wort schwarz nicht gesagt, habe einen Knoten in der Zunge gehabt. Wie "traurig"es sei, dass CNN das so hochspiele: "Mensch, Leute", klagt Santorum und flüchtet sich in sein Auto.
Eben noch der erzkonservative Überflieger von Iowa, scheint Santorum in New Hampshire an seine Grenzen zu stoßen. Wenn aber einer schon bei der zweiten Vorwahl schwächelt, wie soll er dann Barack Obama im Herbst schlagen können?
Mehr und mehr schiebt sich diese Frage ins Zentrum des Wahlkampfs: Welcher der sechs Kandidaten könnte Obamas gefährlichster Gegner sein? Und ist überhaupt einer ernsthaft wählbar?
Theoretisch haben die Republikaner ziemlich gute Aussichten. Obama hat mit einer Wirtschaftskrise und Stimmungslage zu kämpfen, die an die Zeit des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter erinnern. Der verlor sein Amt 1981 nach nur einer Amtszeit. Und ist dieser Tage ein gern angeführtes Beispiel in den Reihen der Republikaner. Sie hoffen, Obama vor allem die weißen Wähler der drangsalierten Mittelklasse abspenstig zu machen. So zeichnen alle Kandidaten Obama als Versager, der die Wirtschaft nicht in Gang bekommt, der die USA zum sozialistischen Wohlfahrtsstaat à la Europa umbauen will. "Dieser Kampf", sagt Mitt Romney gern, "ist ein Kampf um die Seele Amerikas."
Soweit die Theorie.
In der Praxis braucht es allerdings auch einen passenden Kandidaten, um Obama zu schlagen. Lange haben die republikanischen Parteigranden den Multimillionär Romney in dieser Rolle gesehen: als erfolgreichen Geschäftsmann, der die Wirtschaft wieder in Gang bringt. Doch seit einigen Tagen wird ausgerechnet Romneys Vergangenheit als Chef der Investmentfirma Bain Capital gegen ihn ins Feld geführt.
Vom "Job Creator" zum Arbeitsplatzvernichter
Wo sich der 64-Jährige selbst feiert, weil er netto 100.000 Jobs geschaffen haben will, werden jetzt jene Unternehmen in Erinnerung gerufen, die Romneys Firma in ihrem Profitstreben zerlegt oder zerstört hat. Der selbsterklärte "Job Creator" als Arbeitsplatzvernichter. Newt Gingrich sagt, Bain Capital habe "offenbar Unternehmen ausgeplündert, Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben und Millionen von Dollar abkassiert".
Romneys Kontrahenten rüsten fleißig auf, um ihn von einem Durchmarsch bei den Vorwahlen in New Hampshire und South Carolina abzuhalten.
Da ist vor allem jene Millionen-Dollar-Spendergruppe namens "Winning our Future", eine sogenannte Super-PAC-Lobbygruppe, die Gingrich nahe steht. 3,4 Millionen Dollar stehen für die Schlacht in South Carolina bereit, um Romney mit TV-Spots in die Ecke zu treiben. Seit dem Wochenende läuft auf YouTube bereits der Trailer zu einem 27-Minuten-Anti-Romney-Film: "King of Bain." Es ist Hochglanz-Bashing. Romney habe Millionenprofite gemacht, "weil er bereit war, alles zu tun", heißt es da. "Skrupelloser als die Wall Street" habe er Jobs vernichtet. Es kommen Leute zu Wort, die Romney vermeintlich in die Arbeitslosigkeit getrieben hat.
Wie wirksam das Instrument dieser "Super-PACs" ist, hat eine Romney nahe stehende Organisation gerade in Iowa bewiesen. Für 2,3 Millionen Dollar wurden Anzeigen geschaltet, die den zwischenzeitlichen Spitzenreiter Gingrich madig machen sollten. Mit Erfolg.
Nun könnte es Romney treffen. Schon bröckeln dessen Umfragewerte in New Hampshire. Hatte er zeitweise einen komfortablen 30-Punkte-Vorsprung auf seine Verfolger, so kommt er in einer aktuellen Befragung nur noch auf 33 Prozent. Es folgen der Radikal-Liberale Ron Paul (20 Prozent), Jon Huntsman (13), Gingrich (elf), Santorum (zehn) und Texas-Gouverneur Rick Perry (ein Prozent).
