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Gewalt im Kongo: Untergang der Menschlichkeit

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Brennan Linsley / AP

Kriegsverbrechen im Kongo Bericht aus der Hölle

Frauen und Mädchen werden vergewaltigt. Männer abgeschlachtet. Flüchtlinge sterben durch Macheten oder Erschießungstrupps. Ein Uno-Sonderbericht dokumentiert akribisch wie nie zuvor die Gewaltexzesse im Kongo - ein Protokoll des Niedergangs von Recht und Menschlichkeit.

Der Bericht hat mehr als 500 Seiten. Er ist eine der umfangreichsten Untersuchungen von Kriegsverbrechen in der Geschichte der Uno. Er ist noch gar nicht veröffentlicht, da löst er in New York, im Kongo und in Ruanda schon erhebliche diplomatische Verwerfungen aus.

Zwei Dutzend Inspekteure der Vereinten Nationen haben akribisch das massenhafte Morden in der Republik Kongo zwischen 1993 und 2003 untersucht. Sie haben Berichte ausgewertet, Filmdokumente gesichtet und Tausende Zeugen befragt. Sie haben alles zusammengetragen, was als gesichert gelten kann. Nun liegt ein Entwurf des Reports vor - und es ist ein Dokument des Grauens geworden.

Die Ermittler zeichnen nach, wie von Ruanda unterstützte Rebellengruppen Hutu-Flüchtlinge im Kongo jahrelang gejagt, gefoltert und massakriert haben. Schulen, Krankenhäuser, Flüchtlingslager, Kinder Frauen und Alte - nichts und niemand war vor den Mordbanden aller Seiten sicher. Es waren keineswegs nur von Ruanda unterstützte Häscher am Werk. Der Bericht zeichnet das Riesenreich Kongo als ein heruntergekommenes, zutiefst verrottetes Land, in dem Menschenrechte, Gerechtigkeit und humanitäre Werte schon vor Jahrzehnten entwertet wurden.

Der Niedergang des Kongo hat lange vor dem ersten Kongokrieg (1996 bis 1998) und der Vertreibung des früheren Diktators Mobutu (1997) begonnen. Schon Ende 1991 begannen Kongolesen aus der Kupferprovinz Katanga im Süden des Landes, ihre zugewanderten Landsleute aus der Kasai-Region zu verfolgen, zu vertreiben und zu ermorden. Befeuert wurde der Konflikt von Mobutu, der sich von den vielen Oppositionellen aus der Provinz Kasai bedroht fühlte.

Händler aus Kasai bekamen in Katanga keinen Zugang mehr zu den Märkten, ihr Eigentum wurde gestohlen, sie selbst wurden verfolgt. Im Spätherbst 1992 wurde etwa die Hälfte der Bevölkerung von Likasi in Katanga aus der Stadt vertrieben, an die 60.000 Menschen. Aus der Bergbaustadt Kolwesi wurden die Kasai-Zuwanderer ebenfalls verjagt, nicht zuletzt mit Hilfe der Gendarmerie und der lokalen Behörden.

Zivilisten und Soldaten, Mörder und Kinder - alle fliehen in den Ostkongo

In anderen Provinzen passierte das Gleiche, teilweise auf Betreiben der Gouverneure. Die Auseinandersetzungen der Volksgruppen forderten schon damals allein in Katanga weit mehr als tausend Opfer, die in Europa und den USA eher als Randnotiz wahrgenommen wurden. Die Auseinandersetzungen schwappten über auf die Hauptstadt Kinshasa, wo Mobutu seine Macht mit allen Mitteln zu halten versuchte. Vor allem Zuwanderer aus Kasai gehörten unversehens zu einer verfolgten Volksgruppe, aber auch politische Oppositionelle konnten ihres Lebens nicht mehr sicher sein.

Unabhängig davon begann Mitte der neunziger Jahre im ressourcenreichen Osten des Landes die Hetze gegen die aus Ruanda und Burundi zugewanderten Tutsi. Im Nord-Kivu waren die Banyamasisi-Tutsi schon zuvor Opfer von Vertreibungen geworden, nun stieg auch der Druck auf die Banyamulenge-Tutsi im Süd-Kivu. Der Druck hatte auch deshalb zugenommen, weil zwei Jahre zuvor Millionen von Flüchtlingen aus Ruanda, überwiegend Hutu, in den Osten des Kongo geflüchtet waren. Es waren Zivilisten und Soldaten, Mörder und Kinder, und alle hatten Ruanda aus Furcht vor der Rache der siegreichen Tutsi und ihrem Militärchef Paul Kagame verlassen.

Viele von ihnen organisierten sich in den Flüchtlingslagern längs der Grenze neu, und es begann im ganzen Osten des Kongo eine Jagd gegen Tutsi, die teilweise seit Jahrzehnten im Kongo siedelten. Ende September 1996 begann das systematische Morden an den Banyamulenge, der Report listet es akribisch auf:

  • Am 29. September 1996 töten Einheiten der Bembe in Lueba, 78 Kilometer südlich von Ivira, mit Hilfe der regulären zairischen Armee 152 Zivilisten der Banyamulenge, darunter viele Frauen und Kinder. Manche Opfer werden mit Macheten erschlagen, andere verbrennen in ihren Häusern, die in Brand geschossen werden. Frauen werden massenhaft vergewaltigt, auch Mädchen.

