Korruptionsvorwürfe in Indien Die verkaufte Demokratie

Indiens Regierung - eine Vetternwirtschaft, die sich aufs Schmieren versteht und politische Mehrheiten einfach kauft: So beschreiben Medienberichten zufolge US-Botschaftsdepeschen den indischen Staat. Premier Singh soll tatenlos zugeschaut haben. Die Beschuldigten weisen das zurück.
Premier Singh: Haben Minister systematisch Stimmen gekauft?

Premier Singh: Haben Minister systematisch Stimmen gekauft?

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

So mancher Politiker in Indien sorgt sich derzeit um seinen guten Ruf: Nahezu täglich veröffentlicht die im ostindischen Chennai beheimatete Tageszeitung "The Hindu" pikante Details aus den US-Depeschen, die WikiLeaks zugespielt wurden. Dabei kommen für Indien, das sich gerne "weltgrößte Demokratie" nennt, peinliche Angelegenheiten ans Tageslicht.

So soll der frühere Handels- und heutige Stadtentwicklungsminister Kamal Nath sehr großzügige Geschenke an Parlamentarier verteilt haben, damit diese ihn unterstützten - und die Zuwendungen stiegen offenbar im Wert. Ein US-Papier aus der Botschaft in Neu-Delhi zitiert einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter der regierenden Kongress-Partei mit den Worten: "Früher konnte er nur Kleinflugzeuge als Bestechung anbieten. Heute kann er mit Jets bezahlen."

Ähnlich unangenehm dürfte auch die Veröffentlichung der US-Dokumente für Satish Sharma sein, ehemaliger Minister und ein guter Freund der in Indien mächtigen Familie Gandhi. Demnach soll er wenige Tage vor einer Parlamentsabstimmung im Juli 2008, in der es um den zivilen US-indischen Nukleardeal ging und mit der die Zukunft der indischen Regierung verbunden war, die Stimmen von Abgeordneten gekauft haben. Linke Parteien und die konservative Oppositionen lehnten den Atompakt ab.

Nachiketa Kapur, ein Mitarbeiter Sharmas, erwähnte dem Botschaftsbericht zufolge gegenüber US-Diplomaten, man habe vier Parlamentariern eines kleinen Koalitionspartners jeweils umgerechnet knapp 1,8 Millionen Euro gezahlt, damit sie den Regierungskurs unterstützen. Die Regierungskoalition verfügte über eine nur knappe Mehrheit im Parlament.

Geld sei kein Problem, sagte Kapur demnach, schwierig sei lediglich zu gewährleisten, dass diejenigen, die das Geld angenommen hätten, auch tatsächlich für die Regierung stimmten. Kapur zeigte dem US-Botschaftspersonal offenbar zwei Kisten mit Bargeld und erklärte, dass "500 bis 600 Millionen Rupien", umgerechnet bis zu 18 Millionen Euro, "im Parlament herumliegen", die man als Schmiergeld nutzen könne. Die Kongress-Partei setzte also alles daran, dass die von ihr geführte Regierung die Abstimmung gewinnt.

Minister soll Firmen seiner Söhne bevorzugt haben

Auch der frühere Transport- und Schifffahrtsminister Thalikottai Rajuthevar Baalu, Mitglied einer kleinen Regierungspartei, kommt schlecht weg: Er soll Firmen seiner Söhne bei der Versorgung mit Gas bevorzugt haben. Premierminister Manmohan Singh reagierte darauf nur zurückhaltend. Der lapidare Kommentar in dem US-Kabel dazu: "Selbst unverhohlene Korruption ist okay, wenn es darum geht, die Koalition zusammenzuhalten."

In den kommenden Tagen dürften noch mehr solcher Fälle an die Öffentlichkeit kommen. " WikiLeaks hat uns insgesamt rund 5100 Dokumente zur Verfügung gestellt, überwiegend aus den Jahren 2005 bis 2009. Drei Viertel davon kommen aus der US-Botschaft in Neu-Delhi und aus verschiedenen Konsulaten in Indien. Der Rest sind Dokumente aus dem US-Außenministerium oder aus amerikanischen Botschaften in anderen Ländern, die Indien betreffen", sagt Narasimhan Ram, Chefredakteur von "The Hindu" zu SPIEGEL ONLINE. "Wir haben längst noch nicht alle ausgewertet. Das Material reicht auf jeden Fall noch für einige Wochen." Ein Team von Redakteuren arbeite mit Hochdruck daran, die Berichte zu lesen.

