
Stillstand in Italien "Möge Gott uns retten"
- • Regierungskrise in Rom: Zehn Weise sollen Italiens Blockade lösen
- • Italiens Regierungschef: Mario Monti sehnt Ende seiner Amtszeit herbei
Das Parlament blockiert sich selbst, eine neue Regierung ist nicht in Sicht, die Tage des Staatspräsidenten sind gezählt und auch der "Rat der Weisen" wird es wohl nicht richten - Italien steckt fest. Das Land brauche nicht nur eine Regierung, diagnostiziert der bekannte Mailänder Medizinprofessor Claudio Mencacci, es brauche einen Psychiater.
Es gebe keine respektierte und legitimierte Autorität mehr, so der Sozialwissenschaftler Ilvo Diamanti, die italienische Gesellschaft sei unwillig und unfähig zu Kompromissen.
Die drei Großgruppen im vor vierzig Tagen gewählten Parlament haben das System Stillstand mit einem dreifachen Nein perfektioniert:
Wenn sich aber nicht zwei der drei zusammentun, hat keiner eine regierungsfähige Mehrheit. Basta. Damit ist das politische System ausgehebelt. "Wir sind an einem Punkt", resümierte Staatspräsident Giorgio Napolitano Ende voriger Woche, "den man im chinesischen Schachspiel zyng-zeng nennt, ein gegenseitiges Schachmatt, keiner kann sich mehr bewegen."
Um von außen neue Bewegungsmöglichkeiten ins Spiel zu bringen, berief der greise Napolitano eine Gruppe aus "Zehn Weisen". Fachleute aus Politik, Justiz und Wirtschaft sollen Gesetzesvorschläge erarbeiten, die im Parlament eine überparteiliche Mehrheit finden könnten.
Ganz prima fand man die Idee überall in Europa. Italien bewegt sich also doch, nahm man erfreut zur Kenntnis. Und Napolitano tritt also nicht vorzeitig zurück, wie er zuvor angekündigt hatte, sondern bleibt einstweilen und nimmt sogar das Heft in die Hand. Nachdem man in Brüssel und Berlin erkennen musste, dass der dort hochgeschätzte Mario Monti nicht mehr viel reißen kann, setzt man nun auf den 87-jährigen Ex-Kommunisten auf dem Präsidentenstuhl.
Die Politik in Rom freilich killte auch Napolitanos Idee, noch ehe die zehn Experten ihren Antrittsbesuch machen konnten. Berlusconi wie Grillo senkten die Daumen, damit ist für alles, was die "Weisen" auch vorschlagen mögen, die nötige Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer nicht erkennbar. Soll sie auch nicht. Denn Berlusconi vor allem will Neuwahlen, so schnell wie möglich. Er glaubt, wenn die Italiener im Juni, spätestens Anfang Juli wieder zu den Urnen gerufen werden, könne er die Mehrheit gewinnen. Und nicht wenige politische Beobachter halten das für durchaus denkbar. Denn der Mitte-links-Kandidat Pier Luigi Bersani, der sich erfolglos bemühte, eine Regierung zu bilden, gilt als gescheitert. Ihm geben viele die Schuld an der Misere, so als hätte er tatsächlich regiert.
Manche seiner Wähler werden zu Berlusconi abwandern, andere zu Grillo. Auch der rechnet mit Zuwachs, wenn es bald zu Neuwahlen kommt. Wenn auch dabei keiner der beiden eine eigene Mehrheit in beiden Kammern bekommt, stünde Italien allerdings weiter auf dem Abstellgleis - mit unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen.
Mehrheit für den Newcomer
Chancen auf einen Wahlsieg hätten auch Bersanis Sozialdemokraten vom Partito Democratico (PD). Allerdings nur mit einem neuen Frontmann. Statt des 61 Jahre alten farb- und glanzlosen Bersani müsste der 38-jährige Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, antreten. Denn den wollen mehr als 60 Prozent der Italiener auf dem Posten des Mitte-links-Anführers sehen, Bersani nur noch zehn Prozent, so eine aktuelle Umfrage. Danach gefällt der smarte Newcomer den Wählern von Berlusconi und Grillo fast noch besser als denen aus dem eigenen Lager. Dort ist Renzi manchen nicht links genug.
Nur, der Erfolg versprechende Renzi ist bislang nicht Spitzenkandidat seiner Partei. Und dass er es bis Juni werden könnte, ist eher unwahrscheinlich. Der nächste Parteitag ist erst für den Herbst geplant. In großer Eile müssten neue Vorwahlen organisiert werden, bei denen die Mitte-links-Anhänger - nicht nur die Parteimitglieder - den Spitzenkandidaten bestimmen. Ob das zu schaffen ist? Ob alle in der PD das schaffen wollen? Auch sein Parteichef Bersani hat ja die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Ministerpräsident zu werden. Auch wenn selbst sein Bruder spottet, das werde der allenfalls "in einem anderen Leben".
Und zuerst steht ja sowieso noch eine andere Wahl an: die des nächsten Staatspräsidenten. Im Mai endet Napolitanos Amtszeit, und er hat mehrfach gesagt, er sei zu alt, um den Job weiter zu machen. Wer ihn ersetzen soll, weiß allerdings keiner. Denn auch die Nominierung des Nachfolgers erfordert eine Mehrheit, die keine der drei großen politischen Gruppierungen allein hat.
Wenn er an die nächsten Wochen denke, so der Philosoph und Ex-Bürgermeister Venedigs Massimo Cacciari, werde ihm angst und bange: Keine Regierung und nicht einmal einen Präsidenten in Italien - "möge Gott uns retten".
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Italiens Staatschef Napolitano: Der greise Präsident muss eine Lösung für die Regierungskrise finden.
Matteo Renzi ist Bürgermeister von Florenz. In Umfragen liegt der Liebling des Mitte-Links-Lagers vorne - doch noch ist er nicht Spitzenkandidat.
Pier Luigi Bersani gilt bereits als gescheitert - denn ihm ist es nicht gelungen, nach dem Erfolg bei den jüngsten Wahlen eine Regierung zu bilden.
Silvio Berlusconi hält nichts von Napolitanos Expertenrunde und drängt auf Neuwahlen.
Und Beppe Grillo, Anführer der "5-Stelle-Bewegung", würde am liebsten alleine regieren.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden