Klinikbesuch Arafat in Paris gelandet

Nach drei Jahren Hausarrest hat Jassir Arafat sein Hauptquartier in Ramallah verlassen. Am frühen Nachmittag landete sein Flugzeug in Paris. Dort will er jetzt ein Militärkrankenhaus aufsuchen. Die Amtsgeschäfte möchte Arafat auch von Frankreich aus weiter führen.



Paris/Ramallah - Der erkrankte Palästinenserpräsident traf an Bord einer französischen Maschine in Frankreich ein, um sich dort behandeln zu lassen.

Die Maschine Arafats landete auf dem Militärflugplatz Villacoublay, 16 Kilometer südwestlich von Paris. Arafat leidet nach Vermutungen von Ärzten unter einer Blutkrankheit und soll im nahe gelegenen Militärkrankenhaus von Percy behandelt werden.

Zwei jordanische Militärhubschrauber waren am Morgen vor Arafats Hauptquartier gelandet, um den Präsidenten in die jordanische Hauptstadt zu bringen. Planierraupen hatten über Nacht erst Trümmer und Schrott wegräumen müssen, damit die Helikopter landen konnten. Dutzende Menschen, zahlreiche von ihnen in Armeeuniform, rannten neben zwei Limousinen und einem Krankenwagen her, die Arafat und seinen Stab den kurzen Weg vom Gebäude zu den Hubschraubern transportierten. Wenig später landete Arafat in Amman, wo er in ein Flugzeug der französischen Luftwaffe umstieg, das Präsident Jacques Chirac entsandt hatte.

Arafat hat für die Zeit seiner medizinischen Behandlung in Paris keinen Stellvertreter ernannt, der seine Amtsgeschäfte übernehmen könnte. Nach palästinensischen Angaben wollte er die Regierungsgeschäfte weiter vom Krankenhaus aus leiten. Er werde begleitet von seinem Bürochef Ramsi Churi, der dort seine Anweisungen ausführen und weiterleiten könne. An seiner Seite sei auch seine Ehefrau Suha, die in den letzten Jahren mit der gemeinsamen Tochter in Paris gelebt hatte.

In der Nacht zum Donnerstag hatte es nach einem Zusammenbruch Arafats noch geheißen, ein Dreierkomitee von Ministerpräsident Ahmed Kurei, dessen Amtsvorgänger Mahmud Abbas und dem Präsidenten des Palästinensischen Nationalrats, Salim Saanun, sollten Arafats Befugnisse übernehmen. Dies wurde jedoch später dementiert.

Arafats Ärzte hatten beschlossen, den 75-Jährigen in einem Pariser Krankenhaus behandeln zu lassen. Die Ärzte gaben bekannt, dass das Blut des Kranken zu niedrige Thrombozytenwerte aufweise. Die Werte könnten nach Angaben von Arafats Ärzten auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein. Deshalb seien weitere Untersuchungen notwendig. Eine Leukämie wurde ausgeschlossen, nicht aber eine andere Krebserkrankung. Es war das erste Mal, dass sich die Mediziner offiziell zum Zustand des PLO-Chefs äußerten. Arafats Leibarzt Aschraf Kurdi betonte aber, es bestehe keine unmittelbare Lebensgefahr.

Thrombozyten tragen zur Blutgerinnung bei. Zu geringe Werte können von einer ganzen Reihe Gesundheitsproblemen verursacht werden, darunter blutende Geschwüre, Darmentzündungen, Blutkrebs wie Leukämie und Lymphom, Lebererkrankungen, Lupus oder Windpocken. Auch eine Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten kann niedrige Thrombozytenwerte verursachen.

Arafat soll in der Nacht auf Donnerstag in ein lebensbedrohliches Koma gefallen sein. Nach palästinensischen Angaben stabilisierte sich sein Zustand. Arafat sitzt seit etwa drei Jahren in seinem bei Kämpfen schwer beschädigten Amtssitz in Ramallah fest.

"Wenn Arafat zu einer medizinischen Behandlung ausreist, wird Israel ihm die Rückkehr ermöglichen", sagte der Berater des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, Dov Weissglass. Der ehemalige Arafat-Berater und israelische Abgeordnete Ahmed Tibi sagte gestern, eine entsprechende Zusicherung hätten US-Repräsentanten auch dem palästinensischen Ministerpräsidenten Ahmed Kurei gegeben.

Aus Frankreich hieß es, Arafats Blut müsse wegen Problemen zusätzlich untersucht werden. Es sei nicht klar, ob er an Krebs, an einer Viruserkrankung oder einer Vergiftung leide. Ein Team von jordanischen, ägyptischen, tunesischen und palästinensischen Ärzten hatte im Hauptquartier in Ramallah über die weitere Behandlung beraten.

In Israel wurde die ungeklärte Nachfolge im Falle eines Todes von Arafat als möglicher Auslöser für eine Eskalation der Gewalt gesehen. Ministerpräsident Ariel Scharon traf sich angesichts der Erkrankung Arafats in Jerusalem mit führenden Ministern zu Sicherheitsberatungen. Die israelische Armee bereitet sich nach Medienberichten auf den möglichen Tod Arafats vor. Die israelische Zeitung "Haaretz" berichtete gestern in ihrer Online-Ausgabe, das Militär wolle dabei auf einen bereits im vergangenen Jahr ausgearbeiteten Plan zurückgreifen.

Die Operation "Neues Kapitel" konzentriere sich vor allem auf das Bemühen, unmittelbar nach dem Ableben des Palästinenserführers schwere Unruhen im Westjordanland und im Gaza-Streifen zu verhindern. Die Armee befürchte, Israel könne wegen der jahrelangen Blockade des Hauptquartiers in Ramallah sowie mehreren Liquidationsdrohungen für den Tod Arafats verantwortlich gemacht werden. Dabei würden mit Massendemonstrationen in den Palästinensergebieten sowie mit Versuchen gerechnet, in jüdische Siedlungen und Armeeposten vorzudringen.

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