
Boote aus Nordafrika: Flucht vor Armut und Unruhen
Krise in Nordafrika Berlin fürchtet Flüchtlingswelle aus Italien
Luxemburg - Mehr als 20.000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn aus Nordafrika nach Italien geflohen, ein Ende des Stroms ist nicht in Sicht - und die EU ringt verzweifelt um eine Lösung des Problems. An diesem Montag beraten die EU-Innenminister in Luxemburg, wie die Krise bewältigt werden könnte. Es gebe Anlass zu "größter Besorgnis", heißt es laut der Nachrichtenagentur dapd in einem Brief von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström an die Innenminister. Es könne zu einem Massenexodus aus Nordafrika kommen: 430.000 Menschen seien inzwischen vor der Gewalt aus Libyen in Nachbarstaaten geflüchtet.
Um die Krise bewältigen zu können, fordert Malmström mehr Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsländern - doch danach sieht es momentan nicht aus. Vor allem zwischen Italien und Deutschland sowie Frankreich bahnt sich ein Konflikt an.
Weil die italienische Regierung mit den Flüchtlingsmassen nicht mehr zurechtkommt, will sie den Menschen befristete Aufenthaltsgenehmigungen geben, mit denen sie auch in andere EU-Staaten einreisen können. Die ersten Visa sollen inzwischen ausgestellt sein. Das Bundesinnenministerium in Berlin sprach von einem "Verstoß gegen den Geist des Schengener Abkommens" und kündigte an, das Thema beim Treffen der EU-Innenminister zur Sprache zu bringen.
Deutlich undiplomatischer äußerte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann: "Wir werden es nicht hinnehmen, dass die italienische Regierung die Tunesier einfach zu Touristen erklärt und sie auf diese Weise in andere Länder schiebt", sagte Herrmann der "Welt am Sonntag". Der CSU-Politiker drohte als letztes Mittel sogar mit Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze.
Die gegebenenfalls nötigen "lageangepassten Grenzkontrollen" würden das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien aber erheblich belasten, sagte Herrmann. "Deshalb erwarten wir von Regierungschef Silvio Berlusconi, dass sein Land das Einwandererproblem selbst regelt und nicht auf andere EU-Länder ablädt."
Unterstützung bekam Herrmann vom innenpolitischen Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, der den italienischen Vorstoß in der "Mitteldeutschen Zeitung" als "eklatanten Verstoß gegen europäisches Recht" bezeichnete. Für Deutschland könne es bedeuten, dass man den Luftverkehr aus Italien kontrollieren müsse, so Uhl. "Eine andere Lösung gibt es bei Uneinsichtigkeit Berlusconis nicht."
"Wir haben diese Probleme mit Deutschland"
Die italienische Regierung fühlt sich dagegen von ihren Partnern alleingelassen. Beim einem Besuch auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, wo besonders viele Flüchtlinge ankommen, forderte Regierungschef Silvio Berlusconi am Samstag insbesondere von der Bundesregierung mehr Entgegenkommen. "Wir haben diese Probleme mit Deutschland, aber wir lösen das", sagte Berlusconi. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse einsehen, dass Europa etwas "Reales oder Konkretes" sei. Ansonsten könne sich die EU wieder aufspalten und jeder Staat seine eigenen "Ängste und Egoismen" verfolgen. Die Flüchtlinge seien "kein italienisches Problem, sondern ein europäisches", so Berlusconi.
Italien will erreichen, dass eine Schutzklausel aus dem Jahr 2001 aktiviert wird, nach der Flüchtlinge automatisch auf die EU-Mitgliedsländer verteilt werden, falls es zu einem Massenzustrom kommt. Innenkommissarin Malmström sieht die Bedingungen hierfür aber noch nicht gegeben.
Neben Deutschland protestiert auch Frankreich gegen die italienischen Pläne, Tausenden tunesischen Flüchtlingen Visa für den Schengen-Raum zu erteilen und sie damit innerhalb Europas weiterreisen zu lassen. Paris pocht auf eine Regelung, nach der auch innerhalb der grenzkontrollfreien Schengen-Zone die Einreise in ein anderes Land nur erlaubt ist, wenn Reisende Ausweispapiere und Geld haben.
Der Begriff "Schengen-Raum" bezeichnet den Verbund jener europäischen Staaten, in denen die Kontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft worden sind. Das erste Abkommen dazu war 1985 in der luxemburgischen Stadt Schengen geschlossen worden. Nach EU-Recht ist das Land, wo Flüchtlinge EU-Boden betreten, für die Prüfung von Asylanträgen und Aufenthaltsbegehren zuständig.
Um den Zustrom zu begrenzen, plädiert Eu-Kommissarin Malmström eine Ausweitung der Frontex-Mission auf Lampedusa. Die Kompetenzen der Grenzschutzagentur sollten gestärkt und die Mittelmeerländer beim Schutz ihrer Grenzen unterstützt werden, heißt es in ihrem Brief an die Innenminister.
Trotz verstärkter Kontrollen an den tunesischen Küsten riss der Zustrom nordafrikanischer Flüchtlinge auch am Wochenende nicht ab. Mehrere Schiffe erreichten Lampedusa, von der die Behörden zuvor in einer konzertierten Aktion Tausende Migranten in andere Landesteile gebracht hatten. Die Zahl der Bootsflüchtlinge auf dem kleinen Eiland wuchs damit wieder auf 750 an.