


Marine Le Pen wird also kein Büro in dem großen, gläsernen Riegel im nordfranzösischen Lille beziehen, dort, wo der Regionalrat tagt. Sie, die nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung führte, wird nicht Ratspräsidentin der Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie.
Verloren hat die Vorsitzende des Front National (FN) diese zweite Runde der Regionalwahlen gegen ihren Konkurrenten von der bürgerlich Rechten, früher Minister unter Nicolas Sarkozy. Und auch Marion Maréchal-Le Pen, ihre Nichte, die im Süden antrat und, genau wie die Tante, in der ersten Runde ebenfalls mit großem Abstand führte, verliert gegen ihren konservativen Mitbewerber. In 6 von 13 Regionen lagen die Rechtspopulisten vorn. Aber sie, die vergangene Woche landesweit stärkste Kraft wurden und so viele Stimmen wie noch nie auf sich vereinen konnten, werden nun keine einzige Region regieren.
Noch mal gut gegangen, könnte man sagen.
Ein kleines bisschen weiter gedacht ist gar nichts gut: Marine Le Pen bleibt die Siegerin dieser Regionalwahlen, dem letzten nationalen Stimmungstest vor der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2017. Sie wird nun ihren weiter währenden Trumpf ausspielen und sich noch stärker als Opfer einer klüngelnden Polit-Elite, eines untereinander schwer verbandelten Establishments präsentieren können.
Die Implosion des Zweiparteiensystems
Denn geschlagen wurden Le Pen und ihr Front National vor allem vom Wahlsystem selbst. Das erlaubt, Listen zu fusionieren. In Nordfrankreich - wie auch im Süden, wo Le Pens Nichte antrat - führte das zu dem fragwürdigen Phänomen, dass die Sozialisten ihre eigenen Kandidaten zurückzogen und plötzlich inbrünstig dazu aufriefen, die gegnerischen Republikaner zu wählen. Selbst wenn es sich dabei um rechtslastige Schaumschläger wie Christian Estrosi handelte, den Bürgermeister von Nizza. Der wird deshalb nun Präsident der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur.
Live und direkt konnte man in der vergangenen Woche beim "entre deux tours", zwischen beiden Wahlgängen, die Implosion des Zweiparteiensystems beobachten: Der vermeintlich glückliche Ausgang dieser Wahl gleicht eher einer letzten Aufwallung dieses Systems als einem veritablen Erfolg.
Denn es musste zu viel instrumentalisiert, mobilisiert und fusioniert werden, um den FN davon abzuhalten, eine Region zu gewinnen. Und Geschacher ist nun einmal kein Ausdruck gesunder Demokratie.
Premier Manuel Valls beschwor das Szenario eines Bürgerkriegs herauf, falls der FN in einer Gegend tatsächlich an die Macht kommen sollte. Sarkozy, Parteichef der Republikaner, wollte sich von Marine Le Pen und ihrer Nichte nicht lumpen lassen und schwadronierte bei einem Auftritt in Avignon davon, dass es "kein glückliches Dasein für einen Franzosen in einer multikulturellen Gesellschaft" gebe.
Es droht eine sehr reale Gefahr
Statt kühl zu analysieren, woran es liegt, dass der Front immer weiter wächst, eine Wählerschicht nach der anderen durchdringt - und entsprechend Antworten oder gar Alternativen anzubieten, wird in Frankreich viel zu lange schon vor allem hysterisiert und emotionalisiert.
Diese Wahl mit ihrer vergleichsweise hohen Beteiligung mag zwar gezeigt haben, dass die Mehrheit der Franzosen - noch - nicht vom Front repräsentiert werden möchte. Aber ein gesunder politischer Organismus funktioniert anders.
Wie kann es sein, dass eine Partei, die inzwischen immer wieder aufs Neue nahezu ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinigt, nur jeweils zwei Abgeordnete in Nationalversammlung und Senat stellt?
Damit besteht die tatsächlich sehr reale Gefahr, dass Frust und Groll all jener, die mit dem Front und seinen Ideen sympathisieren, weiter wachsen werden.
Dies mag gar nicht mehr allzu lang hin sein; schon im Frühjahr 2017 wird wieder gewählt. Und dann könnten all die grollend Frustrierten ihre Kandidatin direkt in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl befördern. Denn Schachern geht dann nicht mehr.
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Die Verliererin der Regionalwahlen, Front-National-Chefin Marine Le Pen: Mit ihrer rechtspopulistischen Partei, kurz FN, war sie im ersten Wahlgang mit 27,7 Prozent noch stärkste Kraft. In der Stichwahl konnte sie nun keine Region für sich entscheiden.
"Wir sind bereit" prangt noch am Rednerpult in der FN-Zentrale. An der Wahlniederlage, so Le Pen, trage jedoch jemand anderes Schuld: die Sozialisten.
Enttäuscht verfolgt diese FN-Anhängerin die Auszählung der Ergebnisse. Einige sozialdemokratische Kandidaten waren bei der Stichwahl nicht erneut angetreten, damit sich das gemäßigt linke und das gemäßigt rechte Lager nicht gegenseitig die Stimmen wegnehmen.
Parteichefin Le Pen gab sich am Wahlabend trotzig: Der Aufstieg der Rechten in Frankreich sei unaufhaltbar, sagte sie.
Katerstimmung auch bei den Sozialdemokraten: Der FN wurde zwar per Rückzug eingedämmt, doch die Konservativen um Ex-Staatschef Nicholas Sarkozy konnten zulegen.
Der Parteivorsitzende der französischen Sozialdemokraten, Jean-Christophe Cambadelis, erklärte den Genossen das Wahlergebnis.
Das Lager um Frankreichs früheren Staatschef Nicholas Sarkozy legte gehörig zu - doch so richtig Freude mochte auch bei ihm nicht aufkommen: "Wir müssen uns nun die Zeit nehmen, die Grundlagen der großen Fragen zu diskutieren, die die Franzosen derzeit bewegen", sagte Sarkozy.
Denn, so der sozialdemokratische Premierminister Manuel Valls, die Gefahr, die von den Rechtsextremen ausgehe, sei "noch lange nicht gebannt".
Die Wahlbeteiligung lag bei rund 58,44 Prozent und damit deutlich höher als in der ersten Runde (knapp 50 Prozent).