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Unterdrückte Minderheit: Schiiten in Saudi-Arabien

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Konflikt mit Saudi-Arabien Teherans langer Arm

Droht ein schwerer Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien? Die mutmaßlichen Anschlagspläne in Washington heizen den Streit zwischen den beiden Staaten an. Riad steht unter Druck - in dem Wüstenstaat leben zwei Millionen Schiiten, die sich den Kontrahenten in Teheran zuwenden könnten.
Von Abdel Mottaleb El Husseini

Teheran und Riad können nicht miteinander. Das Verhältnis zwischen beiden ist schon lange angespannt, die Aufregung um das angebliche iranische Mordkomplott gegen den saudischen Botschafter in den USAist nur ein Höhepunkt der Feinseligkeiten. Im Grund geht es bei dem Konflikt um nationale und konfessionelle Antagonismen, die mit dem historischen und unversöhnlichen Gegensatz zwischen dem wahhabitischen Sunnismus und dem "revolutionären" Schiismus zusammenhängen.

Besonders seit dem Sieg der von Chomeini geführten schiitischen Revolution liefern sich das Mullah-Regime und die saudische Monarchie ein Duell um die Hegemonie in der islamischen Welt. Um den Export der iranischen Revolution in die arabische Welt zu verhindern, stand die saudische Monarchie im iranisch-irakischen Krieg (1980 bis 1988) an der Seite des irakischen Diktators Saddam Hussein. Reine Hilfsbereitschaft stand nicht dahinter: Riad fürchtete den Einfluss Irans auf die eigenen schiitischen Untertanen.

Doch die saudische Freude über die Schwächung des Chomeinismus war von kurzer Dauer. Die iranische Bedrohung wurde zwar eingedämmt. Ihr folgte jedoch die irakische Expansion, die in der Besatzung Kuwaits 1990 ihren Höhepunkt erreichte. Die US-amerikanisch geführten Kriege 1991 zur Befreiung Kuwaits und 2003 zum Sturz des irakischen Regimes endeten im Wiedererstarken des Mullah-Regimes, das durch seine Allianz mit den irakischen Schiiten das Zweistromland zum größten Teil unter seinen politischen Einfluss brachte.

Dass sich Iran immer wieder aggressiv in den israelisch-palästinensischen Konflikt einschaltet, schwächt die politische Rolle Saudi-Arabiens in der arabischen Welt dramatisch. Obwohl das iranische Regime in seiner Propaganda immer auf die Einheit der Muslime schwört, führt seine Politik zum Anheizen des schiitisch-sunnitischen Konfliktes. Die iranische Unterstützung der libanesischen Hisbollah, die dank ihrer Bewaffnung die Sunniten so gut wie entmachtet hat, provoziert die sunnitische Welt. Das Gleiche gilt für das iranische Bündnis mit dem Assad-Regime, das sich auf die alewitische Minorität stützt und die Mehrheit der sunnitischen syrischen Bevölkerung unterdrückt. Zudem wird den Iranern vorgeworfen, für den Schiismus in der islamischen Welt zu missionieren.

Riad fühlt sich als führende Macht des Sunnismus von der Expansion schiitischer Bewegungen (wie der libanesischen Hisbollah und der Opposition in Bahrain) herausgefordert. Dass Teheran die saudischen Schiiten als Trumpfkarte zur Destabilisierung der Monarchie einsetzen könnte, ist eine Horrorvision für Riad. Dabei ist primär die saudische Politik dafür verantwortlich, dass es den Konflikt mit dem Schiiten überhaupt noch gibt.

Die saudischen Schiiten, die zwischen 10 und 15 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, leiden unter einer doppelten Unterdrückung - als saudische Bürger und als Schiiten. Die religiösen wahhabitischen Institutionen betrachteten sie als Abtrünnige, viele Gelehrte erklären sie in ihren Fatwas gar zu "Ungläubigen". Ihre Religionsfreiheit wird eingeschränkt: Sie dürfen weder eigene Moscheen bauen noch die schiitischen Feste wie das Aschurah-Fest und den Geburtstag des Propheten öffentlich feiern. Der saudische Staat, der die wahhabitischen Institutionen und Gelehrten mit enormen Summen finanziert, verweigert den Schiiten jegliche Unterstützung. Von der Gründung des saudischen Königreichs 1932 bis zum Jahre 2003 galt die schiitische Frage als Tabu.

Schiiten werden sozial benachteiligt und unterdrückt

Obwohl die etwa zwei Millionen Schiiten vor allem in der ölreichen östlichen Provinz leben, werden sie sozial benachteiligt. Vom Zugang zu hohen Staatsämtern sind sie so gut wie ausgeschlossen. Im absolutistischen saudischen Reich, in dem es allen Bürgern an elementaren politischen Rechten wie Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht fehlt, sind sie noch schlimmeren politischen Diskriminierungen ausgesetzt. Die Schiiten in Saudi Arabien werden nicht nur als Menschen zweiter Klasse behandelt, sondern die saudischen Behörden zweifeln grundsätzlich an ihrer Loyalität zum Staat. Besonders seit dem Sieg der iranischen Revolution wird die schiitische Minderheit als fünfte Kolonne Teherans betrachtet.

Dass es infolgedessen immer wieder sporadisch zu Protesten kommt, versteht sich von selbst. Schiitische Demonstrationen gegen die willkürliche Inhaftierung von Oppositionellen, für die Freilassung von Gefangenen und gegen Diskriminierung werden mit außergewöhnlicher Härte unterdrückt. Besonders seit dem Arabischen Frühling und vor allem nach der Niederschlagung des schiitischen Aufstandes in Bahrain unter saudischer Regie herrscht in der Öffentlichkeit eine aggressive Stimmung gegenüber den Schiiten. Die feindseligen und zum Teil rassistischen Kampagnen in den saudischen Medien sind auf ein noch nie dagewesenes Ausmaß angewachsen.

Für die saudische Monarchie ist der Konflikt mit Iran ein willkommener Anlass, um die schiitische Opposition im Keim zu ersticken und mit Hilfe einer sunnitisch-schiitischen Konfrontation den demokratischen Prozess in der arabischen Welt von seinem jetzigen Kurs abzubringen. Dass die saudische Regierung ihre schiitischen Untertanen durch Diskriminierung und Ausgrenzung in die Arme der Iraner treibt, gehört zu den Kuriositäten des saudisch-iranischen Duells. Die Iraner können sich über dieses Geschenk ihres Feindes nur freuen.

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