Krieg in Libyen Nato verstärkt Angriffe auf Gaddafis Heimatstadt

Wo steckt Gaddafi? Viele Rebellen vermuten den gestürzten Machthaber in dessen Heimatstadt Sirt. Die Nato hat ihre Luftangriffe dort forciert - diverses Militärgerät des alten Regimes wurde dabei zerstört.
Schriftzug in Tripolis: Fieberhafte Suche nach Gaddafi

Schriftzug in Tripolis: Fieberhafte Suche nach Gaddafi

Foto: Daniel Berehulak/ Getty Images

Tripolis - Die Nato unterstützt die libyschen Aufständischen gezielt bei der Suche nach dem verschwundenen gestürzten Machthaber Muammar al-Gaddafi: Das Militärbündnis hat die noch nicht vom Nationalen Übergangsrat kontrollierte Heimatstadt Gaddafis unter Beschuss genommen. Am Sonntag wurden in Sirt und der Umgebung vier Radarstationen, drei Militärfahrzeuge, eine Antenne und zwei Boden-Luft-Raketensysteme zerstört, wie die Nato mitteilte. Auch 20 Behälter für Boden-Luft-Raketen seien getroffen worden, hieß es. Von den insgesamt 38 Angriffen des Bündnisses richteten sich zudem vier gegen Ziele in der Stadt Waddan und sieben gegen Ziele in der Stadt Ras Lanuf.

Die Rebellen sind dringend auf die Unterstützung der Nato angewiesen - sie selbst kommen bei der Erstürmung der Küstenstadt Sirt offenbar kaum voran. Für die Operation würden mehr erfahrene Kämpfer gebraucht, berichtete eine Korrespondentin des Nachrichtensenders al-Dschasira. Die Kräfte seien aber derzeit noch damit beschäftigt, die eingenommene Hauptstadt Tripolis zu befrieden. Nach dem Bericht des TV-Senders haben die Rebellen jetzt den Ort Nawfalija - rund 120 Kilometer westlich von Sirt - weitgehend unter Kontrolle. Derzeit verhandelt die Übergangsregierung mit Stammesführern in Sirt über eine friedliche Übergabe der Stadt.

Den Kämpfern bereiteten mögliche Chemiewaffen und Raketen größerer Reichweite der Gaddafi-Truppen Kopfzerbrechen, zitierte der arabische Nachrichtensender al-Dschasira Fadl Harun, einen Befehlshaber der Rebellen.

Humanitäre Krise in Tripolis

Die Hauptstadt und weite Teile des Landes sind in der Hand der Rebellen - endgültig besiegt ist Gaddafi nach Einschätzung der Aufständischen dennoch nicht. Der Chef des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, sagte bei einem Treffen in Qatar, Gaddafi sei noch immer eine Gefahr. "Ich rufe dazu auf, dass die Nato und ihre Verbündeten uns weiter vor diesem Tyrann beschützen", so Dschalil. Der Übergangsrat hat eine Belohnung von 1,3 Millionen Dollar für die Ergreifung Gaddafis ausgesetzt und sichert dem, der Gaddafi tötet oder gefangen nimmt, Straffreiheit zu.

Immer neue Gräueltaten des alten Regimes werden währenddessen bekannt: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schreibt die Ermordung Dutzender Zivilisten in einem Lagerhaus in Tripolis einer Militäreinheit unter der Führung des Gaddafi-Sohns Chamis zu. Die Brigade habe die Morde wahrscheinlich am 23. August begangen. Am Wochenende wurden die verkohlten Leichen gefunden.

Nach Angaben eines Sprechers haben die Aufständischen seit ihrem Einmarsch in Tripolis vergangene Woche mehr als 10.000 Häftlinge aus Gefängnissen befreit. Rund 50.000 Menschen seien aber verschollen. Diese Gefangenen würden möglicherweise in unterirdischen Bunkeranlagen festgehalten. Nach der Einnahme von Tripolis hätten die Aufständischen auch in Krankenhäusern verkohlte Leichen Hunderter Gefangener gefunden. Eine Überprüfung dieser Angaben ist nicht möglich.

In der befreiten Hauptstadt Tripolis wird die Lage immer schwieriger: Der Übergangsrat räumte erstmals eine humanitäre Krise ein. Der Sprecher des Rats forderte deshalb alle im Ausland arbeitenden libyschen Ärzte auf, sofort in ihre Heimat zurückzukehren. Die Lage in den Krankenhäusern der Hauptstadt sei dramatisch. Neben Ärzten sei wegen der vielen Verletzten auch mehr Nachschub an Medikamenten und medizinischem Gerät notwendig.

anr/dapd/Reuters/dpa
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