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Comedians: Mächtig lustig - von Island bis Guatemala

Foto: Patrick Seeger/DPA

Komiker an der Macht Kein Witz, die machen Politik

Wolodymyr Selensky hat beste Aussichten, Präsident der Ukraine zu werden. Er wäre nicht der erste Komiker, der ein hohes politisches Amt übernimmt. Warum werden Comedians gewählt - von Italien bis Guatemala?

Martin Sonneborn bleibt weit unter seinen Möglichkeiten. 2004 gründete der Satiriker und damalige "Titanic"-Chefredakteur "Die Partei". Bei der Europawahl vor fünf Jahren holte sie 0,6 Prozent der Stimmen. Sonneborn sitzt seither im EU-Parlament und kann sich gute Chancen ausrechnen, bei der Europawahl am 26. Mai den Wiedereinzug zu schaffen.

Sein Ergebnis ist jedoch mickrig im Vergleich zu den Wahlerfolgen, die Komiker und Satiriker weltweit in den vergangenen Jahren gefeiert haben. Das jüngste Beispiel ist Wolodymyr Selensky in der Ukraine. Der Komiker hat seit Jahren eine erfolgreiche Satireshow und spielt in der TV-Serie "Sluga Naroda" ("Diener des Volkes") den unbestechlichen, fleißigen Präsidenten.

Martin Sonneborn

Martin Sonneborn

Foto: Patrick Seeger/DPA

Nun besitzt der Comedian beste Chancen, auch in der Realität Staatschef zu werden. Im ersten Wahlgang für das Amt des Präsidenten in der Ukraine holte Selensky 30,2 Prozent der Stimmen - fast doppelt so viele wie Amtsinhaber Petro Poroschenko. Damit geht er als Favorit in die Stichwahl am 21. April.

Selensky wäre nicht der erste Seiteneinsteiger, der vom humoristischen ins ernste Geschäft wechselt. Auch in Guatemala, Island, Italien und Slowenien sind in den vergangenen Jahren Komiker in Staatsämter gewählt worden oder haben mit ihren Parteien die politische Landschaft aufgemischt. Auch wenn sich die konkreten politischen Umstände von Land zu Land unterscheiden, ähneln sich doch die Gründe für den Aufstieg der Komiker.

Wolodymyr Selensky

Wolodymyr Selensky

Foto: Genya Savilov / AFP

Sie haben immer dort Erfolg, wo das Land eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise erlebt und die etablierten Parteien abgewirtschaftet haben. Sie präsentieren sich als Außenseiter, die das politische Establishment ablehnen, in manchen Fällen gar das gesamte bestehende System verachten.

Als Schauspieler und Comedians bringen sie die Leute zum Lachen und sorgen für ein positives Grundgefühl. Das verschaffe ihnen einen entscheidenden Vorteil, sagt der Politikanalyst Tej Parikh. "In Zeiten, in denen wirtschaftlicher und technologischer Wandel Verwerfungen und Unsicherheit auslösen, ist es verständlich, dass Wähler sich nach einer Gute-Laune-Führung sehnen. Eine, die nicht nur humorvoll ist, sondern auch offensichtlich unrealistische Versprechungen macht."

Außerdem wissen Komiker sehr gut, wie sie soziale Medien für ihre Zwecke nutzen können. Ihnen gelingt es besser als etablierten Politikern, ihre Botschaften mithilfe von Gifs und Memes unters Volk zu bringen.

Der Weg ins politische Amt ist das eine, die politische Arbeit im Amt das andere. Und hier fällt die Bilanz der Humoristen durchwachsen aus. Ein Überblick:


Island: Jón Gnarrs - der Spaßvogel, der aus der Kälte kam

Jón Gnarr

Jón Gnarr

Foto: ? Brendan McDermid / Reuters/ REUTERS

Jon Gnarrs Karriere begann Anfang der Neunzigerjahre beim staatlichen isländischen Rundfunk RUV mit einer wöchentlichen Radio-Sit-Com: "Hotel Volkswagen". Es war die Geschichte eines Automechanikers aus Island, der aus Liebe zu VW nach Deutschland zieht und dort ein Hotel eröffnet. Später trat er als Komiker im Radio, Fernsehen und in Spielfilmen auf.

