Krieg in Libyen Ärzte beklagen humanitäre Katastrophe in Sirt

Konvoi des Roten Kreuz in Libyen: Probleme bei der Anlieferung von Hilfsgütern
Foto: ANIS MILI/ REUTERSMisurata - Seit Wochen kämpfen Rebellentruppen und die letzten Getreuen des gestürzten Gaddafi-Regimes um die libysche Stadt Sirt. Nun schildert ein Bericht die dramatische humanitäre Lage der Bevölkerung. Ärzte berichten von erschütternden Zuständen in den Krankenhäusern: "Sie erzählen uns, dass ihr Krankenhaus mit Verletzten überfüllt ist und dass sie sich nicht mehr um dringend notwendige Behandlungen von Kindern und Schwangeren kümmern können", teilte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Dienstag mit.
Offenbar fehlt es den Medizinern in dem Ort am Nötigsten: Strom und Wasser fallen immer wieder aus. Außerdem herrscht Mangel an Antibiotika, Schmerzmitteln und Blutkonserven. Und die Lage wird immer hoffnungsloser. "Falls das noch Tage oder gar Wochen so bleibt, dann werden wir eine dramatische Situation erleben", sagte der Leiter des Nothilfeeinsatzes Mégo Terzian.
Die angespannte Versorgungslage wird offenbar durch eine neue Taktik der Rebellen verschärft. Ein Kamera-Team des US-Senders CNN filmte am Montag einen Hilfskonvoi des Internationalen Roten Kreuzes, der nicht in die umkämpfte Stadt vorgelassen wurde. Kurz vor der Ortsgrenze feuerte ein Rebellentrupp wild in die Luft, obwohl kein gegnerischer Beschuss erkennbar war. Eine Weiterfahrt des Hilfstransports sei zu gefährlich, hieß es. Kaum drehten die Helfer ab, stoppte auch das Mündungsfeuer.
Laut CNN versuchen die Aufständischen, die verbliebenen Kämpfer in Sirt so zum Aufgeben zu bewegen. Offiziell gibt es keine solche Zermürbungsstrategie der Rebellen.
Sirte sowie die 150 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Stadt Bani Walid sind die letzten verbliebenen Hochburgen der Anhänger von Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi. Die Kämpfer leisten seit Wochen erbitterten Widerstand gegen die vorrückenden Truppen der neuen Führung in Tripolis.
Tausende Bewohner hatten nach Angaben des Roten Kreuzes bereits am Montag eine Feuerpause zur Flucht genutzt. Mehr als 10.000 Menschen sollen Sirt inzwischen verlassen haben. Wie viele Bewohner dort noch ausharren, ist unklar.
Die Truppen des Übergangsrates hätten den Zivilisten in der seit drei Wochen belagerten Stadt jetzt bis Donnerstag Zeit gegeben, sich in Sicherheit zu bringen, sagte ein Sprecher der Truppe am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa.
"Militärisch wäre es für uns kein Problem, die Stadt jetzt schon komplett einzunehmen", sagte der Sprecher. "Aber wir wollen eine große Zahl ziviler Opfer vermeiden, denn letztlich sind die Einwohner von Sirt unsere Nachbarn."
Rebellen nehmen Gaddafis Geburtsort ein
Milizen des Übergangsrates hatten am Montag bereits den Geburtsort von Gaddafi erobert. Die Kämpfer rückten in Kasr Abu Hadi, einem Vorort von Sirt, ein. Dort soll der gestürzte Diktator 1942 in einem Beduinenzelt geboren worden sein.
Die "Revolutionäre" kontrollieren nach eigenen Angaben bislang den Hafen, eine Kaserne sowie mehrere Vororte von Sirt. Ins Zentrum der Stadt sind sie aber noch nicht vorgedrungen. Der Kommandeur sagte, der Übergangsrat sei sicher, dass sich Mutassim al-Gaddafi, einer der Söhne Gaddafis, in Sirt aufhalte. "Das wissen wir aus dem von uns abgefangenen Funkverkehr."
Mutassim gehört zum engsten Kreis von Ex-Machthaber Gaddafi. Der Offizier war nationaler Sicherheitsberater in Libyen. Mutassim hatte zuletzt in Brega ehemalige Regierungstruppen befehligt. Nach dem Fall der Stadt soll er nach Sirt geflüchtet sein. Wo sich Gaddafi selbst aufhält, ist unbekannt. Er wird in der Wüste unweit der Stadt Gadames vermutet.
Der frühere Premierminister des Landes, Al-Baghdadi Ali al-Mahmoudi, erklärte der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag, er sei sicher, dass Gaddafi noch in Libyen weilt. "Er wird nicht aufgeben und seine Waffen bis zum Ende nicht ablegen", teilte al-Mahmoudi aus Tunesien mit, wo er in einem Gefängnis sitzt.