Mammutprozess Wie Spaniens Justiz Kataloniens "Rebellen" abstrafen will

Sie forderten die Unabhängigkeit Kataloniens, nun müssen sich zwölf Mitstreiter von Carles Puigdemont vor Gericht verantworten. Ihnen drohen lange Haftstrafen - und Spanien gravierende Folgen.
Katalonien-Separatisten Romeva (v.l.), Turull, Junqueras und Puigdemont

Katalonien-Separatisten Romeva (v.l.), Turull, Junqueras und Puigdemont

Foto: Albert Gea/ REUTERS

Wenn an diesem Dienstag in Spanien der große Strafprozess gegen die Separatisten aus Katalonien beginnt, sitzt der bekannteste Kopf der Unabhängigkeitsbewegung nicht mit auf der Anklagebank: Carles Puigdemont. Weil das Oberlandesgericht Schleswig den früheren katalanischen Regierungschef nur wegen möglicher Veruntreuung von Steuergeldern, nicht aber wegen des Hauptanklagepunkts "Rebelión" ausliefern wollte, verzichtete Spanien im vergangenen Jahr auf eine Auslieferung.

So müssen sich in den kommenden Wochen vor allem die Mitstreiter Puigdemonts vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid wegen Rebellion verantworten. Insgesamt stehen zwölf Männer und Frauen vor Gericht. Sicher ist: Der Mammutprozess wird gravierende Folgen haben - für Katalonien und ganz Spanien. Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Wer steht warum vor Gericht?

Zehn ehemaligen Mitgliedern der katalanischen Regionalregierung und den beiden Anführern der Bürgerbewegungen ANC und Omnium Cultural werden strafbare Handlungen vorgeworfen. Es geht vor allem um drei Ereignisse:

  • Die Proteste am 20. September 2017 gegen Razzien spanischer Sicherheitsorgane in katalanischen Ministern wegen Verdacht auf Vorbereitung eines verbotenen Referendums über die Abspaltung von Spanien.
  • Die Durchführung dieses Plebiszits am 1. Oktober.
  • Die ebenso verfassungswidrige Proklamation der Unabhängigkeit am 27. Oktober.

Angeklagt sind neben dem früheren katalanischen Vizeministerpräsidenten Oriol Junqueras unter anderem auch der frühere katalanische Außenminister Raul Romeva sowie die Ex-Chefs von ANC und Omnium Cultural, Jordi Sánchez und Jordi Cuixart.

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Foto: Pablo Blazquez Dominguez/ Getty Images

Wer wirft den Angeklagten welche strafbaren Handlungen vor?

Es gibt drei Anklagen:

  • Die spanische Staatsanwaltschaft macht neun der zwölf Angeklagten wegen Rebellion den Prozess. Laut spanischem Strafgesetzbuch müssten sich die Täter hierfür gegen den Staat "gewalttätig und öffentlich erheben", um etwa die Unabhängigkeit eines Teiles des Territoriums auszurufen. Für Junqueras fordert die Staatsanwaltschaft 25 Jahre Haft; für seine Mitstreiter 16 oder 17 Jahre. Obendrein sollen sich neun Angeklagte der Veruntreuung öffentlicher Gelder schuldig gemacht haben. Darauf stehen bis zu acht Jahre.
  • Die Anwaltschaft des Justizministeriums verklagt Junqueras und acht Mitstreiter wegen Aufruhr ("sedición") gegen die öffentliche Ordnung. Hierfür müssten sich die Täter "öffentlich und tumultartig" gegen das Gesetz und die Staatsgewalt erhoben haben. Junqueras und seinen Mistreitern drohen zwischen acht und zwölf Jahre Freiheitsentzug.
  • Hinter der dritten Anklage steht die Rechtsaußen-Partei Vox. Sie fordert, die Separatisten wegen Rebellion, Veruntreuung und Teilnahme an einer kriminellen Organisation zu verurteilen.
Carles Puigdemont

Carles Puigdemont

Foto: Francisco Seco/ DPA

Wie sind die Erfolgsaussichten der Klagen?

