Die massive Kritik von Untersuchungsrichter Lord Hutton an der Irak-Berichterstattung hat bei der BBC zu einem weiteren Rücktritt geführt. Nach Chef Gavyn Davies gab auch Generaldirektor Greg Dyke auf. Der Sender ist in der tiefsten Krise seiner 82-jährigen Geschichte.
London - Dyke ist gleichzeitig auch Chefredakteur der BBC. "Ich hoffe, dass jetzt ein Schlussstrich
unter die ganze Angelegenheit gezogen werden kann", sagte er. "Ich denke, mein Weggang ist sehr wichtig, um die journalistische
Unabhängigkeit der BBC zu bewahren". Dies sei auch
während der gesamten Affäre sein vorrangiges Ziel als Intendant
gewesen. Er habe immer im öffentlichen Interesse handeln wollen.
Bei dem Rundfunksender wird nicht ausgeschlossen, dass Reporter Andrew Gilligan ebenfalls seinen Hut nimmt. Er hatte mit seinem Bericht über ein
angeblich aufgebauschtes Geheimdienstdossier über eine Bedrohung
durch die im Irak vermuteten Massenvernichtungswaffen den Streit mit
der Regierung ausgelöst. Im Juli hatte sich daraufhin der
Waffenexperte David Kelly das Leben genommen, nachdem sein Name
als Quelle der BBC veröffentlicht wurde.
Die BBC befindet sich damit in der schwersten Krise ihrer 82-jährigen Geschichte. Die Führung des Sender kam am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen.
Huttons Bericht hatte
den innenpolitisch angeschlagenen Premierminister Tony Blair
deutlich entlastet. Der Umfang des De-Facto-Freispruchs für
Blair löste am Tag danach bei vielen politischen Kommentatoren
Erstaunen aus. Hutton hatte der BBC mangelnde Sorgfalt
vorgeworfen und Blair von dem Vorwurf entlastet, den Namen des
Waffenexperten öffentlich gemacht zu haben. Auch habe die
Regierung das Dossier über eine vom Irak ausgehende Gefahr nicht
aufgebauscht.
Ein Sprecher von Blair
bekräftige am Donnerstag, die BBC müsse sich entschuldigen. Sie habe
eine falsche und unbegründete Anschuldigung verbreitet. Dyke sagte,
nicht er, sondern der Vorstand müsse entscheiden, ob eine solche
Entschuldigung ausgesprochen werde.
Die staatlich finanzierte BBC, die immer vehement ihre
Unabhängigkeit verteidigt hat, läuft nun Gefahr, unter die
Aufsicht der Regulierungsbehörde Ofcom gestellt zu werden. Die
BBC-Charta, die ihr die Arbeitsrichtlinien vorgibt, läuft 2006
aus und eine Verlängerung wird derzeit im Parlament erörtert.
"Lord Huttons Schlussfolgerung wird bei der Prüfung der Charta
berücksichtigt werden", sagte Medien-Ministerin Tessa Jowell.
In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts NOP für die
Zeitung "Evening Standard" nannten es 56 Prozent der Befragten
unfair, dass der BBC den größten Teil der Schuld erhalten hatte.
Die britischen Zeitungen machten den Fall gewohnt einfallsreich
zum Thema. Eine Zeitung zeigte auf der Titelseite ein Foto eines
grinsenden Blair mit einem Heiligenschein. Die Zeitung
"Independent" fragte auf der Titelseite lediglich in roten
Buchstaben: "Reingewaschen?"
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