Und dann rutscht Romney am Montag auch noch ein Spruch raus, den er bereuen dürfte: "Ich mag die Möglichkeit, Leute feuern zu können." Er meint das mit Blick auf Versicherungsunternehmen, auf deren Dienste man verzichten können müsse, wenn der Service nicht stimme. Aber der Satz des Bain-Gründers entwickelt rasch eine Eigendynamik. Sofort verbreiten ihn auch Obamas Leute per Twitter.
Huntsman? "Ist mein Lieblingskandidat"
Romneys Patzer stärken derweil einen parteiinternen Rivalen, den bisher kaum jemand auf der Rechnung hat - weil er zu vernünftig, zu gebildet, zu nachdenklich scheint für die nach rechts gerückten Republikaner des Jahres 2012: Jon Huntsman, Obamas Ex-Botschafter in China. Der Mann wird in New-Hampshire-Umfragen plötzlich für den dritten oder gar zweiten Platz gehandelt. So viel ist klar: Er wäre eine echte Gefahr für den Präsidenten, weil er die Wähler der Mitte anspricht.
Aber hat er auch eine Chance, die Kandidatur der Republikaner zu erringen?
Bis vor zwei Tagen noch hat der 51-Jährige einen beinahe unbeachteten Wahlkampf geführt. Als er aber am Montag an der "Crosby's Bakery" in Nashua vorfährt, erwartet ihn schon ein Pulk aus TV-Teams. "Er ist mein Lieblingskandidat", sagt die Lehrerin Joan Levine: "Er ist der Wählbarste von allen und hätte die besten Chancen gegen Obama."
Der Wählbarste - da ist das Motiv. Und Huntsman füllt die Rolle perfekt aus, macht auf präsidial. "Wir müssen als Amerikaner zusammenfinden", beschwört er die Angestellten hinten in der Backstube. "Um Barack Obama zu schlagen, musst du wählbar sein", sagt er. "Mathematisch musst du einige Leute von dir überzeugen, die 2008 für Obama gestimmt haben. Du musst weit über deine eigene Partei hinausreichen und Unabhängige, ja sogar einige Demokraten auf deine Seite bringen."
Dass nicht Romney sondern er diese Fähigkeit besitzt, macht Huntsman unmissverständlich klar: "Romney macht es Spaß, Leute zu feuern. Mir macht es Spaß, Arbeitsplätze zu schaffen."
Polit-Opa Paul könnte Obama nützlich sein
Dennoch: Es ist unwahrscheinlich, dass Huntsman New Hampshire gewinnt. Aber einen Achtungserfolg könnte er erringen - und Romney angeschlagen nach South Carolina schicken. Das hätte er dann auch Gingrichs Offensive zu verdanken. Und Gingrich selbst? Er wäre ein dankbarer Gegner für Obama, schleppt er doch eine Menge politischen Ballast mit sich: Gingrich hat nach seiner Polit-Karriere in den Neunzigern Millionen gemacht mit Lobbyismus; und seine gottesfürchtigen Reden passen nicht zu seinen mittlerweile drei Ehen.
Dennoch mangelt es dem republikanischen Urgestein nicht an Selbstbewusstsein. Bei einem Besuch des Rüstungskonzerns "BAE Systems" in Nashua kommt er ausführlich auf die Frage der Wählbarkeit zu sprechen. Reagan, sagt Gingrich, habe gewusst, dass er auch Demokraten und Unabhängige von seiner Politik überzeugen müsse. Und so habe auch er, Gingrich, als Sprecher des Repräsentantenhauses in den Neunzigern mit Präsident Bill Clinton zusammengearbeitet. Heile, überparteiliche Welt? Nun ja. Dass er zwischenzeitlich den Haushalt des Präsidenten blockierte, übergeht Newt Gingrich in New Hampshire geflissentlich.
Bleibt Ron Paul. Die Anhängerschaft des Polit-Opas ist zwar engagiert, aber in der Minderzahl. Möglicherweise könnte der Alte Obama sogar helfen: Wenn er, was nicht ausgeschlossen ist, nach seinem Scheitern in den republikanischen Vorwahlen im Herbst als unabhängiger Präsidentschaftskandidat antritt - und Stimmen von den Republikanern abzieht. Dann wäre er Barack Obama der nützlichste Gegner.