Humanitäre Katastrophe in Griechenland
»Babys werden in nassen Zelten von Ratten gebissen«
In griechischen Flüchtlingslagern herrschen laut Entwicklungsminister Müller grauenhafte Zustände. Nach der Vergewaltigung eines Kleinkinds kämpfen Hilfsorganisationen nun gegen eine Tetanuswelle.
Zeltlager für Geflüchtete in Kara Tepe auf der Insel Lesbos
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Panagiotis Balaskas / dpa
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller hat die katastrophalen Bedingungen in einem griechischen Camp für Flüchtlinge angeprangert. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen habe eine Tetanus-Impfaktion starten müssen, »weil Babys in nassen Zelten von Ratten gebissen werden«, sagte Müller der »Passauer Neuen Presse«. »Das sind entsetzliche Zustände – mitten in Europa.«
Nach dem Brand in Moria auf der Insel Lesbos sei die Hoffnung gewesen, »dass die schrecklichen Zustände« in den Lagern verbessert würden, sagte Müller. »Aber die Wirklichkeit sieht leider anders aus.« Dabei stünden den Geflüchteten die härtesten Winterwochen erst noch bevor.
Das Ministerium teilte auf SPIEGEL-Anfrage, man wolle »klarstellen, dass sich die vermehrten Rattenbisse an Kindern im Flüchtlingslager Vathy auf Samos ereignet haben«. Dort sei es zur Tetanus-Impfaktion von Ärzte ohne Grenzen gekommen. Die Lage sei aber sowohl in Kara Tepe auf Lesbos als auch in Vathy auf Samos weiterhin »dramatisch und besorgniserregend«, sagte ein Sprecher.
Erst am Freitag hatte die Organisation SOS-Kinderdörfer informiert, dass in dem Lager Kara Tepe Anfang der Woche ein dreijähriges Mädchen vergewaltigt worden sein soll. Das Kind wurde demnach am Montag bewusstlos und blutend in einem der Waschräume gefunden.
Müller sagte, besonders schlimm sei es für die Kinder, die in Flüchtlingslagern auf die Welt kämen. »Ich habe mit auf der Flucht vergewaltigten afrikanischen Frauen gesprochen, die auf dem nackten Boden saßen und auf die Geburt ihrer Kinder warteten. Ohne Hygiene oder ärztliche Versorgung«, berichtete er von einem Besuch im Flüchtlingslager Moria 2018. »So sollte kein Leben beginnen.«
Ein weiteres Problem sei, dass die Anerkennungsverfahren vor Ort viel zu lange dauerten. Die größeren Kinder hätten kaum Möglichkeiten, zur Schule zu gehen. »Wenn sich das nicht ändert, wächst hier mitten in Europa eine verlorene Generation auf.«
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version der Meldung hieß es, der deutsche Minister Müller habe berichtet, dass sich die Rattenbisse im Camp Kara Tepe auf Lesbos zugetragen hätten. Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis wies die Vorwürfe der Nachrichtenagentur dpa zufolge zurück. Auch eine deutsche Ärztin auf Lesbos konnte laut dpa solche Vorfälle nicht bestätigen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, auf deren Aussage sich Minister Müller bezieht, hat auf ihrer Webseite zwar von »menschenunwürdigen Bedingungen« und auch einer Rattenplage berichtet – aber auf der Insel Samos. Auf SPIEGEL-Anfrage stellte das Entwicklungshilfeministerium klar, dass die Rattenbisse sich im Lager Vathy auf Samos ereigneten. Wir haben dieses Statement in der Meldung ergänzt.