Kommentar Bye-bye, Schaumschläger!
Es ist durchaus im Interesse der demokratischen Kultur der Insel, dass Tony Blair noch eine Weile durchhält. So gut es eben geht, wenn man im achten Stock am Fenstersims hängt, während einem die Freunde von früher mit harten Gegenständen auf die Finger klopfen und "loslassen" rufen.
Die Kommentatoren vergleichen Downing Street mit dem "Führerbunker". Und Blair mit Hitler in seinen letzten Tagen. Nun opfert Blair seine letzten Getreuen, Jack Straw oder Charles Clarke und andere Sündenböcke, retten wird es ihn nicht. Wenn britische Kommentatoren in Nazi-Metaphern schwelgen, sind sie auf Betriebstemperatur. Dann wird ernsthaft geschossen.
Feuer frei also auf den Mann, der einst ein umfangreiches Netzwerk hatte, der sich Urlaube bei Berlusconi leistet und Murdochs "Times" und die "Sun" soweit in der Tasche hatte, dass sie noch jeden spin mitfuhren, egal wie sehr sich die Balken bogen, wenn er wieder einmal, trust me, trust me, an der Wahrheit vorbeideklamierte.
Und das sind die Freunde. Die Feinde gucken gar nicht mehr hin.
Dabei ist genau das ein Fehler. Die Tories sollten genau hinschauen, denn sie sind gerade dabei, ihren eigenen Tony Blair loszuschicken. Man kann dem jungen Tory-Leader David Cameron nur wünschen, dass er nie in die Falle geht, in die Blair getappt ist in der Wolke seiner Eitelkeiten und mit ihm ein ganzes Land, das meinte, Politik sei die Kunst der Verpackung, sei der Slogan, sei "Cool Britannia" und "Big Tent" und "Tough on Crime and tough on the causes of crime".
Ich hatte Tony Blair viele Male auf Pressekonferenzen erlebt und angewidert sein Geschick bewundert, sich immer wieder neu aus der Schlinge zu ziehen. Dass er Kabinetts-Schwergewichte wie David Blunkett und John Prescott wegen Sex-Skandalen verlor und dass er selbst und seine Frau mit Gefälligkeiten für Freunde und peinlichen Schnorrereien Schlagzeilen machte, gehört zunächst nur zum bunten Stil der Pop-Partei New Labor. Auch, dass er jedem, der es nicht wissen wollte, seine alte Rockgitarre zeigte.
Doch dass er sich selbst derart in Lügen und Manipulationen verstricken würde und sich, mit all den sozialen Phrasen so inkompetent als Regierender zeigen würde, war dann doch eine herbe Enttäuschung.
Der junge David Cameron könnte Blairs Gegentyp sein, im besten Sinne. Ich hatte ihn letztes Jahr kennengelernt, kurz nach Blairs müdem drittem Parlaments-Sieg. Wir sprachen über Umweltpolitik, und Cameron passte dabei auf sein kleines Kind auf, das mit anderen auf einer Party herumhopste, und er vermied die glatte Wendung, er war ernsthaft, er grübelte über Probleme in dieser Plauderei, er machte klar, dass er nicht die Antwort auf alle Fragen hatte.
Wie wohltuend. Wenn er diese Qualität beibehielte, dachte ich mir, hätte er wohl Chancen, ernstzunehmende Politik zurückzubringen in den öffentlichen Diskurs auf der Insel. Es wäre unseren britischen Nachbarn zu wünschen. Und nicht nur ihnen. Eine ernsthafte, entschlussstarke konservative Erneuerungs-Politik könnte Ausstrahlung haben auf ganz Europa.
Tony Blairs Polit-Stil war von Anbeginn an der der Falschmünzerei, der taktischen Winkelzüge, der Medienmanipulation. Und da er einen zutiefst prinzipienlosen Politikertyp verkörperte, war es nur logisch, dass er sich seine Kampagnen von den prinzipienlosen Strategen Alastair Campbell und Peter Mandelson gestalten ließ. Sie waren die Fürsten der Finsternis, die grandiosen Gruselfiguren New Labours, gehärtet in den fetten Zeiten der New Economy und ausgestattet mit dem feinen Riecher für den persönlichen Vorteil.
Die jüngeren Wähler sahen dieser Clique, die die Politik der Insel vor neun Jahren gekidnappt hatte, nicht ohne Wohlwollen zu. Im Kulturkampf gegen die Thatcher-und-Major-Tories rechtfertigte der Zweck die Mittel. Allerdings, das stellte sich bald heraus, hatte es nie einen Zweck gegeben, sondern immer nur die Mittel und heute steht die Insel sehr viel schlechter da als zuvor, weil ihre wirtschaftlichen Ressourcen verbraucht sind.
