SPIEGEL ONLINE

Kataloniens Premier über den Bruch mit Spanien "Wir wollen unser Recht"

Die Katalanen wollen raus aus Spanien, sie trotzen der harten Reaktion aus Madrid. Hier spricht der katalanische Ministerpräsident Puigdemont über Ohrfeigen für sein Volk, die Zukunft des FC Barcelona - und den Zorn der EU.

Stichtag ist der 1. Oktober - für diesen Tag hat Kataloniens Regionalregierung ein Referendum über die Abspaltung von Spanien angekündigt. Ob und in welcher Form die Volksabstimmung zustande kommt, ist fraglich. Das spanische Verfassungsgericht nennt sie illegal. Und die spanische Regierung versucht sie mit aller Macht zu verhindern.

Den Separatisten geht es um mehr politische Macht und Selbstbestimmung. Die wirtschaftsstarke Region zahlt viel Geld an Madrid, wird aber aus Sicht der Separatisten im Gegenzug zu wenig gefördert. Die Regionalregierung beklagt zudem, dass sie zum Beispiel im Bereich Bildung Kompetenzen abgeben muss.

Fotostrecke

Proteste von Katalanen: Mit der Blume gegen den Staat

Foto: David Ramos

SPIEGEL ONLINE führte das Interview mit Carles Puigdemont am Dienstagnachmittag - wenige Stunden, bevor die spanische Militärpolizei in einer großangelegten Razzia in katalanischen Regierungsgebäuden Dokumente beschlagnahmte und gut ein Dutzend Menschen wegen Verdachts auf Vorbereitung eines illegalen Referendums verhaftete. Auf Nachfrage hieß es am Donnerstag, die Regionalregierung habe nach diesen Vorfällen nichts hinzuzufügen.


Zur Person
Foto: Christiane von Enzberg/ DER SPIEGEL

Carles Puigdemont, 54, ist seit Januar 2016 Ministerpräsident der spanischen Region Katalonien. Der ehemalige Journalist und Bürgermeister der Stadt Girona führt eine Koalition aus dem Parteienbündnis "Gemeinsam für das Ja" aus Konservativen, Liberalen und Linksrepublikanern sowie der linksradikalen Partei CUP an.

SPIEGEL ONLINE: Herr Puigdemont, Sie haben angekündigt, am 1. Oktober in Katalonien über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen zu lassen. Das Land hat gerade eine tiefe Wirtschaftskrise weitgehend überwunden. Gibt es keine wichtigeren Probleme?

Puigdemont: In dieser Logik dürften wir nie über unsere Unabhängigkeit abstimmen. Wenn es gut läuft, heißt es: "Wir dürfen nichts riskieren". Wenn es schlecht läuft, heißt es: "Jetzt müssen wir erst die Krise lösen". Es gibt immer eine Entschuldigung, dieses Problem nicht anzupacken. Aber es muss jetzt gelöst werden.

Foto: SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE: Noch vor wenigen Jahren wollte sich nur eine kleine Minderheit der Katalanen von Spanien abspalten. Heute sind 72 von 135 Abgeordneten im Regionalparlament für die Unabhängigkeit. Was hat sich verändert?

Puigdemont: Wir Katalanen wollen so respektiert werden, wie wir sind. 2006 haben Katalonien und der spanische Staat ein neues Autonomieabkommen vereinbart, das uns mehr Eigenständigkeit geben sollte. Unsere Bürger haben sich in einem Referendum dafür ausgesprochen, das spanische Parlament hat es abgesegnet. Aber 2010 hat das spanische Verfassungsgericht Teile für ungültig erklärt und das Abkommen zerstört. Es war eine Ohrfeige für das katalanische Volk. Und dann hat sich im Kopf vieler Menschen hier etwas verändert.

SPIEGEL ONLINE: Wer ist für Sie eigentlich Katalane?

Puigdemont: Der katalanische Nationalismus ist nicht ethnisch. Das ist unsere Stärke, darauf sind wir stolz. Katalonien ist ein Land der Einwanderer. 70 Prozent aller Katalanen haben mindestens ein Elternteil, das Wurzeln außerhalb unseres Landes hat. Es gibt viele Identitäten und Traditionen, sie widersprechen sich nicht. Wir stehen nicht für das alte Konzept: Ein Staat, eine Nation, eine Sprache, ein Volk. Katalane ist, wer hier lebt und arbeitet - und das auch will.

SPIEGEL ONLINE: Die Bürger haben bislang keine Wahlbenachrichtungen bekommen. Wo die Urnen stehen, ist auch unklar. Die Zentralregierung nennt die Abstimmung illegal, neun Millionen Wahlzettel sind beschlagnahmt. Kann ein Referendum, das unter so problematischen Bedingungen abgehalten wird, überhaupt demokratisch legitim sein?

Puigdemont: Am 1. Oktober werden die Wahlurnen aufgestellt sein und die Menschen wissen, wo sie abstimmen können. Wissen Sie, wir haben hier bei allen Wahlen und Referenden immer mindestens 20 Prozent Enthaltung. Und es kann sein, dass von den übrigen 80 Prozent ein Viertel nicht an diesem Referendum teilnimmt. Aber ich bin mir sicher, dass wir eine große Beteiligung sehen werden. Es geht um eine wichtige Frage. Und diejenigen, die nicht kommen, treffen damit auch eine Entscheidung.