  • Ob der Hauptanklagepunkt Rebellion durchkommt, ist offen. Puigdemont und seine Gefolgsleute riefen ihre Anhänger 2017 gebetsmühlenartig dazu auf, keine Gewalt auszuüben. Das Gros physischer Gewalt ging von spanischen Sicherheitskräften aus. 120 Rechtsgelehrte aus verschiedenen Teilen Spaniens haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen den Anklagepunkt Rebellion ausgesprochen.
    "Für Rebellion gibt es kein Fundament, da fehlt der Gewalteinsatz", sagt Diego López Garrido, Mitverfasser des Rebellions-Paragrafen im Strafgesetzbuch, zum SPIEGEL.
  • Nachvollziehbarer ist der Anklagepunkt Aufruhr. Er verlangt nicht unbedingt Gewalteinsatz. Allerdings ist fraglich, ob die öffentliche Ordnung im "katalanischen Herbst" derart beeinträchtigt wurde, dass dies langjährige Haftstraften rechtfertigen würde. Die 120 spanischen Rechtsgelehrten halten auch diesen Anklagepunkt für überzogen.
  • Für Veruntreuung öffentlicher Gelder müssten die Täter dem öffentlichen Vermögen einen Schaden zugefügt haben. Hier hängt es entscheidend davon ab, welche Beweise die Ankläger liefern. Bislang fällt es ihnen schwer, den Separatisten grobe Gesetzesverstöße nachzuweisen.

Der Abschluss der Verfahren und die Urteile werden für Herbst erwartet. Die Verteidiger der Angeklagten wollen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, falls ihre Mandanten nicht freigesprochen werden.

Was bedeutet der Prozess für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung?

Das Verfahren könnte die "Independentistas" wieder zusammenschweißen und ihre Anhänger mobilisieren. Denn seit der gescheiterten Unabhängigkeitserklärung ist die Bewegung gespalten.

Maximalisten rund um Puigdemont und dessen Vertrauten, den katalanischen Regierungschef Quim Torra, fordern weiter die Unabhängigkeit - und zwar möglichst bald. Eine zweite, gemäßigte Gruppe ist dagegen vom harten Konfrontationskurs abgerückt. Sie will zunächst mehr Autonomie - auch weil unter den katalanischen Bürgern eine klare Mehrheit für die Trennung von Spanien fehlt. Der inhaftierte Junqueras wiederum fordert ein neues, von Madrid toleriertes, Unabhängigkeitsreferendum. Und dann gibt es noch die Radikalen: sie wollen die Republik sofort und setzen auf zivilen Ungehorsam wie die Besetzung von Mautstationen.

Einig sind sich die "Independentistas" nur, wenn es um die sogenannten politischen Gefangenen geht. So nennen sie die Angeklagten - von denen viele schon seit einem Jahr oder länger in Untersuchungshaft sitzen. "Wir werden kein Urteil akzeptieren, das nicht ein Freispruch der Angeklagten ist", sagt Torra.

Zum Prozessauftakt am Dienstag sowie am kommenden Wochenende soll es Kundgebungen geben. Und sollten die Richter Härte zeigen, etwa indem sie gegen Angeklagte lange Freiheitsstrafen wegen Rebellion verhängen, dürfte es in Katalonien wieder zu Massenprotesten wie im Herbst 2017 kommen.

Wie beeinflusst das Verfahren Spaniens Politik?

Am Dienstag beginnt in Madrid nicht nur der Prozess, sondern auch die Debatte im Parlament über den Staatshaushalt. Und da hat Premier Pedro Sánchez ein Problem. Denn um eine Mehrheit für seinen Budgetplan zu erringen, braucht der Sozialist Sánchez die Stimmen der beiden führenden katalanischen Regionalparteien. Die wird er kaum kriegen - obwohl der Plan vorsieht, die Zuschüsse für Barcelona um mindestens 700 Millionen Euro zu erhöhen. Aber die Forderung der Regionalparteien, Katalonien solle ein Recht auf Selbstbestimmung erhalten, ist für Madrid inakzeptabel.

Auch der Gerichtsprozess sorgt für Streit. Parteifreunde der Angeklagten beschweren sich, dass die Madrider Regierung weder die "politischen Gefangenen" freigelassen noch die Anklage abgemildert habe. Allerdings darf eine Regierung gar nicht derart in die Belange der Justiz eingreifen: es würde gegen die Gewaltenteilung verstoßen.

Sánchez Stellvertreterin Carmen Calvo hat die Gespräche mit den Katalanen abgebrochen. Die beiden Regionalparteien hätten nur noch bis zur Haushaltsvotum am Mittwoch Zeit, es sich anders zu überlegen, sagt sie. Andernfalls könne sich die Legislaturperiode verkürzen. Will heißen: Scheitert Sánchez mit seinem Budget, gibt es womöglich bald Neuwahlen.

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