Israel und Palästina Diese Fehler machen die USA im Nahost-Konflikt

Die Welt wartet auf den Friedensplan von US-Präsident Trump für Israel und Palästina. Forscher Khaled Elgindy erwartet wenig - und erklärt, warum die USA seit Jahrzehnten versagen.
Palästinensischer Demonstrant an israelischer Sperranlage im Westjordanland

Palästinensischer Demonstrant an israelischer Sperranlage im Westjordanland

Foto: Yannis Behrakis/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Herr Elgindy, in ihrem neuen Buch über die US-Rolle im Nahost-Friedensprozess schreiben Sie von einem "blinden Fleck". Was meinen Sie genau?

Khaled Elgindy: Der blinde Fleck bezieht sich auf die Neigung von US-Politikern - Republikaner und Demokraten gleichermaßen - zwei wichtige Faktoren zu ignorieren oder herunterzuspielen: Die israelische Macht und die palästinensische Politik. Die USA sind blind für die Tatsache, dass eine Konfliktpartei die andere besetzt. Und sie sind zweitens blind dafür, dass beide Seiten, nicht nur die Israelis, innenpolitischen Zwängen unterliegen.

Zur Person
Foto: Privat

Khaled Elgindy ist Nonresident Fellow am renommierten Center for Middle East Policy der US-Denkfabrik Brookings. Er arbeitete zuvor unter anderem als Berater für die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah und nahm 2008 an den Nahost-Friedensverhandlungen in Annapolis teil. Seine jüngste Veröffentlichung: "Blind Spot: America and the Palestinians, from Balfour to Trump" (Brookings Institution Press, 2019)

SPIEGEL ONLINE: Worin zeigt sich diese Blindheit konkret?

Elgindy: Die USA sind immer sehr sensibel gegenüber der israelischen Innenpolitik gewesen und den Grenzen, die sie israelischen Regierungschefs auferlegt. Gegenüber der palästinensischen Seite sind sie fast nie so nachsichtig gewesen. Die USA haben zum Beispiel überhaupt keinen Respekt für die Tatsache gezeigt, dass Mahmoud Abbas und die Fatah 2006 zuerst die Wahlen und dann 2007 den Bürgerkrieg in Gaza verloren. Die USA erwarteten, dass er einfach ganz normal weiterverhandelte, ohne Rücksicht auf den innenpolitischen Druck, der auf Abbas lastete und ohne Rücksicht darauf, dass er bereits erheblich geschwächt war. Deshalb hat dieser sehr mangelhafte Friedensprozess die Fragmentierung der Palästinenser institutionalisiert.

SPIEGEL ONLINE: Warum halten Sie den gesamten Friedensprozess für mangelhaft?

Elgindy: Weil er sich nicht auf die Themen konzentriert, die den Konflikt schüren, allen voran die israelische Besatzung. Stattdessen fokussierte sich der Friedensprozess darauf, die Israelis zu beruhigen und gleichzeitig die Palästinenser zu reformieren. Anstatt gegenüber beiden Parteien positive und negative Anreize zu schaffen, die das Machtungleichgewicht zwischen ihnen berücksichtigen, haben die USA durchweg mehr Druck auf die schwächere Seite, die Palästinenser, und weniger Druck auf die stärkere Seite, die Israelis, gemacht. Damit wurde das normale Vorgehen in einer Vermittlung auf den Kopf gestellt.

Israels Premier Netanyahu, US-Außenministerin Clinton, Palästinenserpräsident Abbas (2010): "Mehr Druck auf die schwächere Seite"

Israels Premier Netanyahu, US-Außenministerin Clinton, Palästinenserpräsident Abbas (2010): "Mehr Druck auf die schwächere Seite"

Foto: Jewel Samad/ AFP

SPIEGEL ONLINE: Wie zeigt sich das?

Elgindy: Die USA haben zum Beispiel nie bedeutsamen Druck auf Israel ausgeübt, um den Siedlungsbau zu stoppen. Und wenn Dinge schieflaufen, etwa mit dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David oder beim Ausbruch der Zweiten Intifada 2000, war es für die USA und Israel wegen ihrer speziellen Beziehung immer leichter, den Palästinensern die alleinige Schuld zu geben. Das war mit keinen politischen Kosten verbunden.

SPIEGEL ONLINE: Aber was ist denn mit den Fehlern der Palästinenser? In Camp David bot Ehud Barak den Palästinensern einen Staat an, der ungefähr 80 Prozent des Westjordanlandes entsprach. Jassir Arafat lehnte ab...

