
Rebellen im Ostkongo: Islamisten, Wutbürger, Kriminelle
Tote Blauhelme im Ostkongo "Die Armee spielt eine Doppelrolle"

Christoph Vogel, 31, forscht an der Uni Zürich über den Ostkongo. Als Uno-Experte bereiste der Deutsch-Franzose die Region zuletzt ein Jahr lang, um internationale Waffenembargos zu kontrollieren. Vorher war er neun Jahre lang immer wieder für Monate im Gebiet der Großen Seen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Vogel, wer ist verantwortlich für die 15 toten Uno-Blauhelmsoldaten in der ostkongolesischen Stadt Beni?
Christoph Vogel: Es heißt, die Friedenstruppen wurden von den Allied Democratic Forces (ADF) getötet, einer der größeren Milizen mit einer fundamentalislamischen Ausrichtung.
SPIEGEL ONLINE: Aber Sie haben Zweifel?
Vogel: Die Bewaffnung passt nicht. Die ADF im Nordkivu tragen leichte Waffen, Kalaschnikows und Macheten. Gegen den Uno-Stützpunkt wurden Mörser eingesetzt, sowie schultergestützte Raketen, also Bazookas. Zudem sind die tansanischen Soldaten dort sehr gut trainiert. Sie sind mit das robusteste, was die Uno in der Region aufzubieten hat. Trotzdem wurden sie regelrecht plattgemacht. Neben den Toten gab es mehr als 50 Verletzte, der Angriff dauerte Stunden.
SPIEGEL ONLINE: Könnten es kongolesische Regierungstruppen gewesen sein?
Vogel: Von hier aus nicht zu sagen, das ist auch nur ein Gerücht. Aber die Beteiligung von Armeeeinheiten ist nicht undenkbar. Rund um die Stadt Beni hat es zuletzt viele Angriffe und Massaker an der Bevölkerung gegeben. Zum Teil waren es die ADF, aber auch Regierungssoldaten oder andere Milizen. Die ADF werden immer genannt, auch weil sie radikalislamisch sind, und damit der perfekte Sündenbock.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben jüngst mit Kollegen eine neue Karte des Ostkongo erstellt, die 120 bewaffnete Gruppen identifiziert . Wie kann man da überhaupt sagen, wer für welchen Angriff verantwortlich ist?
Vogel: Neben Waffen ist die Sprache ein Anhaltspunkt. Die erste Frage, die wir hinterher den Opfern stellen, ist: Wie haben sich die Angreifer unterhalten? Die Kleidung sagt hingegen fast gar nichts aus. Oft tragen auch die Rebellen kongolesische Uniformen - entweder weil es ehemalige Regierungssoldaten sind oder weil sie die Uniform von denen gekauft haben.

