
Touristen als Helfer auf Kos "Frag sie einfach, was sie brauchen"
Hennie, 56, und Ronald, 54, aus Holland halten mit ihre Leihrädern an der Strandpromenade von Kos.
Neben ihnen im Gras sitzt eine sechsköpfige syrische Familie aus Kobane. Das holländische Paar hatte gezögert, dieses Jahr zum Urlaub auf die griechische Insel Kos zu fahren. "Wir waren vorher schon zweimal da und es hat uns immer gefallen. Aber dieses Jahr haben wir die Bilder im Fernsehen gesehen", erzählt Ronald. Die Bilder der Familien, die dem Krieg entkommen sind und nun zu Hunderten im Freien schlafen müssen.
Urlaub machen dort, wo andere hinflüchten und unter elenden Bedingungen hausen? "Wir haben uns bei dem Gedanken unwohl gefühlt", sagt Hennie. Doch die Reise war gebucht und das Paar wollte die bereits gebeutelten Griechen nicht noch weiter strafen durch eine Stornierung. Was also tun?
Die Holländerin schaute im Internet, ob sie irgendwie helfen könnte. Es gibt das einheimische Freiwilligenbündnis "Solidarity Kos": Es sammelt seit Monaten Essen und Kleidung für die Flüchtlinge. Hennie stieß außerdem auf die Facebook-Seite der holländischen Flüchtlings-Hilfsorganisation "Stichting Hulpactie Bootvluchtelingen", die diesen Sommer Freiwillige nach Kos schickt. Die Gruppe bat um Kleider- und Spielzeugspenden. Eine gute Idee, dachte Hennie. Sie fragte bei ihren Nachbarn an, die zwei junge Söhne haben, und packte einen Koffer voll mit den abgetragenen Kleidungsstücken der beiden Jungen.
Wo fängt man an, wenn so viel zu tun ist?
Auf Kos angekommen stand das holländische Paar plötzlich vor einem neuen Dilemma: Wie die Kleidungsspenden übergeben?
Denn auf Kos leben ja Hunderte Familien in Zelten und auf dem Rasen entlang der Strandpromenade. Das Elend ist groß, es scheint so selbstverständlich, dass man etwas tun muss - aber wo fängt man an? Dass man Fremde anspricht und sie fragt, ob man ihnen helfen kann, kennt man ja schließlich von zu Hause nicht.
Zufällig entdeckten Hennie und Ronald inmitten der Flüchtlinge die Holländerin Angelien. Sie ist eine der freiwilligen Helfer. In Holland arbeitet die 62-Jährige als Landschaftsgärtnerin, diesen Sommer hilft sie eine Woche auf Kos: Sie zeichnet zusammen mit den Kindern Blumen aus Malkreide auf die Strandpromenade und malt sich mit ihnen gegenseitig die Gesichter bunt. Die Kinder strahlen sie begeistert an.
Angelien riet den beiden: Fragt die Leute einfach, was sie brauchen können. "Also haben wir bei irgendeiner Familie angefangen, unsere Tasche aufgemacht und gefragt, ob sie eines der T-Shirts haben wollen", sagt Hennie. Auch wenn die Not groß ist - nur weil jemand aus einem Kriegsgebiet stammt, möchte er vielleicht trotzdem nicht in einem ausgewaschenen, zu großen Batik-T-Shirt in rosa und gelben Pastelltönen herumlaufen. Mit einer Mischung aus Englisch und Pantomime klappte die Kommunikation.
Viele Familien nahmen dankend an. Andere sagten Hennie und Ronald, dass sie genügend Kleidung hätten, aber ob sie ihnen vielleicht etwas Shampoo geben könnten oder eine Flasche Wasser? "Wir sind dann einfach zum Kiosk und haben ihnen welches gekauft.", sagt Hennie. "Natürlich können wir nicht allen helfen. Aber deswegen keinem zu helfen, ist auch doof."
"Sie sind uns dankbar und wir ihnen"
Die gestrandeten Familien freuen sich allein schon über die Geste: "Einer syrischen Familie wollten wir das letzte T-Shirt geben", sagt Hennie. "Sie sagten uns, dass wir es ihnen verzeihen sollen, aber sie könnten sich selbst ein T-Shirt leisten und sie wollten es nicht jemand anderem wegnehmen, der es nötiger hätte."
Hennie und Ronald nahmen es der Familie nicht übel. Von Flüchtlingen wird oft erwartet, dass sie immer dankbar, höflich und demütig sind. Das holländische Paar begegnete ihnen auf Augenhöhe. "Wir haben ihnen erklärt, dass nur noch das eine T-Shirt übrig sei und wir es endlich losbekommen wollten", sagt Hennie. Die Familie nahm es an - sie wollten den freundlichen Holländern keinen Gefallen abschlagen.
Das holländische Paar ist froh, auch dieses Jahr wieder nach Kos gefahren zu sein. "Auch wir mussten Grenzen überwinden: Uns trauen, die Menschen überhaupt anzusprechen", sagt Hennie. "Wir sind froh, dass wir es getan haben. Sie sind so dankbar, dass sie uns getroffen haben und wir sind es ihnen auch."
Videokommentar von der Insel Kos: