Obamas Syrien-Linie Der Präsidenten-Darsteller

Obamas Syrien-Linie: Der Präsidenten-Darsteller
Foto: AP/dpaIm Jahr 1997 war der Film "Wag the Dog" (unglückliche deutsche Übersetzung: "Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt") ein kleiner Hit in Hollywood. Schauspiellegende Dustin Hoffmann spielt darin einen Hollywood-Produzenten. Dieser inszeniert für einen US-Präsidenten wegen heimischer Unannehmlichkeiten - die Enttarnung seiner Affäre mit einer Minderjährigen droht, und das just zwei Wochen vor der Wahl - einen fiktiven Krieg im entfernten Albanien, um die amerikanische Öffentlichkeit mit anderen Themen zu beschäftigen. Der Streifen war amüsant. Nur ein Jahr später ließ der amtierende Präsident Bill Clinton auf dem Höhepunkt der Lewinsky-Affäre zur Ablenkung ein paar Bomben im Irak fallen.
Barack Obama ist kein Schauspieler, er hat nach allem, was bekannt ist, keine Sexaffäre, und er möchte partout keinen Krieg zur Ablenkung beginnen. Doch seine sehr öffentlich vorgetragene Abwägung, ob, wie und vor allem wann Syriens Diktator Assad für Giftgasattacken gegen das eigene Volk den Zorn Amerikas zu spüren bekommen soll, trägt alle Züge einer Hollywood-Produktion.
Erst ließ der Präsident am Freitag seinen Außenminister John Kerry im Stil eines Staatsanwalts beinahe 20 Minuten lang auf der Weltbühne mutmaßliche Beweise für Assads unmenschliche Verbrechen darlegen. Dann inszenierte Obama sich nur einen Tag später höchstpersönlich im Rosengarten des Weißen Hauses als Staatsmann im Dilemma, der einerseits fragte: "Welche Botschaft senden wir, wenn ein Diktator Hunderte Kinder mit Giftgas töten lassen kann, ohne dafür bezahlen zu müssen?" - aber andererseits keinesfalls an seinem Volk vorbei über Leben und Tod entscheiden möchte.
Obama will den "Anti-Bush" geben
Beide Auftritte ähnelten einer Show, mit klar verteilten Rollen. Kerry durfte sich über einen großen Auftritt freuen, der ihm hilft, aus dem Schatten von Vorgängerin Hillary Clinton zu treten. Doch diese Ehre wurde ihm nur zuteil, weil Obama die politischen Gefahren einer Syrien-Attacke ahnt. Genauso kalkuliert wirkt dessen Vorschlag einer Debatte im Kongress: Obama will erneut partout den Anti-Bush geben, der unter keinen Umständen Amerika voreilig in neue militärische Konflikte verstrickt.
Es gibt nur eine Schwäche im Drehbuch: Der mächtigste Mann der Welt ist für die Rolle des öffentlichen Zauderers eine klare Fehlbesetzung. Sicher, Obama zögert zu Recht. Die Zerrissenheit des Landes verbietet allzu forsches Vorgehen, auch die Furcht vor der Verstrickung in einen Bürgerkrieg mitten in der arabischen Welt - und nicht zuletzt Obamas Versprechen ans kriegsmüde Amerika, Kriege zu beenden, statt neue zu beginnen.
Doch ein US-Präsident ist schlecht beraten, das Ende der Zivilisation auszurufen und "rote Linien" abzustecken, nur um dann seine Reaktion vor aller Welt erneut zu vertagen, weil der engste Verbündete Großbritannien nicht mitmachen möchte oder die Mehrheit der Amerikaner Bedenken hegt. Der Ruf der Weltmacht steht auf dem Spiel.
Dem Charakterdarsteller droht Verlust der Glaubwürdigkeit
In Ägypten ist es den neuen Machthabern ohnehin schon herzlich gleichgültig, ob die Amerikaner sie als Putschisten einstufen und Militärhilfe kürzen - Saudis und andere schießen ihnen ja gerne Milliarden zu. Russlands Präsident Wladmir Putin, der schon beim Asyl für NSA-Whistleblower Edward Snowden Washington öffentlich vorführte, verhöhnt nun Obamas Chemiewaffen-Vorwürfe als "völligen Unsinn". Und ob Irans Nuklear-Planer noch vor Washingtons "roter Linie" zittern, ist fraglich.
Es ist bezeichnend, dass nicht allein der stramm rechte US-Kolumnist Charles Krauthammer höhnt, Obama könne Assad ja statt Raketen eine scharf formulierte SMS schicken. Das koste zwar internationale Roaming-Gebühren, sei aber günstiger als eine halbherzige Show-Bestrafung. Auch der sonst regierungstreue Geheimdienst-Experte David Ignatius warnt in der "Washington Post", Amerikas Glaubwürdigkeit sei in Gefahr.
Dennoch könnte sich Obamas Zögern auszahlen: wenn er die Denkpause nutzt, um breitere Unterstützung daheim und weltweit für einen entschlossenen Militärschlag zu gewinnen, der Assad empfindlich trifft.
Doch was, wenn die Verzögerung, die Wochen dauern könnte, nur Teil einer politisch kalkulierten Inszenierung ist? Wenn Obama also bloß einen Präsidenten spielt, statt Präsident zu sein? Dann droht ihm die schlimmste Strafe für einen Charakterdarsteller: akuter Glaubwürdigkeitsverlust.