Im Oktober 2008 kollabierte das isländische Bankensystem und stürzte das Land in eine tiefe Krise. Das veränderte auch Gnarr. Ein Jahr später gründete er seine eigene Partei, die "Besti flokkurinn", die "beste Partei". "Bis dahin habe ich mich nicht für Politik interessiert", sagte er 2010 dem SPIEGEL.

Im Video: "Die PARTEI" - Polit-Satire von Martin Sonneborn

SMACfilm

Im selben Jahr wurde Gnarr zum Oberbürgermeister von Reykjavík gewählt. Im Wahlkampf hatte er mit Slogans wie "kostenlose Handtücher in allen Schwimmbädern" und der Forderung nach Eisbären im Zoo von Reykjavik gepunktet. Gnarr begründete den Vorschlag damit, dass die Stadt endlich eine bessere Hauptattraktion für Kinder bekommen müsse als den Aufbewahrungsspielplatz im örtlichen Ikea-Möbelhaus.

Er verstand seine Politikkarriere als Happening. "Ich habe versprochen, dass ich all meine Versprechen brechen würde. Ich fühle mich niemandem verpflichtet", sagte er drei Jahre nach der Wahl. Trotzdem stellten Bürger und selbst politische Gegner Gnarr ein gutes Zeugnis aus. Sein Nachfolger im Rathaus von Reykjavík, Dagur B. Eggertsson, sagte bei der Amtsübergabe 2012, die Gesellschaft habe von dem Komiker gelernt. Er selbst war nicht mehr zur Wiederwahl angetreten. Auch die "beste Partei" löste sich 2014 auf.

Nach dem Ende seiner Amtszeit als Bürgermeister von Reykjavík spielte Gnarr in der Serie "Der Bürgermeister", nun ja, den Bürgermeister von Reykjavík.


Italien: Beppe Grillo - der helle Stern am Politikhimmel

Beppe Grillo

Beppe Grillo

Foto: Gregorio Borgia/ AP

Beppe Grillo stieg Ende der Achtzigerjahre zu einem der populärsten TV-Komiker Italiens auf. In den Neunzigern flog er aus dem Programm, weil er den Mächtigen zu frech wurde. Also beschimpfte Grillo die Politiker - Ministerpräsident Romano Prodi als "Alzheimer-Prodi", Silvio Berlusconi als "Psychozwerg" - fortan mit großem Erfolg in Theatern und Arenen.

2007 organisierte Grillo den "Vaffanculo-Day", freundlich übersetzt: "Leck-mich-am-Arsch-Tag", abgekürzt: V-Day. Es folgten weitere Stunts: In Rom ließ sich Grillo mit einem Kran zwanzig Meter hoch über den Circus Maximus heben, um Italiens Politik mit jedem erdenklichen Schimpfwort abzustrafen.

Aus Grillos Bewegung entstand 2009 die Partei Movimento 5 Stelle, die Fünf-Sterne-Bewegung. Grillo und seine Anhänger haben die Regierung, das staatliche Fernsehen und die Medien zu ihren Hauptgegnern erkoren. Bei den Parlamentswahlen 2018 wurden die Fünf Sterne stärkste Einzelpartei. Im Wahlkampf hatten sie für einen Einreisestopp für Mittelmeerflüchtlinge, höhere und frühere Renten geworben und angedroht, Staatsschulden nicht zurückzuzahlen.

Grillo selbst darf kein Regierungsamt bekleiden. Er ist vorbestraft, weil er 1981 einen Autounfall verursacht hatte, bei dem drei Menschen starben. Stattdessen steuert Grillo als "Garant" der Fünf Sterne im Hintergrund. So richtig erfolgreich gelang das zuletzt nicht mehr. Während der rechte Koalitionspartner Lega in Umfragen längst stärkste Kraft ist, bauen die Fünf Sterne ab und kämen nur noch auf 23 Prozent. Damit hätte Grillos Partei binnen einem Jahr jeden dritten Wähler verloren.