Elgindy: Dieses Narrativ ist mittlerweile von Verhandlungsteilnehmern aller Seiten sorgfältig widerlegt worden. Es ist inzwischen klar, dass Baraks Angebot nicht die Minimalforderungen der Palästinenser erfüllte. Camp David II ist auch ein Beispiel für den Mangel an Verständnis für die palästinensische Perspektive: Aus Sicht der USA und Israels hatten die Palästinenser überhaupt nichts. Deshalb wären ungefähr 80 Prozent des Westjordanlandes ein großzügiges Angebot. Aus Sicht der Palästinenser hatten sie schon 78 Prozent des historischen Palästinas aufgegeben, als sie Israel anerkannten. Jetzt wollten sie hundert Prozent vom Rest.

Bill Clinton, Jassir Arafat und Ehud Barak in Camp David (2000): Mangel an Verständnis für die palästinensische Perspektive

Bill Clinton, Jassir Arafat und Ehud Barak in Camp David (2000): Mangel an Verständnis für die palästinensische Perspektive

Foto: Win McNamee/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Wie könnte sich die Haltung der Palästinenser ändern, wenn Abbas irgendwann einmal nicht mehr da ist?

Elgindy: Dann sind alle möglichen Szenarien denkbar. Es ist möglich, dass eine neue Führung einen neuen Versuch für eine Versöhnung zwischen den Palästinensern unternimmt und gleichzeitig an einem Konsens für eine neue Vision und Strategie arbeitet. Das ist das optimistischste Szenario. Das pessimistische Szenario wäre ein schwerer, möglicherweise gewaltsamer Machtkampf innerhalb der Fatah sowie zwischen Fatah und Hamas. Das könnte das palästinensische Projekt wieder um Jahre zurückwerfen.

SPIEGEL ONLINE: Vor seinem Sieg bei den Parlamentswahlen am Dienstag hatte Benjamin Netanyahu angekündigt, dass er Teile des Westjordanlandes annektieren werde. Was wären die Folgen?

Elgindy: Zunächst mal bin ich absolut davon überzeugt, dass Netanyahu sein Versprechen umsetzen wird. Und ich gehe davon aus, dass die USA das akzeptieren werden. Das wird die Zweistaatenlösung töten. Und es wird den gesamten Konflikt transformieren. Die Annexion wird unweigerlich dazu führen, dass mehr Palästinenser volle Rechte als gleichwertige Staatsbürger einfordern werden. Für Israel wird die Annexion daher nach hinten losgehen: Israel wird entweder ein binationaler Staat oder ein Apartheidstaat. Es wird für jeden liberalen Geist schwierig, eine Annexion zu rechtfertigen, die den Millionen Palästinensern, die dann innerhalb israelischer Grenzen leben, nicht dieselben Rechte als Staatsbürger gibt.

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Elgindy, Khaled

Blind Spot: America and the Palestinians, from Balfour to Trump (Brookings / Ash Center Series, "Innovative Governance in the 21st Century")

Verlag: Brookings Institution
Seitenzahl: 323
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Preisabfragezeitpunkt

10.06.2023 07.45 Uhr

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SPIEGEL ONLINE: Welche Folgen wird das starke Abschneiden kleiner rechter und religiöser Parteien bei den israelischen Wahlen für den Konflikt haben?

Elgindy: Das hängt davon ab, welche Parteien am Ende in Netanyahus Koalition vertreten sein werden und an wen die Ministerposten vergeben werden. Aber natürlich ist Netanyahus Sieg auch ein Erfolg für das rechte, siedlungsfreundliche Lager, das eine Annexion des Westjordanlandes anstrebt.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es noch irgendeine Chance, die Zweistaatenlösung zu retten?

Elgindy: Theoretisch ja. Aber weder US-Präsident Donald Trump noch Netanyahu wollen die Zweistaatenlösung. Nur die Palästinenser und Europa engagieren sich noch dafür. Aber Europa investiert keinerlei politisches Kapital dafür. So lange die USA nicht willens sind zu handeln, gibt es schlicht keinen Friedensprozess.

SPIEGEL ONLINE: Die Welt wartet auf Trumps Friedensplan. Was erwarten Sie davon?

Elgindy: Die Veröffentlichung ist ja schon mehrfach verschoben worden. Aber eigentlich ist inzwischen auch egal, ob und wann er veröffentlicht wird. Die meisten Themen, um die sich die Palästinenser sorgen, sind schon vom Tisch. Jerusalem ist vom Tisch, die Flüchtlingsfrage ist vom Tisch, die Siedlungen sind vom Tisch. Die einzige offene Frage ist, wie groß die palästinensischen Kantone im Westjordanland sein werden und wie viel Wirtschaftshilfe sie von den arabischen Staaten erhalten werden.

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