WikiLeaks hatte bereits im vergangenen Jahr Tausende US-Diplomatenberichte veröffentlicht. Der SPIEGEL war neben vier weiteren internationalen Zeitungen an der Auswertung beteiligt.

"Ein verrotteter Staat"

Für die indische Regierung kommen die jetzigen Veröffentlichungen zu einem denkbar ungünstigen Moment. Seit Monaten stehen Premierminister Singh und seine Minister ohnehin unter Korruptionsverdacht. So soll die Regierung gegen Schmiergeldzahlungen in mehreren Fällen Mobilfunk- und Rundfunklizenzen weit unter Marktwert vergeben haben. Der Telekommunikationsminister sitzt deswegen inzwischen im Gefängnis.

Mehrere Mitarbeiter von staatlichen Banken sollen Schmiergeldzahlungen angenommen haben. Zudem wird Vertretern der Kongress-Partei, Beamten und ranghohen Militärs vorgeworfen, sich illegal Wohnungen in Mumbai angeeignet zu haben, die für Kriegswitwen bestimmt waren. Es gibt Berichte von verschwundenen Millionensummen, die dafür vorgesehen waren, Lebensmittel für Arme zu subventionieren, davon, dass bei den Commonwealth-Spielen im vergangenen Jahren Geld in dunklen Kanälen versickert ist. Der "Economist" spricht von einem "verrotteten Staat".

USA mischen sich unverhohlen in Indiens Außenpolitik ein

Ausgerechnet jetzt auch noch die US-Diplomatendepeschen, in denen zudem von Stimmenkauf in einigen Bundesstaaten die Rede ist. So hätten Politiker buchstäblich Säcke voller Geld in Slums verteilt, überwiegend nachts, wenn Begegnungen mit Wahlbeobachtern unwahrscheinlich waren.

Manche Parteien steckten auch einfach Geldscheine in die Morgenzeitungen, zusammen mit der Anweisung, wohin genau das Kreuz auf dem Wahlzettel gehört. Ein Politiker berichtete US-Diplomaten offen davon, wie er Wähler besteche, indem er Brunnen bauen lasse und Hochzeiten finanziere. Die Diplomaten fragten erstaunt, ob das denn nicht illegal sei. Der Politiker antwortete: "Natürlich, aber das ist doch das Gute an der Demokratie."

Die Beschuldigten wiesen die Vorwürfe umgehend zurück. Premierminister Singh ließ das Parlament wissen, an den Anschuldigungen sei nichts dran. Ex-Minister Sharma, der Abgeordnete geschmiert haben soll, erklärte, er habe gar keinen Mitarbeiter, der Kapur heiße. Und Minister Nath sagte zu Journalisten: "Was auch immer mir angehängt wird, ich weise es komplett zurück. Es ist komplett falsch."

"Ziemlich dominante Einmischung in unsere Außenpolitik"

WikiLeaks-Gründer Julian Assange hielt dagegen, es handele sich um "authentisches Material", bei dem nicht jeder Satz ein Fakt sein müsse. Tatsächlich gibt es Unstimmigkeiten: So verfügte der kleine Koalitionspartner der Kongress-Partei, dessen "vier" Abgeordneten Schmiergeld erhalten haben sollen, tatsächlich nur über drei Parlamentarier. Und die stimmten gegen Singhs nukleare Pläne.

Laut "Hindu"-Chefredakteur Ram ist neben den Korruptionsvorwürfen ein zweiter Aspekt interessant: Die US-Kabel zeigten, dass Washington enormen Druck auf Indien ausübe, eine Außenpolitik im Sinne der USA zu betreiben. "Das gilt für die indische Politik in Afghanistan, Iran, Israel und Palästina", zählt Ram auf. Es handele sich dabei offensichtlich nicht um eine subtile Einflussnahme, sondern um eine "ziemlich dominante Einmischung in unsere Außenpolitik".

So zeigten sich amerikanische Diplomaten im April 2008 äußerst besorgt über einen geplanten Besuch von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Ein US-Diplomat sollte einem Bericht zufolge zum indischen Außenministerium geschickt werden und die amerikanischen Bedenken deutlich machen. Den Besuch konnte Washington nicht verhindern. US-Diplomaten setzten aber durch, dass Indien seine Politik in Übereinstimmung mit den USA gegen Irans Nuklearprogramm ausrichtete.

Für Indien, traditionell auf eine unabhängige Außenpolitik bedacht, sei es "alles andere als erfreulich, in Fragen von Krieg und Frieden fremdbestimmt zu sein", sagt Ram.

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