  • In der Nacht vom 29. auf den 30. September töten bewaffnete Bembe-Einheiten fast 100 Zivilisten der Banyamulenge nah dem Dorf Mboko. Die Opfer waren überwiegend Überlebende des Lueba-Massakers Stunden zuvor, die von Milizionären nach Ruanda gebracht werden sollten. Frauen und Kinder der Gruppe kamen auch in Ruanda an, die Männer jedoch wurden gefesselt und in den Tanganyikasee geworfen.

  • Am 21. Oktober wird in Uvira ein Banyamulenge umgebracht, sein Kopf auf einem Stock durch die Stadt getragen. Die Täter hängen seine Hoden an eine Schnur und tragen sie als Halskette.

  • Als der Generalstabschef der zairischen Armee die Banyamulenge am 11. Oktober 1996 beschuldigt, zusammen mit Ruanda einen Krieg gegen Zaire zu führen, ist die Jagd auch offiziell eröffnet. Die Tutsi und Banyamulenge beginnen, unterstützt von ruandischen Soldaten, die in den Kongo eindringen, zurückzuschlagen, nicht minder grausam. Sie errichten Straßensperren und filtern alle ruandischen und burundischen Hutu aus den Flüchtlingsströmen heraus. Hunderte Hutu werden an Ort und Stelle umgebracht, Tausende unter dem Vorwand, nach Ruanda zurückgebracht zu werden, selektiert und in der Umgebung getötet.

  • Im Flüchtlingscamp Chimanga, 71 Kilometer westlich von Bukavu, werden am 22. November 1996 Hunderte von Flüchtlingen zusammengetrieben. Eine Kuh wird geschlachtet, angeblich als Stärkung für den Rückmarsch nach Ruanda. Als die Hutu sich registrieren lassen wollen, eröffnen die eng postierten Wachen rund um das Lager auf ein Kommando hin das Feuer. 500 bis 800 Hutu kommen ums Leben.

  • An der Ulindi-Brücke unweit des Städtchens Shabunda ermorden die Tutsi am 5. Februar 1997 500 Flüchtlinge. Die Anwohner müssen die Leichen und die Spuren des Gemetzels auf der Brücke beseitigen.

Auch der Nord-Kivu ähnelt zu dieser Zeit einem Vorhof zur Hölle. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Längs der Straße Goma-Rutshuru stürmen Tutsi-Milizen und ruandische Soldaten Flüchtlingscamps. Männer werden gefesselt und erschossen, Frauen vergewaltigt, Kinder erschlagen.

Mehr als 600 solcher und ähnlicher Vorfälle listet der Report nüchtern auf, und für jeden Fall gibt es Zeugenaussagen und Belege. Auf Gerüchte haben sich die Ermittler nicht verlassen.

"Zu Hunderten hingerichtet, mit Hieb- und Schlagwaffen"

"Zu Hunderten" seien die Menschen "hingerichtet" worden, heißt es in dem Report, "oft mit Hieb- und Schlagwaffen, mehrheitlich Kinder, Frauen, Alte und Kranke, die keine Bedrohung darstellten". Die Attacken glichen Aktionen, "die als Völkermordverbrechen bezeichnet werden könnten, wenn sie vor einem zuständigen Gericht zu beweisen wären".

Doch es waren nicht nur die Tutsi, die auf ihrem Rachefeldzug gegen die Hutu im Kongo alle menschlichen Regeln außer Kraft gesetzt haben. Die Kongolesen untereinander machten es nicht besser. Auch dafür liefert die Untersuchung reichlich Beweise.

Als im Februar 2003 in der Provinz Ituri die Auseinandersetzungen zwischen den Hema und Lendu eskalierten, luden Hema eine Lendu-Delegation zu Verhandlungen ins Dorf Sangi ein. Kaum waren die Lendu eingetroffen, darunter eine ganze Anzahl Frauen, schlachteten die Hema die Lendu-Unterhändler mit Macheten, Messern und Knüppeln erbarmungslos ab. Manche wurden gefesselt und dann in der Dorfkirche getötet. Nur zwei Lendu überlebten das Gemetzel. Auch die Auseinandersetzungen dieser beiden Volksgruppen sind akribisch dokumentiert.

Ruanda nennt Uno-Bericht "unmoralisch"

Die offizielle Endfassung des Berichtes soll in wenigen Tagen vorliegen, doch speziell in Ruanda haben die ersten Veröffentlichungen Unruhe ausgelöst. Nachdrücklich weist die Regierung Kagame zurück, dass sie völkermordähnliche Verbrechen im Kongo mitbetrieben habe. In den vergangenen Monaten hat die Regierung offenbar sogar versucht, die Publikation zu verhindern oder sie zumindest zu entschärfen.

Außenministerin Louise Mushikiwabo hatte in einem Brief an Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon gedroht, bei einer Veröffentlichung des Reports das ruandische Uno-Engagement einzustellen, insbesondere das Abstellen von Blauhelmen zum Beispiel in die sudanesische Krisenregion Darfur. Und der Regierungssprecher in Kigali sagte, es sei "unmoralisch und inakzeptabel", dass ausgerechnet die Uno, die den Genozid in Ruanda nicht habe verhindern können, nun jene Armee der Verbrechen im Kongo beschuldige, die den Genozid beendet habe.

Und doch sind Ruanda und seine Geschichte untrennbar mit dem jahrzehntelangen Gemetzel im Kongo verbunden. Das zeigte sich erst Anfang August wieder. Mitglieder der Hutu-Miliz FDLR, also gebürtige Ruander, vergewaltigten unweit von Walikale im Kongo mindestens 179 Frauen. Es war eine Orgie der Gewalt, sie dauerte mehrere Tage. Betroffene berichten, die meisten Opfer seien von den Milizionären zwischen zwei- und sechsmal vergewaltigt worden.

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