Guatemala: Jimmy Morales - sechs Seiten Programm, jede Menge harte Sprüche

Jimmy Morales

Jimmy Morales

Foto: STRINGER/ REUTERS

Jimmy Morales war 15 Jahre lang der bekannteste Comedian Guatemalas. Zusammen mit seinem Bruder Sammy trat er wöchentlich in der Sketchshow "Moralejas" auf. Der Humor der beiden war derb, mehr als einmal betrieb Morales Blackfacing. In einer Folge trat seine von Jimmy Morales gespielte Figur - ein Cowboy namens Neto - versehentlich als Präsident von Guatemala an - und gewann.

Morales' Aufstieg an die Spitze war kein Versehen, aber doch eine Überraschung. Im April 2016 verkündete er aus dem Nichts seine Kandidatur, ein halbes Jahr später wählte ihn das Volk ins Amt. Ihm reichten ein sechs Seiten dünnes Wahlprogramm und jede Menge markige Sprüche auf Wahlkampfbühnen. Unter anderem wollte er Lehrer verpflichten, ein GPS-Gerät zu tragen, um sicherzustellen, dass sie zur Arbeit erscheinen. Außerdem sollte jedes Kind ein Smartphone erhalten. Sein einfacher Slogan "Weder korrupt, noch ein Dieb" kam bestens an. Denn Korruption und Selbstbereicherung sind in Guatemala seit Jahrzehnten weitverbreitet. Sein Vorgänger Otto Perez sitzt deshalb in Haft.

Doch ob Morales seinen Wahlspruch selbst so ernst genommen hat, sei dahingestellt. Der Präsident steht seit Monaten im Zentrum eines Skandals um illegale Wahlkampfspenden.


Slowenien: Marjan Sarec - der Komiker mit dem langen Atem

Marjan Sarec

Marjan Sarec

Foto: JULIEN WARNAND/ AFP

"Radio Ga-Ga" hieß die erste Radiosendung in der Marjan Sarec als Komiker auftrat. Später wurde er als Comedian und Satiriker in Slowenien landesweit bekannt. Er imitierte unter anderem Osama bin Laden, Fidel Castro und den früheren slowenischen Präsidenten Janez Drnovsek. 2010 ging er in die Politik und wurde im selben Jahr zum Bürgermeister der Kleinstadt Kamnik gewählt. 2017 trat er bei der Präsidentenwahl an - scheiterte aber knapp in der Stichwahl. Besser lief es bei der Parlamentswahl ein Jahr später: Seine "Liste Marjan Sarec" wurde zweitstärkste Kraft im Parlament, seit August 2018 steht er als Ministerpräsident an der Spitze einer Minderheitsregierung. Sarec vertritt ein liberales Programm: Er fordert einen stärkeren Kampf gegen den Klimawandel, befürwortet die Freigabe von Cannabis, unterstützt das Recht auf Abtreibungen und predigt Toleranz für Homosexuelle.


Armenien: Hayk Marutyan - für den Alltag der Bürger

Ähnlich liberal denkt Hayk Marutyan, der im September 2018 zum Bürgermeister der armenischen Hauptstadt Eriwan gewählt wurde. Vorher war er einer der bekanntesten Komiker in Armenien. Parallel hatte sich Marutyan aber seit Jahren bereits gesellschaftlich und politisch engagiert.

Im Sommer 2018 unterstützte er die "samtene Revolution" von Oppositionsführer Nikol Paschinjan. Bei der Bürgermeisterwahl nach dem Umsturz in Eriwan holte Marutyan mehr als 80 Prozent der Stimmen. In seinen ersten Monaten im Amt konzentriert er sich darauf, den Alltag der Bürger zu erleichtern. Er hat den Ausbau des Nahverkehrs, die bessere Pflege der Grünflächen und eine Erneuerung der Aufzüge in der Stadt zu seinen dringendsten Aufgaben erklärt.

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