Madrid droht mit Zwangsmaßnahmen Wie es im Katalonien-Konflikt jetzt weitergeht

Demonstranten protestieren gegen die Unabhängigkeit Kataloniens
Foto: Santi Palacios/ dpaSeit 39 Jahren leben die Spanier mit dem Artikel 155 in ihrer Verfassung, ohne dass er jemals angewendet wurde. Er umfasst nur zwei Absätze, aber wegen seines Inhalts wird er auch als "Atombombe" bezeichnet. (Details dazu lesen Sie hier.) Diese Bombe will die Zentralregierung in Madrid nun gegen die Separatisten in Katalonien zünden, die ein weiteres Ultimatum für einen offiziellen Verzicht auf die Unabhängigkeit verstreichen ließen. Doch was heißt das konkret?
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy will den Senat am Samstag bitten, die Maßnahmen gegen die Regionalregierung in Barcelona zu billigen. Artikel 155 erlaubt es Madrid, der Regionalregierung die Autonomierechte zu entziehen, wenn sie sich nicht an die Verfassung hält und sich gegen die Interessen des ganzen Landes stellt. Welche Maßnahmen die Zentralregierung genau ergreifen will, ist noch nicht klar. Es kursieren drei Szenarien:
- Die Zentralregierung ordnet an, die wichtigsten Positionen in Verwaltung und Polizei neu zu besetzen.
- Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont wird abgesetzt.
- Eine Neuwahl des Regionalparlaments wird beschlossen. Die Zentralregierung würde bei diesem Szenario darauf setzen, dass in einem neuen Parlament weniger Anhänger eines unabhängigen Kataloniens vertreten wären. Schon jetzt steht Puigdemont einer Minderheitsregierung vor; bei den Wahlen 2015 bekamen die Anhänger der Abspaltung knapp 47 Prozent der Stimmen.

Bis aber tatsächlich über die Anwendung der "Atombombe" der spanischen Verfassung abgestimmt werden kann, müssen weitere Zwischenschritte eingehalten werden. Diese sind durch den Artikel 189 genau definiert: Die spanische Regierung muss zunächst eine schriftliche Begründung an den Senat schicken, warum sie den Artikel 155 anwenden will und welche Maßnahmen vorgesehen sind. Auch muss begründet werden, warum die Verhandlungen mit der autonomen Regierung scheiterten. Das Büro des Senats muss das Schriftstück anschließend an die Regionalregierung weiterleiten und eine gemeinsame Kommission einrichten.
Das letzte Wort hat der Senat
Die Kommission verlangt dann vom Präsidenten der Regionalregierung, in diesem Fall Puigdemont, dass er alle Dokumente und Nachweise einbringt und, falls er das für angemessen hält, einen Vertreter vorschlägt. Darauffolgend gibt die Kommission eine Einschätzung dazu ab, ob dem Willen der Regierung stattgegeben werden sollte. Sie kann auch Veränderungen der Maßnahmen vorschlagen. Das Senatsplenum wird diese Vorschläge und Einschätzungen in einem letzten Schritt vor der Abstimmung diskutieren.
Ende kommender Woche bereits könnte der spanische Senat, die zweite Kammer des Parlaments, zu einer solchen außerordentlichen Sondersitzung zusammenkommen. Er muss den von der Regierung beschlossenen Zwangsmaßnahmen mit absoluter Mehrheit zustimmen. Geht es nach Parteizugehörigkeit, dürfte das kein Problem sein: Im Senat, in dem Vertreter aller 17 Regionen Spaniens sitzen, gehören 147 der 264 Senatoren Rajoys Konservativen an. Die Verfassung gibt keinen zeitlichen Rahmen vor, in dem der Artikel 155 umgesetzt werden muss.
Barcelona hatte am 1. Oktober gegen den Willen Madrids und trotz eines Verbots durch das Verfassungsgericht ein "verbindliches Referendum" über die Unabhängigkeit abgehalten. Rund 90 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ein Ja für die Abspaltung von Spanien. Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei etwas mehr als 40 Prozent.
Experten bezweifeln, dass Madrid die Separatisten durch den Artikel 155 von ihrem Plan abbringen wird. Zudem hat sich die Regionalregierung schon mehrfach den Ansagen aus Madrid verweigert - so könnte es auch bei den Zwangsmaßnahmen laufen. Puigdemont drohen persönliche Konsequenzen: eine Anklage wegen Rebellion. Die Mehrheit des Regionalparlaments in Barcelona bereitet sich derweil darauf vor, die Unabhängigkeitserklärung zu verabschieden.