Blairs Bilanz ist vernichtend. Die Privathaushalte sind im Schnitt mit anderthalb Jahreseinkommen verschuldet. Die Zeiten konsumgetriebenen Wirtschaftswachstums sind vorbei. Das Schulsystem ist trotz aller Quotierungen marode, der öffentliche Gesundheitsdienst eine Katastrophe, das Verkehrssystem nicht nennenswert verbessert. Die Früchte der Thatcher-Revolution, die ja immerhin die Wirtschaft mächtig angeworfen hatte, sind verzehrt. New Labour hat das Geld mit vollen Händen ausgegeben, nicht zuletzt für einen sinnlosen, gefährlichen Krieg.
Die über hundert Milliarden, die in das Gesundheitssystem gesteckt wurden, kamen vorwiegend einer byzantinisch angeschwollenen Bürokratie zugute. Der überhitzte Immobilienmarkt gibt langsam nach. Die Staatsquote im Arbeitsmarkt ist enorm gestiegen, die Krankenstände sind schwindelerregend und die Teenager-Schwangeren-Rate die höchste Europas.
Tony Blair und New Labour, die den großen Aufbruch in die neue Zeit versprochen haben, haben das Land unbeweglicher und krisenanfälliger gemacht. Es ging ihnen, trotz aller Begleitmusik, nie um neue Konzepte, sondern immer um die Erringung der Macht.
Nun wird die Partei bluten, und das noch lange nach Tony Blairs Demission, die jetzt kommen kann, in zwei Monaten, oder auf dem nächsten Parteitag.
Blair ging es immer um grandiose, handstreichartige Siege, die die konzeptionellen Schwächen verbergen sollten. Es ging um die Rettung der Menschheit in 14 Tagen. Mindestens.
Es ging um die Abschaffung des Hungers an einem Wochenende.
Und um die Befreiung der Welt von Tyrannen an einem nächsten.
Nun wird in Afrika mehr gehungert und gemetzelt als früher, und der Irak-Krieg hat eine ganze Region erschüttert und die Welt weiter an den Rand einer Katastrophe gebracht.
Für 15 Minuten Applaus im amerikanischen Kongress war Tony Blair bereit, seine Landsleute zu belügen und an der Seite eines bekanntermaßen einfach gestrickten Spielkonsolen-Kriegers eine ganze Region in Brand zu setzen. Sicher wird Blair dafür von einigen trivialeren Gemütern wie etwa dem Gebrauchsschriftsteller Ian McEwan immer noch bewundert. Doch der große Rest der Intelligenz innerhalb und außerhalb Großbritanniens wünscht sich die Pensionierung Blairs und seines Doppelpartners Bush lieber heute als morgen.
Eben um damit auch ein Politikverständnis ad acta zu legen, das auf Theatercoups und glänzende Auftritte aus war statt auf zähe Kleinarbeit und die unspektakuläre, schrittweise Lösung von Problemen, wie sie derzeit in Deutschland von der Großen Koalition trotz aller Stolpereien zumindest versucht wird. Ja, wo Großbritannien früher als leuchtendes Modell aktiver Politik galt, ist es heute eher das ehrlichere deutsche System, von dem die Briten lernen können.
Mich hat Tony Blair und der halbseidene Pop-Stil seiner Politik immer angeödet. Was wurde er bei uns angehimmelt! Blairs Grinsereien wurden immer mit Zukunftsfähigkeit verwechselt!
Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, ihn 1998 auf dem Kongress der sozialistischen Internationale in Malmö zu erleben. Auf oberflächliche Beobachter wirkte er mit seinen gerade 43 Jahren und seinem gloriosen Wahlsieg wie ein linker Messias, besonders neben den damals tonangebenden Betonsozialisten Lionel Jospin und Oskar Lafontaine.
Als Blair die Bühne betrat, tobte der Kongresssaal. Und dann begann er zu sprechen. Mir gelang es hinterher nicht, auch nur einen einzigen sinnvollen Satz zu zitieren. Den Kollegen erging es ebenso. Wir waren verblüfft. Die Sache sah nach einem unglaublichen Illusionstrick aus.
Diese Politik der Luftblasen hat ihn immerhin über drei Wahlsiege getragen. Doch nun, Stück für Stück, platzen sie. Plop, plop, plop.
Es ist gut, wenn Blair noch eine Weile am Sims hängt. Und die Welt zuschaut. Und sich darauf besinnt, statt Pop wieder Politik zu betreiben.