Mai-Mai, Raia-Mutomboki, Local Defence, Nyatura und Dutzende Untergruppen bilden die 120 bewaffneten Gruppen in Nord- und Südkivu
Foto: kivusecurity.orgSPIEGEL ONLINE: Wie stark sind die Milizen, wie viele Kämpfer haben sie?
Vogel: Das reicht von einem Dutzend bis zu mehreren Hundert bei den größten Gruppen. Vorsichtig geschätzt sind es etwa 10.000, vielleicht aber auch ein paar Tausend mehr.
SPIEGEL ONLINE: Ist die kongolesische Armee dem gewachsen?
Vogel: Die kongolesische Armee spielt eine Doppelrolle. Zum Teil setzt sie kleinere Rebellengruppen für sich ein, bezahlt sie oder rüstet sie sogar aus. Von der offiziellen Mannstärke sollte es Kongos Armee sicher mit den Rebellen aufnehmen können. Aber mitunter sind die Bataillone der Kongo-Armee nicht vollständig.
SPIEGEL ONLINE: Was heißt das?
Vogel: Wenn Soldaten getötet werden, wird mitunter nicht aufgefüllt. Statt der sechshundert Mann sind dann vielleicht nur noch die Hälfte da. Der Sold wird trotzdem gezahlt und aufgeteilt.
SPIEGEL ONLINE: Im Ostkongo, in den Provinzen Nord- und Südkivu, gibt es seit Jahrzehnten Rebellengruppen. Wie können die sich so lange halten?
Vogel: Es sind junge Männer, die nichts anderes gelernt haben. Es gibt straff organisierte Truppen, die wie ein Staat im Staat agieren. Sie drücken eigene Stempel auf Dokumente, erheben eigene Steuern. Außerdem gibt es Gruppen, die sich als lokale Bürgerwehr bezeichnen oder buchstäblich als Wutbürger, die aber oft auch nur Kriminelle oder Rebellen sind. Und es gibt Milizen aus dem Ausland, etwa burundische oppositionelle Militärs. Untereinander und gegeneinander bilden sie Allianzen, die auch schnell wieder zerfallen. So viele Gruppen wie derzeit hatten wir noch nie.
SPIEGEL ONLINE: Dabei gibt es jetzt doch einen gemeinsamen Feind: Kongos Präsident Joseph Kabila, der nicht aus dem Amt weichen und nicht wählen lassen will.
Vogel: Das könnte ein einender Faktor sein. Aber genau um das zu verhindern, spielt der Staat auch Gruppen gegeneinander aus. Manche im Kongo sagen auch, der Widerstand gegen Kabila sei eigentlich von der Regierung inszeniert, um keine Wahlen abhalten zu müssen.
SPIEGEL ONLINE: Worunter leidet die Bevölkerung mehr: unter großen Bündnissen wie ADF? Oder ist das Kleinklein von mehr als 100 Grüppchen schlimmer?
Vogel: Die Zahl der Vertriebenen scheint mit der Zahl der Gruppen zu steigen. Damit ist die Zersplitterung für die Zivilisten gefährlicher. Was unsere Karte aber auch zeigt: Es gibt viele friedliche Gegenden, der Ostkongo ist kein einziges Schlachtfeld. Die Lage kann sich jedoch überall binnen Tagen stark verändern.
SPIEGEL ONLINE: Die ADF sind im Nordkivu sehr aktiv, wie rekrutieren sie neue Kämpfer?
Vogel: Diese Gruppe setzt auf Zwangsrekrutierung. Ich habe in Beni selbst mit vielen gesprochen, die von der islamistischen ADF verschleppt wurden. Andere Menschen werden als Arbeiter gefangen gehalten, sie müssen Landwirtschaft betreiben und für die Gruppe kochen. Zugleich setzten die ADF den Islam als Druck- und Kontrollmittel ein. Sie sind aber nicht mit Terrorregimen wie dem des IS zu verwechseln. Es geht hier nicht um ein Kalifat mit Scharia-Gerichten oder Ähnlichem.

Rebellen im Ostkongo: Islamisten, Wutbürger, Kriminelle
SPIEGEL ONLINE: Setzen alle Rebellen auf Verschleppungen und Zwangsrekrutierung?
Vogel: Nein, beliebter sind Straßensperren und erfundene Zölle. Viele Milizen verdienen indirekt an jeder Art von Schmuggel mit Rohstoffen aber auch allen anderen Waren. Sie sind sehr kreativ darin, immer neue Einnahmequellen zu finden.
SPIEGEL ONLINE: Es heißt nach wie vor, im Ostkongo tobe ein Krieg um Rohstoffe wie Gold, Zinn, Coltan. Was ist da dran?
Vogel: Das war einmal. Die Milizen sind heute kaum mehr selbst in den Minen, die Ausbeutung der Rohstoffe läuft über internationale kriminelle Handelsringe. Die Bewaffneten profitieren davon, indem sie am Wegesrand abkassieren. Das hat sich auch durch die internationale Aufmerksamkeit für das Thema verändert. Trotzdem ist der Schmuggel von Gold nach Uganda und Burundi und von Coltan nach Ruanda nach wie vor beträchtlich. Die Grundursache der Konflikte seit mehr als zwei Jahrzehnten liegt jedoch hauptsächlich in politischen und sozialen Faktoren.