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Grausame Verstümmelung: Ein Porträt bewegt die USA

Foto: AP/ Jodi Bieber/ Institute for Time

Krieg gegen Taliban Mädchen-Schicksal befeuert Afghanistan-Debatte

Ein afghanisches Mädchen flieht vor häuslicher Gewalt, ihr Mann schneidet ihr Nase und Ohren ab - nun prangt ihr entstelltes Gesicht auf dem Cover des US-Magazins "Time". An dem Porträt hat sich eine heftige Debatte über den Einsatz am Hindukusch entzündet: Welche Verantwortung haben die USA?

Washington/Kabul - Bibi Aisha ist plötzlich das Gesicht dieses Krieges geworden, ohne dass sie es wusste. Sie ist 19 Jahre alt, sie sah einmal aus wie ein normales Mädchen. Aber was heißt schon normal im umkämpften Afghanistan. Sie wurde geschlagen und geknechtet, sie floh vor der gewalttätigen Familie ihres Ehemanns. Doch der verfolgte sie und schnitt ihr Nase und Ohren ab. "Es fühlte sich an wie kaltes Wasser in meiner Nase, aber als ich die Augen öffnete, konnte ich nichts sehen vor lauter Blut."

Afghanistan

Sie überlebte. Wie sie entkam, weiß sie nicht mehr, berichtet sie nun amerikanischen Medien. Sie erhielt Hilfe in einer Zufluchtsstätte für Frauen in , in den USA soll nun ihr Gesicht operiert werden. Ein Gesicht, das grausam entstellt ist, und das nun an vielen Kiosken in den USA hängt. Das "Time"-Magazin hat ein Porträt von ihr auf dem Titel gedruckt, daneben steht: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen". Kein Fragezeichen hinter dem Satz, eine Feststellung.

Bibi Aishas Bild hat nun eine heftige Debatte in den USA ausgelöst. Ist das nun emotionale Erpressung oder ein starker Appell ans Gewissen?

In Blogs, in Zeitungen und in Fernsehsendungen diskutieren Bürger und Experten. "Time" hat laut eigenen Angaben doppelt so viele E-Mail-Zuschriften wie bei anderen kontroversen Themen bekommen. Die Journalistin Christiane Amanpour hielt Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in einem Fernsehinterview das Cover entgegen und fragte: "Überlassen wir die Frauen in Afghanistan ihrem Schicksal?" Pelosi schaute weg, bevor sie davon redete, dass die Bildung nur verbessert werden könne, wenn die Korruption im Land ende.

Blogger werfen "Time" vor, das Magazin plädiere für eine Beibehaltung des Status Quo, dass die US-Truppen am Hindukusch bleiben sollten - und missbrauche dafür die Frage von Frauenrechten.

"Es ging damals nicht um Frauen. Es geht heute nicht um Frauen"

Die politische Analystin Kirstin Powers, die auch für Fox News und die "New York Post" arbeitet, schreibt in dem Blog "Daily Beast", es sei bei dem Militäreinsatz am Hindukusch nie wirklich um Frauenrechte gegangen. "Es war bestenfalls ein Feigenblatt." In neun Jahren habe sich die Situation der Frauen nicht wirklich verbessert: "Es ging damals nicht um Frauen. Es geht heute nicht um Frauen. Es ist Zeit abzuziehen."

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Situation von Frauen in Afghanistan noch immer sehr besorgniserregend sei. Frauen würden "häufig bedroht, eingeschüchtert und angegriffen, Mädchenschulen ins Visier genommen sowie Politikerinnen und Aktivistinnen angegriffen und getötet, ohne rechtliche Konsequenzen".

Zwar wurde auf der Afghanistan-Konferenz in London festgelegt, Frauenrechte sollen mit einem nationalen Aktionsplan gestärkt werden. Doch Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass gerade jetzt, wo über eine Versöhnung mit Taliban gesprochen werde, mühsam erworbene Fortschritte geopfert würden. "Wir haben die große Sorge, dass die Menschenrechte und vor allem auch die Frauenrechte in Afghanistan zur Verhandlungsmasse werden", so Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, im Mai zu SPIEGEL ONLINE. Das wäre ein "tragischer Verrat", sagt Tom Malinowski, Leiter des Human Rights Watch-Büros in Washington.

Längst geht es in der Diskussion nicht nur um die Frauenrechte, sondern auch um die Frage: Was passiert mit Afghanistan, wenn die internationalen Truppen abziehen? "Das Bild zeigt die Realität eines Krieges, der uns betrifft", schreibt das "Time"-Magazin.

Die Moral der US-Soldaten leidet

Die Debatte kocht zu einer Zeit hoch, in der US-Präsident Barack Obama eine zunehmend schwierige Mission rechtfertigen muss. 66 US-Soldaten wurden allein im Juli getötet - der verlustreichste Monat seit Beginn der Offensive. Sein Abzugsversprechen wird von der US-Öffentlichkeit mehr und mehr als unrealistisch beurteilt. Denn im Herbst sind Parlamentswahlen in Afghanistan, die Nato geht davon aus, dass die Extremisten im Land dann noch stärker angreifen werden.

Auch afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten werden oft Opfer der brutalen Attacken - erst am Mittwoch wurden mindestens sieben afghanische Polizisten nach einem Anschlag auf einen Militärkonvoi getötet. Immer wieder sterben zahlreiche Zivilisten bei Angriffen.

Der gefährliche Einsatz am Hindukusch belastet die US-Armee extrem. Einem internen Bericht zufolge leidet die Moral der Soldaten, die Selbstmordrate steigt. Die Risiken durch psychische Erkrankungen seien oft sogar gefährlicher als der Feind. Viele Amerikaner fragen sich angesichts der Zahlen, ob sich das Engagement noch lohnt - und darauf zielt "Time" mit seiner Überschrift ab: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen."

Für Manizha Naderi von der Organisation "Women for Afghan Women" (Frauen für afghanische Frauen), die das verstümmelte Mädchen Aisha aufnahm, ist klar: Diese Grausamkeiten seien "genau das, was passieren wird". "Die Menschen müssen das sehen und wissen, was der Preis dafür ist, dass dieses Land im Stich gelassen wird", sagte sie der "New York Times".

Sie wisse nicht, ob ihr Fall "anderen Frauen helfen wird oder nicht", sagt Aisha selbst. "Ich möchte nur meine Nase zurück."

Auch wenn sie nun in den USA Hilfe erhält und ihr Gesicht operiert wird - von einem "Happy End" könne man nicht sprechen, sagt die Frauenrechtsaktivistin Naderi. Aishas zehnjährige Schwester sei noch bei der gewalttätigen Familie des Taliban: "Vermutlich lassen sie ihre Wut an ihr aus", sagt Naderi, "oder sie verlangen ein anderes Mädchen aus Aishas Familie, die sie ersetzen soll."

kgp
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