SPIEGEL ONLINE: Einer Ihrer eigenen Minister hat Zweifel an der Durchführung des Referendums geäußert, Sie haben ihn entlassen. Wie hoch muss die Beteiligung sein, damit für Sie das Referendum bindend ist?

Puigdemont: Wir Unabhängigkeitsbefürworter haben eine klare Mehrheit im Parlament. Wir haben keine minimale Beteiligung festgelegt, die Gesetze sehen das nicht vor. Als Spanien vor einigen Jahren über die europäische Verfassung abgestimmt hat, haben nur 42 Prozent teilgenommen. Und niemand hat die Rechtmäßigkeit bestritten.

Puigdemont im Gespräch

Puigdemont im Gespräch

Foto: Christiane von Enzberg/ DER SPIEGEL

SPIEGEL ONLINE: Bislang reagiert der spanische Staat auf ihr angekündigtes Referendum ausschließlich mit Härte. Gerichtsurteile, Drohungen gegen Beamte, Razzien. Was würde passieren, wenn aus Madrid versöhnlichere Signale kämen?

Puigdemont: Ich glaube nicht daran. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben.

SPIEGEL ONLINE: Was passiert, wenn alles läuft, wie Sie es sich vorstellen? Wenn eine deutliche Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmt?

Puigdemont: Wir werden die Ergebnisse bekanntgeben und unsere Unabhängigkeit verkünden. Dann wird das Leben normal weitergehen. Wir werden Briefe an die Zentralregierung nach Madrid und nach Brüssel schreiben.

SPIEGEL ONLINE: Und dann? Sie treten nicht nur aus dem spanischen Staat aus, sondern müssten damit vielleicht auch die EU verlassen.

Puigdemont: Wir werden handeln wie ein normaler Staat. Wir haben kein Interesse an einem abrupten Bruch. Wir werden Übergangsgesetze verabschieden - und wir werden uns mit allen Beteiligten zusammensetzen, um über die Zukunft zu verhandeln. Früher haben Länder jahrelang Kriege gegeneinander geführt - und sich dann an einen Tisch gesetzt. Wir sind doch Brüder. Und wir alle haben gemeinsame Interessen.

SPIEGEL ONLINE: Warum sollte die EU eine katalanische Unabhängigkeit anerkennen? Die Franzosen etwa haben überhaupt kein Interesse daran, Separatismus zu fördern - schon aus Angst, dass die Korsen es dann als nächste probieren würden.

Puigdemont: Uns ist klar, dass wir in der Europäischen Union wenige Sympathien haben. Europas Politiker wollen keine Veränderungen von Staaten. Aber Europa hat sich immer verändert. Wir wollen, dass die Realität anerkannt wird.

SPIEGEL ONLINE: Die EU basiert auf der Kunst des Kompromisses. Sie wollen eine neue Realität schaffen. Damit gehen Sie ein großes Risiko ein.

Puigdemont: Es gibt Risiken, das stimmt. Aber dafür ist Politik da: um Probleme zu lösen. Was war die Reaktion auf die Deutsche Wiedervereinigung? Sie wurde selbstverständlich gutgeheißen. Wir sind Europäer, mehr als sieben Millionen europäische Bürger. Wir wollen unser Recht. Ich bin mir sicher, dass am Ende gute Verträge stehen werden.

SPIEGEL ONLINE: Katalonien ist innerhalb Spaniens ein großer Nettozahler. Geht es Ihnen nicht einfach nur ums Geld?

Puigdemont: Nein, so einfach ist es nicht. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung hat eine lange Tradition. Aber sicher: Wir zahlen acht Prozent unserer Wirtschaftsleistung an Madrid und bekommen dafür keine entsprechende Gegenleistung. Wir sind nicht unsolidarisch. Es gab viele Angebote von uns, darüber zu verhandeln. Wären sie angenommen worden, sähe die Situation heute anders aus.

SPIEGEL ONLINE: Was machen Sie selbst eigentlich nach dem Referendum? Wollen Sie erster Regierungschef des unabhängigen Katalonien werden? Und treten Sie ab, wenn Sie verlieren?

Puigdemont: Ich will wieder ein normales Len führen. Ich werde nicht mehr als Kandidat antreten. Egal ob das Referendum mit Sí oder No ausgeht. Eine neue Generation soll weitermachen.

SPIEGEL ONLINE: Und was passiert im Fall der Fälle mit dem FC Barcelona? Wird er weiter in der spanischen Liga spielen?

Puigdemont: Das muss dann verhandelt werden. Aber wenn Barça weiter in der spanischen Liga spielen will, wird der Verein dort spielen. Die Konkurrenz zwischen Madrid und Barça ist für den Fußball wichtig - und ein großes Geschäft. Niemand hat ein Interesse daran, dass es den Clásico nicht mehr gibt.

Anmerkung: In einer früheren Version des Interviews haben wir in einer Antwort das spanische Verb "querer" mit "lieben" übersetzt. Richtig muss es an dieser Stelle mit "wollen" übersetzt werden: "Katalane ist, wer hier lebt und arbeitet - und das auch will."

Video: Ausschreitungen in Katalonien

SPIEGEL ONLINE
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten