Krise in Portugal Herkulesaufgabe für Sonnyboy Sócrates

Portugals Defizit hat sich verdreifacht, Rating-Agenturen warnen vor einem "langsamen Tod" - der Staat ist neben Griechenland ein weiteres Sorgenkind Europas. Der smarte Ministerpräsident Sócrates verspricht Reformen und Erneuerung. Doch zur Finanzkrise kommt politische Unruhe.
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Portugal: Kampf gegen die Krise

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Hamburg - Die Fröhlichkeit der Menschen möchte er teilen, sagt José Sócrates und läuft in der Mitte des Volkes. Beim Halbmarathon von Lissabon plaudert Portugals Ministerpräsident über seinen Elan und Motivation. Dabei lächelt er gewinnend, einige vergleichen ihn gar mit Hollywoodstar George Clooney.

Doch das war im Wahlkampf 2009 und ist viele Monate her. Heute muss Sócrates, der sich stets als dynamischer Macher präsentierte und im September seine zweite Amtszeit antrat, dem Volk düstere Zukunftsaussichten vermitteln. Portugal ist zu einem der größten Problemfälle in der Euro-Zone geworden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt, dass sich die Staatsfinanzen als Folge der Wirtschaftskrise deutlich verschlechtert haben. Der Abschwung hat das exportabhängige Land stark getroffen, unter der geplatzten Immobilienblase leidet die Wirtschaft zusätzlich.

Experten großer Bankhäuser warnen, dass nach Griechenland besonders Portugal und Spanien in den Fokus der Märkte rückten. Die "Griechenland-Problematik" könnte auf weitere angeschlagene Euro-Länder überschwappen, befürchtet UniCredit-Chefvolkswirt Marco Annunziata. In Folge der IWF-Warnungen fiel der Euro auf ein Sechsmonatstief bei knapp über 1,40 Dollar.

Portugal droht zudem eine weitere Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch Rating-Agenturen wie Moody's und Fitch. Vor einem "langsamen Tod" des Landes warnte gar Moody's, sollte die Regierung nicht gegensteuern. Das Szenario sei zwar noch vermeidbar. Das Zeitfenster werde "aber nicht unbegrenzt offen sein", hieß es in einem Bericht.

Verhandlungen mit der "Eisernen Lady"

Große Aufgaben also für Ministerpräsident Sócrates, der 2007 während der EU-Ratspräsidentschaft seines Landes in einem SPIEGEL-Gespräch versprach: "Meine Vision für Portugal ist, Strenge und Ordnung in den öffentlichen Ausgaben zu wahren und für Wachstum zu sorgen." Tatsächlich konnte der smarte Sozialist, der seit 2005 regiert, das Haushaltsdefizit drücken. Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt hatte er es mehr als halbiert und auf 2,6 Prozent gesenkt. Er hatte Reformen in der Justiz und der Sozialversicherung angepackt. Doch dann kam die Krise, die "schlimmste globale Wirtschaftskrise seit hundert Jahren", rechtfertigt sich Sócrates.

Das Haushaltsdefizit Portugals hat sich im vergangenen Jahr auf acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts verdreifacht. Die Staatsverschuldung beträgt 77 Prozent des BIP - der IWF fürchtet, dass der Schuldenstand ohne weitere Schritte zur Sanierung bis 2013 auf über hundert Prozent ansteigen könnte. Die Wachstumsaussichten des Landes sind im europäischen Vergleich schwach.

Doch Sócrates führt zurzeit eine Minderheitsregierung, er ist auf die Zustimmung der Opposition zu seinen Plänen für den Haushalt angewiesen. Bislang konnte sich seine Regierung nicht mit den anderen Parteien einigen: Fünfstündige Verhandlungen Donnerstagnacht blieben ohne Ergebnis. Sócrates trifft sich am Samstag mit der Chefin der größten Oppositionspartei PSD, Manuela Ferreira Leite, - die "Eiserne Lady" genannt - nachdem mehrere Gespräche mit dem Minister scheiterten.

Portugals Apparat soll schlanker werden

Das Ziel ist klar: Die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst sollen eingefroren, der aufgeblähte Beamtenapparat verkleinert, Reformen bei Sozialversicherung und Bildung vorangetrieben werden.

Reformen sind genau das, was die Experten fordern. Denn es besteht berechtigte Hoffnung, dass das Athener Debakel sich nicht rund 3000 Kilometer weiter westlich wiederholt. "Wir gehen davon aus, dass die portugiesische Regierung spätestens für das kommende Jahr Maßnahmen ergreifen wird, um das Budgetdefizit zu verringern", heißt es in einer Studie der Commerzbank. Sollte die Neuverschuldung ab 2011 sinken, befänden sich die Staatfinanzen "zumindest in den kommenden Jahren in einem besseren Zustand als diejenigen Griechenlands". Zudem haben in der Vergangenheit große Firmen wie VW, Bosch und Siemens in Portugal investiert.

Schmiergelder und Shopping-Tempel im Naturschutzgebiet

Zu der wirtschaftlichen Krise kommt jedoch die politische Unruhe in Portugal. Im Land brodelt eine Korruptionsaffäre unter dem Namen "Face Oculta", zu Deutsch Schattenseite. Es geht um Aufträge vor allem in der Abfallwirtschaft, Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft ermittelten wegen Korruption und Einflussnahme. Der Präsident des börsennotierten Strom- und Gasnetzbetreibers REN hat sich im November suspendieren lassen. Der frühere Staatssekretär folgte damit einer Anordnung des Ermittlungsrichters. Seinen Posten als Vizechef einer Bank musste auch ein früherer Minister und alter Freund von Sócrates räumen.

In den Akten zu einem weiteren Korruptionsfall kommt auch der Name des Premiers vor. Er war 2002 Umweltminister, als der Bau des nach eigenen Angaben "größten Outletcenter Europas" bei Lissabon genehmigt wurde - in einem Naturschutzgebiet. Nach fünf Jahren Ermittlungen von portugiesischen und britischen Behörden ist klar: Damals flossen Schmiergelder. Obwohl Sócrates offiziell nicht verdächtigt wird, hat sein Ruf gelitten. Anfang 2009, im Wahljahr, kochte die Affäre wieder hoch; sie ist bis heute nicht ausgestanden.

In einer Aussage auf DVD hatte ein Unternehmensberater, der für die britische Gesellschaft tätig war, die das Einkaufszentrum baute, Sócrates belastet. Die Briten wollten Einsicht in Sócrates' Konten nehmen, doch die Anfrage wurde zurückgewiesen. In den Fall verwickelt sind auch ein Onkel und ein Vetter des Premiers, Wohnung und Büro des Onkels wurden vor einem Jahr durchsucht. Beide sind Zeugen in dem Prozess.

Optimismus ist Pflicht

Doch Sócrates bleibt trotz dieser Affären und Krisen optimistisch. Die Zeit drängt - bis 26. Januar muss der Haushaltsentwurf beim Parlament vorliegen. Sócrates verspricht trotz der notwendigen Konsolidierungen weiter Investitionen, um das Land aus der Stagnation zu reißen. "Nur der Wettbewerb kann die Verbraucher absichern und die Wirtschaft stimulieren", hatte er stets versichert. "Es ist die Pflicht des Staates, die idealen Bedingungen für diesen Wettbewerb sicherzustellen."

Die Bank von Portugal jedenfalls hofft auf ein Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent in diesem Jahr. Und ohnehin, der Vergleich mit Griechenland sei nicht angebracht, anderen Ländern in Europa gehe es noch schlechter. Der Präsident der Bank BPI beruhigte zudem: "Die Portugiesen sind sehr dynamisch. Sie werden sich nicht einfach gehenlassen und einen langsamen Tod sterben."

Mit Material von dpa-AFX
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